Seen („Seethermie“) und Flüsse als autarke Wärmespeicher stellen beinahe immerzu ausreichend Wärme zur Verfügung. Und zwar genügend, um selbst den Heizwärmebedarf größerer Liegenschaften nahe dem Ufer zu decken. Doch griffen die Planer in der Vergangenheit unter anderem aus Sorge vor aggressiven Inhaltsstoffen nicht gerne auf Oberflächenwasser für Wärmepumpen-Installationen zurück. Mit den richtigen Werkstoffen weicht mehr und mehr die Zurückhaltung. Großversorger bedienen sich dieser Quelle für Nah- und Fernwärmenetze. Harmoniebedarf besteht jedoch noch im Regelwerk.
Wenn Heizen und Kühlen verlangt sind, klettert die Effizienz von Fernwärme- und Kältenetzen bis auf den Faktor 8. Karl Ochsner sen., Wärmepumpen-Pionier und langjähriger Geschäftsführer von Ochsner Wärmepumpen, belegte das auf dem Großwärmepumpen-Kongress im Juni 2022 in München am Beispiel Vattenfall in der Hamburger City Nord. Die moderne Verwaltungszentrale mutet wie ein Neubau an, stammt aber schon aus dem Jahr 1969. Das Kältenetz der zwei Kältehalbwerke, das unter anderem für die Nutzer in der Verwaltungszentrale die Soll-Temperaturen bereitstellt, hängt an sieben Kältemaschinen mit zusammen rund 30.000 kW. Da auch die Wärmeseite Abnehmer hat, wandeln die Maschinen zu bestimmten Zeiten rund 15 kW elektrische Leistung in 100 kW Heiz- und Kühlleistung um. Wärmequelle: Umgebungsluft. Karl Ochsner: „Das ist die Zukunft“.
Noch stabilere Verhältnisse über das Jahr gesehen gestattet Flusswasser. Aktuell unterstützt im Rahmen des Reallabors der Energiewende „Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen“ das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fünf Großwärmepumpen an verschiedenen Standorten in Deutschland. Eine davon in Mannheim. Der Spatenstich hat im April 2022 stattgefunden. Die Installation nutzt, laut Plan, ab diesem Jahr das Flusswasser des Rheins als klimaneutrale Wärmequelle, um Fernwärme zu erzeugen.
Die Großkraftwerk Mannheim AG (GKM) errichtet die nachhaltige Wärmeerzeugung im Auftrag des Versorgers MVV mit einer thermischen Leistung von etwa 20 MW und einer elektrischen Leistung von 7 Megawatt. Mit dem COP von knapp 3 dürfte der Neubau eine der größten Flusswasser-Wärmepumpen in Europa sein. Das Wissen und Know-how, das im Reallabor gewonnen wird, soll später dazu beitragen, mit weiteren Wärmepumpen zusätzliche grüne Wärme zu erzeugen. Das technische Potential ist sehr groß: Allein in Mannheim könnten Rhein und Neckar selbst bei konservativer Schätzung mindestens 500 MW thermisch entzogen werden. Das reicht aus, um rund 50.000 Haushalte mit Wärme zu beliefern. Das Flusswasser des Rheins in Mannheim wird im Sommer bis 25 °C warm, im Winter sind es etwa 5 °C. GKM wird dem Strom 2 bis 5 K entnehmen und durch Kondensation des Kältemitteldampfs das Fernheizwasser auf 83 bis zu 99 °C temperieren.
Uneinheitliches Regelwerk
Was generell zur Zurückhaltung hinsichtlich der Verwertung der Ressource Oberflächenwasser als Energiequelle führt: In vielen Bereichen des Baurechts, des Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzes stützen sich Landes- und Kommunalrecht nicht auf einheitliche technische Regeln und Vorschriften ab. Im Großen und Ganzen ja, im Detail nicht. So auch im Wasserrecht. Auch das ist ein Hemmschuh für die Wärmewende, weil die Planungsbüros nicht auf Blaupausen zurückgreifen können, sondern von Projekt zu Projekt spezifische örtliche Auflagen berücksichtigen müssen. Es wechseln zum Beispiel von Ort zu Ort die Regeln für die Beantragungen und die Bewertung der Gewässernutzung für Wärmepumpen. Diese Kritik beziehungsweise die damit verbundene Forderung an die Politik, ein einheitliches Regelwerk zu erlassen, war zwar nur ein Nebenthema auf dem letztjährigen Großwärmepumpen-Kongress. Doch gehört das wechselnde und verkomplizierte behördliche Verfahren nicht selten zu den Hauptpunkten, warum sich Projektanten und Auftraggeber gegen die bessere Lösung entscheiden. Etwa gegen Oberflächenwasser als Energiequelle für die Wärmepumpe.
Keine Gefahr für Fische und Pflanzen
Die Uneinheitlichkeit bezieht sich weniger auf die eingeleiteten Wassertemperaturen, sondern vielmehr auf die Wasserverträglichkeit der eingesetzten Materialien. Welche Absonderungen der Werkstoffe mögen die Fische und die Pflanzen nicht? Oliver Rosteck, bei Johnson Controls für Großwärmepumpen und Fernwärmenetze zuständig: „Unter Umständen kann das bis fünf Gutachten bedeuten. Manche Untere Wasserbehörde begnügt sich mit einer eventuell schon verfassten Expertise für eine Nachbargemeinde, eine andere will eben bis fünf Sachverständigen-Bewertungen. Damit zieht sich das gesamte Vorhaben in die Länge, je nachdem, wie schnell die Beteiligten arbeiten. Die Habecksche Version ist die, alles zu vereinfachen und zu beschleunigen. Das ist tatsächlich ganz wichtig. Wir spüren ja die steigende Nachfrage der Versorger, sehen uns aber in der Frage der amtlichen Zusage immer wieder vor Schwierigkeiten gestellt.“
Dabei würden sich die etwa 15.000 infrage kommenden Flüsse in Deutschland als sehr effiziente Ressource erweisen. Rosteck brach mit seinem Referat „Flusswasser: Unterschätzte Quelle für Wärmepumpen“ quasi eine Lanze für diese Umweltenergie. Unterschätzte Quelle vor allem, weil die selbst von Januar bis März selten unter eine Temperatur von 4 °C falle. Damit gestatte sie, mit zum Beispiel Ammoniak als Kältemittel, einen Wärmeentzug von durchgängig 7 K. Wie im präsentierten Beispiel „Rosenheim“. Der Referent verantwortet bei seinem Arbeitgeber die strategische und operative Weiterentwicklung der Segmente Fernwärme und Großwärmepumpen in Deutschland sowie in der Schweiz. Die Wärmepumpen kommen von Johnson Controls bzw. den Tochterunternehmen Sabroe in Dänemark und York. Rosteck nannte als Jahresarbeitszahl für ein 90/70-°C-Nah- oder Fernwärmesystem 2,9 für eine Großwärmepumpe mit einer Leistung von 1.650 kW und für ein 70/50-°C-System 3,4.
iKWK mit Elektrodenkessel
Die Stadtwerke Rosenheim nahmen im Frühjahr 2022 im Erweiterungsbau ihres Müllheizkraftwerks drei zweistufige Kolbenschraubenverdichter-Wärmepumpen von Sabroe mit einer Heizleistung von rund 1.600 kW und einer Kälteleistung von 1.100 kW in Betrieb. Als CO!SUB(2)SUB!-Einsparung errechneten die Planer pro Wärmepumpe etwa 880 t jährlich bei einer angestrebten Wärmeerzeugung von 6.200 MWh. Die gesamte Technik firmiert unter iKWK – für innovative Kraft-Wärme-Kopplung.
Die setzt voraus, dass zur Flexibilisierung der Stromentnahme und der Stromerzeugung auch ein Elektrokessel sowie ein Gas-Wärmeerzeuger bereitstehen. Die Umweltwärme liefert der örtliche Mühlbach. Die Maschinen speisen in das Fernwärmenetz ein. Bei der Vorlauftemperatur bis 88 °C und einer Wärmequellentemperatur von nur 1 °C beträgt der COP, nach Plan, immer noch etwa 2,5 (Kältemittel: Ammoniak, GWP = 0).
Der Energiekonzern EnBW gibt für seine im Bau befindliche Großwärmepumpenanlage (Heizleistung: 21,5 MW) im Heizkraftwerk Stuttgart-Münster einen COP von 3,03 an (Wärmequelle: 9 °C, Wärmesenke: 65 °C). Die Umweltfreundlichkeit erhöht hier das Kältemittel R1234ze, dessen GWP unter 1 liegt.
Edelstahl oder Titan
Das schon angesprochene Materialthema löst Johnson Controls in der Regel mit Edelstahlwärmeübertragern. Zwar könne die Wasseranalyse, je nach Einleiter, am Flussufer von Abschnitt zu Abschnitt wechseln, aber die verwendeten Edelstahlsorten seien robust und meist auch mit einer automatischen Reinigung versehen, die sie im Turnus von Biofilmen befreie. Nur in besonderen Spezialfällen müsse man auf Titan zurückgreifen.
Oberhalb des Kommunalrechts gelten in diesem Kontext vor allem folgende Vorschriften und Genehmigungen:
- Wasserhaushaltsgesetz,
- Verordnung zum Schutz der Oberflächengewässer,
- Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen,
- Richtlinie 2014/80/EU zur Änderung von Anhang II der Richtlinie 2006/118/EG zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung.
Die Genehmigung erteilt die Untere Wasserbehörde. Der ist vor allen Dingen die Menge und Temperaturdifferenz der Entnahme zu nennen und ihr sind die Sicherheitsmaßnahmen und Überwachungsanlagen sowie ein Maßnahmenplan für den Havariefall aufzuzeigen.
Vorreiter Züricher Rathaus
Die Literatur führt die Schweiz als Vorreiter der Wärmepumpen mit Flusswasser auf. Das bekannteste Beispiel, installiert in den 30er-Jahren im Züricher Rathaus, bedient sich der Wärme der Limmat. Die Pioniertat begründet sich aber nicht mit einem besonderen Fortschrittsgeist der regionalen Planer und Anlagenbauer, sie hat eine ganz profane Erklärung: Bis dato wurden die Räume des ehrwürdigen Sitzes der Stadtregierung mit Holzöfen beheizt. Diese Wärmeerzeuger sollten durch eine zentrale Kohleheizuung ersetzt werden. Es fehlte aber der Platz zur Lagerung des Brennstoffs. Nun steht das Rathaus in der Limmat und hat keinen Keller. Also entwickelte Escher Wyss eine Lösung mit einer Wärmepumpe, die noch heute bei einer mittleren Temperatur von 7 °C für die Energiequelle während der Heizperiode hin und wieder Dienst tut. Allerdings nur noch eine Stunde pro Woche, um generell betriebsfähig zu bleiben: 2001, nach über 60 (!) Arbeitsjahren, stellte man dem Denkmal eine Neuanlage zur Seite. Übrigens, als Novum für ganz Europa, konnte die Anlage auch im Sommer zur Kühlung eingesetzt werden. Apropos: Der nächste Großwärmepumpen-Kongress findet am 25. Mai 2023 in Zürich statt.