Die Planer von Produktionsketten für die Industrie entdecken die Hochtemperatur-Wärmepumpe (HTWP).
Hochtemperatur-Wärmepumpen für industrielle Abwärme
Die Planer von Produktionsketten für die Industrie entdecken die Hochtemperatur-Wärmepumpe (HTWP).
Das hat erstens etwas mit zunehmender Erfahrung mit Wärmepumpen generell zu tun, zweitens mit der zunehmenden Vorgabe der Auftraggeber, eine umweltschonende Lösung anzustreben sowie drittens mit zunehmenden öffentlichen Fördergeldern für klimaschützende Investitionen. Welche Ansätze bieten sich an, generell und exemplarisch in der Milchwirtschaft?
Viele Industrieprozesse benötigen Wärme auf einem Temperaturniveau zwischen 80 und 140 °C. Gleichzeitig fällt in den Unternehmen industrielle Abwärme im Temperaturbereich von 20, 30, 40 °C und höher an. Diese Niedertemperatur lässt sich energiekosteneffizient mit Wärmepumpen auf den höheren Bedarf „hochspannen“, wenn der Temperaturhub nicht mehr als 50 oder 60 K beträgt. Doch greifen generell, über alle Industriesektoren gesehen, nur wenige Planer auf dieses Potential zu, es sei denn, die Niedertemperatur lässt sich unbehandelt direkt in Prozesse einbinden. Aktuell sieht es in Deutschland so aus: Der Energieverbrauch der Industrie bewegt sich bei rund 4.000 Petajoule. 18 Prozent davon fallen im Temperaturband bis 150 °C an. Durch die Ausweitung des Temperaturspektrums der Wärmepumpen auf eine Vorlauftemperatur von über 120 °C kann mit ihnen das große, bisher weitgehend brachliegende Abwärmeangebot erschlossen und so ein signifikanter Beitrag zur Vermeidung von CO2-Emissionen erreicht werden, zieht eine umfangreiche Technik- und Marktanalyse zu den Einsatzmöglichkeiten von Hochtemperatur-Wärmepumpen (HTWP) in der Industrie, mit Stand 2020, ein sinngemäßes Fazit. Sie stammt von der Interstaatlichen Hochschule für Technik Buchs NTB in der Schweiz und dort vom Institut für Energiesysteme. Einige Punkte aus der Veröffentlichung folgen gleich. Vorab aber noch einige Gedanken zur Wärmepumpentechnologie:
Der entscheidende thermodynamische Kunstgriff der Wärmepumpe ist der, dass sie im Betrieb den Eingangsdruck und die Temperatur eines Kältemittels via Kompressor erhöht und so den Beginn der Rückkondensation von der ursprünglichen Verdampfungstemperatur abkoppelt. Sie verschiebt den Beginn der Kondensation in einen höheren Temperaturbereich hinein. Die anfallende Kondensationswärme als aus der Abwärme aufgenommene Verdampfungswärme wechselt in den Heizkreis-Rücklauf und hebt ihn so zum Vorlauf an. Insgesamt gesehen findet ein Wärmetransport von unten nach oben, von kalt nach warm statt, eigentlich eine physikalische Ungewöhnlichkeit, um es moderat auszudrücken.
Im Prinzip orientiert sich die Konstruktion von HTWP deshalb an zwei Ansätzen: Der erste schaltet in ein und dem-selben Gerät zwei, drei oder vier Kältekreise, teils mit unterschiedlichen Standard-Kältemitteln und jeweils einem eigenen Kompressor hintereinander und kann so Quellentemperaturen von klassisch 0 bis 20 °C in Stufen auf 80 oder 90 °C „hochpumpen“. Da ist dann in der Regel Schluss. Der zweite Ansatz arbeitet mit speziellen Kältemitteln, deren Eigenschaften darauf abgestimmt sind, erst bei hohen Temperaturen oberhalb etwa 40 °C (Maschinenabwärme) zu verdampfen und Vorlauftemperaturen bis 150 °C zuzulassen.
In der ersten Gruppe dominieren bekannte Marken wie Buderus, iDM Energiesysteme, Hautec, Viessmann und andere. Der zweite Ansatz geht in Richtung Sonderkonstruktionen oder Spezialwärmepumpen. Die NTB hat sich vornehmlich eine Auswahl der infrage kommenden Maschinen dieses Prinzips mit einer Leistung von rund 50 kW bis 10 MW näher angeschaut. Und auch die Barrieren für die Verbreitung. Die Studienbearbeiter sehen erstens eine Skepsis auf Grund des Mangels an Wissen und Erfahrung mit solchen Aggregaten. Des Weiteren bremsten niedrige Energiepreise für fossile Brennstoffe den Einsatz aus und auf Industrieseite sei die HTWP deshalb nur eine Nische, weil sich das Angebot von Kältemitteln mit geringem Treibhauspotential für diesen Temperaturbereich in Grenzen halte beziehungsweise die verfügbaren Kältemittel hohe Ansprüche an die Konstruktion stellten. Der gemessene COP-Wert der verschiedenen industriellen Maschinen bewegt sich zwischen 2,4 und 5,8 bei einem Temperaturhub von 40 bis 95 K. Dr. Cordin Arpagaus von der NTB listet in der 115-seitigen Recherche die hauptsächlichen Abnehmer auf: Chemie/Pharma, Lebensmittel, Metalle, Papier. Er stützt sich dabei auf Daten der Eurostat ab, dem Statistischen Amt der Europäischen Union. Demnach können HTWP alleine im Sektor Lebensmittel und Getränke einen Wärmebedarf von rund 150 PJ decken und zwar in den Bereichen Trocknung, Verdampfung, Pasteurisierung, Sterilisierung, Destillation, Räuchern sowie Aufkonzentration.
Auf einige Details zur Implementierung der HTWP in diese Prozesse geht die Abhandlung „Herausforderungen einer klimaneutralen Milchverarbeitung“ ein. Der Autor, Prof. Dr.-Ing. Jörg Hinrichs, leitet das Fachgebiet Milchwissenschaft und -technologie an der Universität Hohenheim. Er ergänzt beispielhaft unter der Maxime „Weg von der Primärenergie“ die Recherche von Arpagaus mit Zahlen und Beispielen aus der Milchwirtschaft. Für Molkereien kommen die Aggregate in zweierlei Hinsicht infrage. Zum einen für die Kreislaufwirtschaft im eigenen Betrieb. Zum anderen als Energiequelle für externe Bezieher, zum Beispiel für das Nah- oder Fernwärmenetz der örtlichen Stadtwerke. In Wörgl in Tirol etwa speisen drei Hochtemperatur-Wärmepumpen von zusammen rund 4 MW jährlich etwa 21.000 MWh aus Österreichs zweitgrößter Käseproduktionsstätte „Tirol Milch“ in das kommunale Fernwärmenetz ein – mit Temperaturen von 85 bis 90 °C. Die Maschinen stammen von Frigopol in Frauental in der Steiermark. „Tine“, Norwegens größter Produzent von Milchprodukten, gehört als Kooperative jenen Landwirten, die das Unternehmen mit Rohmilch beliefern. Die neue Molkerei in Bergen versorgt die komplette Region mit Frischmilch, Sahne und Fruchtsäften. Die Krones AG aus Neutraubling entwarf gemeinsam mit „Tine“ ein Energiekonzept mit einem dreistufigen System aus Wärmepumpen und Kältemaschinen. Die Installation erzeugt mit vergleichsweise geringem Druck Temperaturniveaus von 67 und 95 °C für Heißwasser.
Traditionell verwenden die Lebensmittel- und Getränkeproduzenten inklusive der Molkereien zum Pasteurisieren und Ultrahocherhitzen fossil befeuerte Kessel. Die Produkte müssen anschließend wieder heruntergekühlt werden und mangels Abnehmer entweicht die niedertemperaturige Abwärme aus dem Kühlprozess ungenutzt. Im Fall Tine „recyceln“ HTWP die Abwärme der Kälte- und Druckluftanlage unter anderem für den Pasteurisator. Die CO2-Emissionen aus diesem Prozess sinken mit dem üblichen Strommix um etwa 50 Prozent und gehen mit grünem Strom gegen null. Als drittes Beispiel wird die „Molkerei Rücker“ im ostfriesischen Aurich zukünftig ihr Abwasser in ein kaltes Nahwärmenetz einspeisen. Generell dominiert in der heutigen Lebensmittelverarbeitung eine Kombination aus Wärmebehandlung und anschließender Kühllagerung für eine längere Haltbarkeit. Diese Parallelität von Heizen und Kühlen erhöht den Gesamt-COP erfahrungsgemäß auf 2 x COPH – 1
In der Formel ist COPH der Effizienzkoeffizient der HTWP im Heizbetrieb. Im gleichzeitigen Heiz- und Kühlmodus klettert mithin der COP Heizen/Kühlen von angenommen 3,5 für COPH auf einen Gesamt-COP von 6. Der Energieverbrauch der Anlage mit HTWP reduziert sich folglich auf gerade mal ein Sechstel gegenüber einer Ausführung ohne Hochtemperatur-Wärmepumpe.
Arpagaus hat den COPH von 14 Standard-Hochtemperatur-Wärmepumpen für einen Temperaturhub von 50 K aus-gewertet. Er pendelt um 45 Prozent des Maximums, bezogen auf den Carnot-Prozess. Der errechnet sich aus der Ausgangstemperatur HTWP (in Kelvin) geteilt durch den Hub. Wenn die Ausgangstemperatur also 100 °C oder rund 370 K beträgt und die industrielle Abwärme 40 °C hat, errechnet sich daraus ein COPH von 2,8 (= 370 : 60 x 0,45).
Die Universität Hohenheim untersuchte auf Basis der Ergebnisse von Arpagaus die Energiekostenvorteile für eine Molkerei bei Einsatz von HTWP. Die Umweltbewertung sei an dieser Stelle ausgeklammert, weil sich der Strommix immer mehr zugunsten erneuerbarer Energien verändert, sodass in Bezug auf die Klimaziele der Einsatz einer HTWP in jedem Fall ein Beitrag zum Klimaschutz leistet. Die Energiekosten sind allerdings das eine, die Investitionskosten das andere. Sie bedürfen der öffentlichen Förderung. Denn solange die Elektrizität für die Industrie das Dreifache gegenüber der Primärenergie, etwa Erdgas, kostet, amortisiert sich eine HTWP für die Lebensmittelhersteller nicht: Im Jahr 2020 betrug der Strompreis für die Industrie in Deutschland im Durchschnitt 8,5 Cent/kWh, während der Erdgaspreis bei 2,5 Cent lag. Bei diesem Verhältnis bestehen erst ab einem Gesamt-COP von 3,4 Energiekostenvorteile für die HTWP, zum Beispiel als Energielieferant für die Pasteurisierung. Bei Kühlwasser von 20 bis 30 °C als Energiequelle und einem Temperaturhub zwischen, je nach Zieltemperatur, 50 bis 70 K errechnet sich ein COP Heizen/Kühlen von etwa 3,5 bis 4,7. Für H-Milch demgegenüber müsste der Hub 110 K (von 30 auf 140 °C) betragen. Es stellte sich gerade mal ein Gesamt-COP von 2,3 ein. Die Energiekosten würden sich folglich erheblich verteuern.
Indes ist schwer abzuschätzen, welche Maßnahmen die neue Bundesregierung bzw. die „Ampel-Koalition“ zur Eindämmung des Klimawandels und damit zur Angleichung der Energiepreise beabsichtigt. Doch nicht nur der Staat ist gefordert. Die Solarindustrie gibt Molkereien mit photovoltaischen und thermischen Solarkollektoren direkte Instrumente zur Reduzierung der Stromkosten in die Hand. Die PV-Module generieren preiswerte Elektrizität, die Solarwärme-Kollektoren liefern Temperaturen zumindest zur Vorerhitzung, sodass das Delta T des Hubs im Einzelfall von 70 bis auf 30 und 40 K abschmilzt und damit der COP auf einen gesunden Wert von 5 oder 6 klettert.
Jörg Hinrichs nennt in seinem Referat einen Energiebedarf für die Verarbeitung der Rohmilch von 0,1 kWh/kg Milch und ein CO2-Äquivalent von 1 kg/kg Milch. Die Emissionen entstehen bei der Milcherfassung, der Verarbeitung, der Verpackung, dem Transport und dem Verkauf im Einzelhandel. Die rund 60.000 landwirtschaftlichen Betriebe beziehungsweise die vier Millionen Milchkühe in Deutschland produzierten 2020 laut Milchindustrieverband (MIV) 33 Mio. t Milch. Der deutsche Milch- und Käsekonsum verursachte demnach 33 Mio. t CO2, respektive 4,5 Prozent der jährlichen Treibhausgase aus heimischen Kaminen. Eine Halbierung des Schadstoffausstoßes allein in dem sehr schmalen Sektor Milchwirtschaft, unter anderem durch Rückgewinnung der Abwasserwärme, leistete bereits einen zählbaren Beitrag zur Einhaltung der angestrebten 1,5 °C-Linie. Das energiehaltige Abwasservolumen in Molkereien jedenfalls ist beträchtlich. Im Minimum fallen pro 1 m3 Milch 1 m3 Abwasser an. Ein nutzbares Delta T von 10 K angesetzt, fließen bei 33 Mio. m3 Milch folglich jährlich etwa 400.000 MWh in die Kanalisation.
Mittwoch, 13.04.2022