Dr. Thomas Finke über die Wärmepumpen-Strategie von Bosch Thermotechnik.
Dr. Thomas Finke über die Wärmepumpen-Strategie von Bosch Thermotechnik.
Die Stichwörter "Dezentralisierung", "Dekarbonisierung" und "Digitalisierung" – die "drei Ds" – gewinnen in der Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnikbranche mehr und mehr an Bedeutung. Oder sollte man sagen: Man hört sie (fast) überall. Doch was verbirgt sich konkret dahinter? Welche Strategien? Welche Produkte und Lösungen? Und – vor allem – wie gehen die Hersteller selbst mit den vielfältigen Paradigmenwechseln in der Branche um? Leitfragen und gute Gründe genug, um beim Produktgruppenleiter Wärmepumpen von Bosch Thermotechnik und Geschäftsführer der schwedischen Bosch Thermoteknik AB (Tranås), Dr. Thomas Finke, einmal nachzufragen.
Die kurze Einleitung und die beiden Überschriften zu diesem Beitrag legen ja die Vermutung nahe, dass das Treffen zwischen Dr. Thomas Finke und der HeizungsJournal-Redaktion irgendwo "ganz weit weg" in fremden Gefilden stattgefunden haben muss. Dem ist jedoch nicht so. Stattdessen traf man sich bei Butterbrezel und Co. (so wie es sich hier eben gehört) im schwäbischen Heimatländle; konkret: in Wernau bei Stuttgart, dem Sitz der bekannten Marke "Junkers", welche seit diesem Jahr nun ganz offiziell und vollständig zu "Bosch" transformiert wurde. Übrigens auch gar kein einfacher Schritt, so eine tief verwurzelte und eingefleischte Marke(nbotschaft) schrittweise innerhalb von vier Jahren in eine neue Form zu gießen. Auch wenn der Name "Bosch" freilich zu ebenso lebendigen Assoziationen einlädt. Nun ja, aber darum soll es hier jetzt eigentlich nicht gehen. Wobei das Stichwort "Transformation" in diesem Artikelzusammenhang mindestens zwei wichtige Bögen spannt:
1.) allgemein: die Transformation des Energiesystems und der Hausenergieversorgung,
2.) speziell: die Transformation eines marktführenden Systemtechnikherstellers der Heiztechnik.
Immer schön der Reihe nach. Lassen Sie uns zunächst einmal einen genaueren Blick werfen auf den Gesprächspartner, Dr. Thomas Finke, der vor nicht ganz 15 Jahren über seine Diplomarbeit und das Promotionsprogramm der Stuttgarter Robert Bosch GmbH in das Technologieunternehmen eingestiegen ist. Der Chemiker hat im weiteren Verlauf seiner Laufbahn und seines Berufslebens bei Bosch sehr spannende Positionen und Funktionen innegehabt: Beispielsweise war er zwei Jahre lang Assistent des Bosch Thermotechnik Bereichsvorstands Entwicklung in Wetzlar und leitete im Anschluss daran das Produktmanagement "Internet of Things and Services" (Internet der Dinge und Dienste) in Lollar. Von 2014 bis 2016 führte der Weg schließlich wieder nach Süddeutschland (Wernau und Stuttgart), wo Finke zunächst das Bosch Thermotechnik Projekt "Smart Home" leitete und in der neu gegründeten Robert Bosch Smart Home GmbH dann unter anderem verantwortlich für Vertrieb und Strategische Partnerschaften zeichnete. Seit über drei Jahren wirkt er nun 1.500 Autokilometer entfernt von der "Butterbrezel-Heimat" im südschwedischen Tranås – der historischen Heimat des berühmt-berüchtigten Lausbuben "Michel aus Lönneberga" – als Produktgruppenleiter Wärmepumpen und Geschäftsführer der Bosch Thermoteknik AB.
Über die "Schnitzkünste" von Dr. Finke ist in seinem offiziellen Lebenslauf (leider) nichts überliefert. Wohl aber die wichtige Information, dass er als Chemiker eine wichtige Fertigkeit mitbringt, die gerade im Geschäft mit der Thermotechnik von Vorteil sein kann: Er kennt das Periodensystem der Elemente und weiß, wie diese miteinander (re)agieren können. Auf das "Business" übertragen, heißt das dann: Er weiß, wie Menschen miteinander (re)agieren können. Und darum geht es doch im Wesentlichen bei jeder Art von Transformation. Denn Transformation ist definitionsgemäß ein "Wandlungsprozess", eine "Veränderung", welche nun einmal Menschen betrifft.
Bekannt ist auch: Menschen reagieren äußerst unterschiedlich auf Veränderungsbewegungen. Greifen wir uns an dieser Stelle doch nur kurz das Meta-Thema "Digitalisierung" heraus. Erfahrungsgemäß kann man fünf Menschen mit diesem Stichwort konfrontieren und erhält (mindestens) fünf völlig unterschiedliche Antworten, Definitionen und Einschätzungen. So kann es vorkommen, dass (um beim Bild der Chemie zu bleiben) eine Person beispielsweise "exotherm" reagiert, das heißt, unter Freisetzung von Wärme und durchaus emotional aufgeladen das weite Themenfeld "Digitalisierung" für sich beansprucht – das ist dann, im wahrsten Sinne des Wortes, ein "glühender" Vertreter, der für seine Sache "brennt". Das andere Extrem: die endotherme Fraktion. Hier muss man, gerade wenn es um die "Digitalisierung" geht, große und größte Mengen an Energie und Arbeit hineinstecken, um zum gewünschten Ergebnis (z.B. Minimum-Ziel: "Er/Sie sitzt jetzt mit im Boot") zu gelangen. Dazwischen gibt es selbstverständlich viele, viele Reaktions-Kombinationen und -Muster.
Aber genug der "Phrasendrescherei"! Um was soll es denn eigentlich hier konkret gehen? Kurze, klare Botschaft: Es geht im Kern um Kulturwandel in Unternehmen!
Gerade das Schlagwort "Digitalisierung" lässt sich doch anders gar nicht richtig packen. Oder kennen Sie etwa erfolgreiche Unternehmen, welche die Lösung für die Herausforderung "auf Rezept" bestellen und ihren Mitarbeitern einfach "verschreiben"? Richtig. Die "schmerzfreie Schluckimpfung" dafür wurde noch nicht erfunden, vermutlich existiert sie auch nicht. Und genau deshalb ist auch die chemische Reaktion "Nichtstun" in diesem Kontext ja das Allerschlimmste.
Dasselbe gilt im Übrigen für die beiden anderen (gesellschaftlichen) Mega-Trends „Dezentralisierung“ und "Dekarbonisierung", wobei letzterer Punkt in nächster Zeit an Dynamik gewinnen wird – versprochen. Hier anzunehmen, die Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnikbranche hätte einen "Sonder-Status" inne und diese "drei Ds" ("Dezentralisierung", "Dekarbonisierung" und "Digitalisierung") würden spurlos an allen Marktpartnern im Fachhandwerk, Fachhandel und in der Industrie vorüberziehen, wäre fatal.
Also: Kulturwandel als ein evolutionärer Akt. Wie gehen das nun ein "global player" namens Bosch im Allgemeinen und ein Marktführer namens Bosch Thermotechnik im Speziellen an?
Nun ja: "(Selbst-)Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung", heißt es im Volksmund. Im übertragenen Sinne und in betriebswirtschaftlichen, konkreten Zusammenhängen gesprochen, heißt das, ein langfristig tragfähiges Leitbild (eben kein "Feindbild") und eine klare Ziel-Vision aufzubauen und entsprechend über Führungskräfte – wie den Chemiker Dr. Finke – zu multiplizieren und zu etablieren. Hört sich alles einfach an, ist es aber in der Tat nicht. Nochmal: Das Gegenüber ist und bleibt (vorerst) menschlich. Kulturwandel bedingt Kommunikation. Und Kommunikation braucht Zeit.
"Wir haben unsere Zielfahnen gesteckt. Wir wollen mit Bosch Thermotechnik im Bereich »Residential Heating« (Anm.d.Red.: Wärmeerzeuger für Wohngebäude) Weltmarktführer bleiben, sprich: diese Position im internationalen Wettbewerb festigen. Wir wollen im Wärmepumpengeschäft zum wichtigsten und einflussreichsten Spieler aufsteigen", betont Dr. Thomas Finke im Gespräch mit dem HeizungsJournal selbstbewusst die Ziel-Visionen und ergänzt: "Vor allem der letztgenannte Punkt stellt ein hehres Ziel dar!"
"Durchaus!", möchte man ihm da zurufen, wohlwissend, dass sowohl der europäische als auch der deutsche Markt für Heizungswärmepumpen (mittlerweile) sehr hart umkämpftes Terrain ist – mit neuen und "alteingesessenen" Wettbewerbern, mit kleineren Spezialisten in technologisch-diffizilen Nischen und größeren Volumen-Herstellern vor allem aus dem Kälte- und Klimatechnik-Spektrum. Wohlwissend, dass Bosch Thermotechnik, selbst mit seiner eingefleischten Traditionsmarke Buderus, eben nicht zu den "Wärmepumpen-Pionieren" gehört. Oder anders – im "Start-up-Sprech" – ausgedrückt: Den sogenannten "First Mover Advantage" (frei übersetzt: Marktvorteil für Unternehmen, die mit einem Produkt, einer Technologie als erstes an den Start gehen) kann Bosch Thermotechnik hier nicht auf sich verbuchen. Bosch Thermotechnik wird im globalen Markt heute als Systemspezialist für die Wärmetechnik wahrgenommen und geschätzt, angefangen bei der heiz-/warmwassertechnischen Kleinstleistung auf der Etage bis hin zu hochperformanten und hochverfügbaren (fossilen) Feuerungen in Wärmenetzen. Als Systemtechnikhersteller setzt Bosch Thermotechnik natürlich entsprechende Impulse in den Bereichen "Energiemanagement" und "Digitale Heizung". Das ist der Status quo.
Das zeigt auch ein kurzer Rückblick auf die Umsätze 2018 – nach Bosch Thermotechnik Geschäftssegmenten – deutlich: Denn hier sticht der besagte Bereich "Residential Heating" als Umsatzträger heraus. Mit 2,345 Mrd. Euro entfielen stolze 73 Prozent des Umsatzes auf dieses Geschäftssegment (ohne Handelsware). Es folgen die Bereiche "Residential Water" (Warmwassergeräte für Wohngebäude) mit 375 Mio. Euro (zwölf Prozent), "Commercial/Industrial Heating" (Wärmeerzeuger für Nichtwohngebäude) mit 370 Mio. Euro (elf Prozent) und "Commercial Air-Conditioning and Ventilation" (Raumluft- und Klimatechnik für Nichtwohngebäude) mit 130 Mio. Euro (vier Prozent).
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Wenn man nun des Weiteren die bald allgemein bekannte Umsatzstatistik des Bundesverbands der Deutschen Heizungsindustrie e.V. (BDH) für 2018, als Spiegelbild des deutschen Wärmemarktes, dahinterlegt, dann kann man ungefähr erkennen, welche Rolle die nicht-fossilen Heizungstechnologien (sprich: die elektrifizierten Lösungen) heute im Unternehmen Bosch Thermotechnik spielen: Im Bundesgebiet wurden so vergangenes Jahr in Summe 732.000 Wärmeerzeuger abgesetzt. Davon basieren ziemlich genau 85 Prozent auf den fossilen Energieträgern Gas und Heizöl, wobei die Gas-Brennwerttechnik alleine 67 Prozent des Absatzes auf sich verbuchen konnte (= Umsatzplus von vier Prozent gegenüber 2017). Dementsprechend waren nur 15 Prozent der verkauften Wärmeerzeuger in Deutschland 2018 mit dem Prädikat "regenerativ" ausgestattet. Den größten Anteil daran hatte mit gut elf Prozent die Wärmepumpentechnik (= Umsatzplus von acht Prozent gegenüber 2017).
Das ist die Realität und der Status quo – zu Beginn des Transformationsprozesses im Wärmemarkt und im Unternehmen. Wie leicht wäre es, jetzt zu sagen: Seht' doch her, die fossile Heiztechnik dominiert voll und mit der Gas-Brennwerttechnik haben wir sogar einen waschechten Wachstumsmarkt vor uns! Wie leicht wäre es. Leicht – aber fatal. Denn man hätte nicht nur die "drei Ds" (sehr eigenwillig) interpretiert bzw. ignoriert. Man hätte auch überhaupt keinen Kulturwandel eingeleitet. Noch schlimmer: Man setzt sich selbst, peu à peu, auf das Abstellgleis. Drastisch ausgedrückt. Aber nochmal: Wir sprechen hier von tiefschürfenden Transformationen und von einer evolutionären Entwicklung und nicht von einer hektischen "Nacht- und Nebel-Aktion".
Bei Bosch Thermotechnik klingt das dann offiziell so: In der Heiz- und Klimatechnik gewinnt die Elektrifizierung zunehmend an Bedeutung, elektrische Lösungen stehen heute gleichberechtigt neben Gas- und Öl-Geräten. Das Angebot an Wärmepumpen, elektrischen Warmwasserlösungen und Klimageräten wird bei Bosch Thermotechnik ausgebaut. Das Unternehmen investiert in den kommenden Jahren rund 100 Mio. Euro in sein Wärmepumpengeschäft. Dabei fließen diese finanziellen Mittel nicht nur in eine deutliche Erweiterung des bestehenden Produktportfolios, sondern auch in Personal für den Vertrieb und operative Funktionen (Stichwort: Wandel der Firmenkultur durch Menschen/Überzeugungstäter) und in die Entwicklung von entsprechenden Plattformlösungen – alles mit dem Ziel, den Marktpartnern praxisorientierte, einfach zu installierende Wärmepumpensysteme zu bieten, inklusive eines Innen- und Außendienstes auf der Höhe der Zeit.
"Wichtig zu wissen dabei, Bosch Thermotechnik ist mit Entwicklungszentren im südschwedischen Tranås für Nordeuropa, in Wernau für Mitteleuropa und im portugiesischen Aveiro für Südeuropa gut positioniert. Klar, geografisch, aber auch von der entsprechenden Denke her, die es ermöglicht, Produkte regional zu optimieren. Wir reden hier ja auch von völlig unterschiedlichen Märkten, Menschen, Vorstellungen, Vertriebswegen, Wettbewerbern und, und, und. Was aber in allen drei Regionen ansteht, ist ein Wachstumsschub in Sachen Wärmepumpenanwendungen. Wir erwarten, dass sich die Märkte in Mittel- und Südeuropa vom Absatzvolumen her zwischen 2018 und 2025 mehr als verdoppeln werden. In Nordeuropa gehen wir von einem leichten Wachstum des Wärmepumpenmarktes aus, da das Marktumfeld hier schon etablierter ist. 2025 werden in Europa etwa 1 Mio. Wärmepumpen-Einheiten verkauft werden", unterstreicht Dr. Thomas Finke die Perspektiven und Regionsstrategie.
Apropos "Strategie": "Schwarz-Weiß-Malen geht dabei überhaupt nicht, nach dem Motto: Die fossilen Technologien sind generell überholt und die elektrifizierten Lösungen sind die alleinige Zukunft. So wird das garantiert nichts mit dem (internen) Kulturwandel. Vielmehr bauen wir sehr zielstrebig neue Fähigkeiten und Fertigkeiten für unser Wärmepumpengeschäft im Bereich »Residential Heating« auf und schauen uns die unterschiedlichen Märkte durchgehend lösungsorientiert an", so Dr. Finke, der gleich ein paar Beispiele für dieses Vorgehen und "Use Cases" (Einsatzszenarien) parat hat: "Der europäische Markt für Heizungswärmepumpen macht aktuell beeindruckende 95 Prozent des Weltmarktes aus (China ausgenommen). Da kann man nicht mit einem einzigen Produkt antreten und so tun, als sei das die »eierlegende Wollmilchsau«! Es bedarf vielmehr einer genauen regionalen und differenzierten Bedarfsanalyse und, darauf aufbauend, klare produktseitige Schwerpunktsetzungen. So haben wir uns in Nordeuropa zunächst hinter das Ersatzgeschäft mit Sole/Wasser- und Abluft-Brauchwasser-Wärmepumpen geklemmt. Mit Erfolg übrigens! In Schweden konnten wir zum Beispiel seit der Produkteinführung dieser neuen Abluft-Wärmepumpen unseren Marktanteil mehr als verdoppeln. Das Patentrezept hier: »User Experience«, den Installateuren zuhören, die örtlichen Aufstellbedingungen kennenlernen und dann vernünftige Produkte – besser: Problemlöser – kreieren. Wohlgemerkt: Im schwedischen Markt ist Bosch Thermotechnik (noch) nicht der Platzhirsch."
In Mitteleuropa richte man, laut Dr. Thomas Finke, den Blick verstärkt auf Neubauprojekte und hier speziell die schalloptimierten, vernetzbaren und hocheffizienten Luft/Wasser-Wärmepumpen. Die Luft/Wasser-Maschinen stünden auch in den südeuropäischen Gefilden im Fokus – ebenso, dem milderen Klima geschuldet, Anwendungen mit Luft/Luft-Wärmepumpen – allerdings habe man hier neben dem Neubau- auch das Ersatz- bzw. Austauschgeschäft im Auge.
Summa summarum: In den eingangs skizzierten Transformationsbewegungen mit den drei Katalysatoren "Dezentralisierung", "Dekarbonisierung" und "Digitalisierung" steckt also erhebliches Potential für die Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnikbranche. Wenn man eben die dafür notwendige Selbsterkenntnis mitbringt und die brachliegenden Chancen ergreift! "Im Bereich »Residential Heating« haben wir den Transformationspfad betreten und sind schon ein gutes Stück gegangen", resümiert Dr. Thomas Finke von Bosch Thermotechnik und zieht eine knackige Bilanz: "Die Elektrifizierung der Hausenergieversorgung schafft Arbeitsplätze!"
"Bosch Thermoteknik mot nya horisonter!" Frei aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt: "Auf geht’s Bosch Thermotechnik zu neuen Ufern!"
Donnerstag, 02.01.2020