Die Brunnenstraße in Berlin. Hinterhausidylle, an der Zille seine Freude gehabt hätte. Vorn die belebte Geschäftsstraße; wenige Meter entfernt von der Stelle, an der im August 1961 der 19-jährige DDR-Grenzpolizist Conrad Schumann über die Stacheldrahtrollen an der Ecke Bernauer/Ruppiner Straße sprang und in "den Westen" flüchtete. Ein kleines Hinweisschild nur auf Thermondo, obwohl das Start-up im Backstein-"Hinterhaus" allein schon lange nicht mehr genug Platz hat, sondern nach und nach allen freien Raum anmietet, der sich in der Nachbarschaft anbietet.
Etwa 150 Mitarbeiter arbeiten hier, weitere 135 als angestellte Handwerker bundesweit für den "deutschen Marktführer für Heizungswechsel in Ein- und Zweifamilienhäusern", wie sich das 2012 gegründete Unternehmen selbst bezeichnet. An der Spitze: Mitbegründer Philipp A. Pausder. Groß, schlank, sportlich – man sieht ihm den Ex-Basketballer an, der unter anderem in der zweiten Liga gespielt hat. Exakt zwei Meter ist er nach eigenem Bekunden – ein Gespräch auf Augenhöhe also, denn der Chronist, vormals ebenfalls in dieser Sportart daheim (wenn auch bei weitem nicht so erfolgreich), misst ähnlich…
Förderung im Leistungspaket
Aber es geht nicht um die entfernte Vergangenheit im Sport, sondern um das Hier und Jetzt im bundesdeutschen Heizungshandwerk. Das auf neue, auf zeitgemäße, sprich: vor allem auf digitale Füße zu stellen, ist Thermondo ja bekanntlich angetreten. Will heißen: online anbieten, online kalkulieren, real installieren. Und die politisch gewollte angestrebte Energiewende, die sich eigentlich nur im Heizungskeller materialisieren kann, ist wieder ein kleines Stückchen weiter gekommen. So sieht Philipp Pausder das.
"Bundesweit sind etwa acht Prozent aller KfW-geförderten Austauschmaßnahmen im Heizungskeller durch Thermondo realisiert worden." Der häufigste Anwendungsfall ist dabei der Ersatz eines alten Gas-Heizgerätes durch einen neuen Gas-Brennwertkessel. "Natürlich inklusive hydraulischem Abgleich, gegebenenfalls notwendigem Pumpentausch und allem sonst, was außer der Grundverrohrung im Gebäude im Rahmen des Heizungstausches so notwendig ist", sagt Pausder. Und verweist dabei auf das Service-Rahmenprogramm von Thermondo "inklusive der gesamten Beantragung von möglichen Fördermitteln".
Das ist für die Kunden insofern interessant, als Thermondo schon vom ersten Tag an auch Solaranlagen mitverkauft hat und jetzt das Geschäftsfeld Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) in Gestalt der Brennstoffzelle vor sich hertreibt. Beide Technologien sind bekanntlich in unterschiedlichsten Förderprogrammen, beispielsweise von der KfW, fest verankert.
Bei der Brennstoffzelle werden Panasonic und Elcore installiert, denn da stimme neben der Qualität auch die Dimensionierung auf die Zielgruppe, eben den Ein- und Zweifamilienhausbereich, so der Thermondo-Chef: "Wir verkaufen und installieren mehr Brennstoffzellen-Heizgeräte als alle anderen Handwerker im Land." Wobei die Festlegung auf diese beiden Hersteller eher die Ausnahme ist. Ansonsten werde installiert, was der Kunde wünscht, und was objektspezifisch technisch am sinnvollsten ist: "Wir respektieren die Markenpräferenzen der Kunden. Thermondo selbst agiert markenneutral." Entsprechend finden sich auch auf der Homepage die Logos aller namhaften Heiztechnik-Hersteller – selbst wenn die nach eigenem Bekunden nicht wirklich begeistert sind von der handwerklichen Sonderrolle, die Thermondo in der Branche spielt. Doch die gehen ganz entspannt damit um, bauen im Internet zum Beispiel sogar die passend benamten Landingpages…
Durchstrukturiert statt grob konzipiert
Wobei es Philipp Pausder absolut unverständlich ist, warum Thermondo generell so kritisch begegnet wird: "Der herkömmliche Fachhandwerker rückt für den Heizungstausch nur mit einem Grobkonzept beim Kunden an. Wir haben das Ganze einfach beschleunigt, indem wir online und am Telefon oder auch bei einem Hausbesuch schon in der Planungsphase bis zu 140 Datenpunkte zu dem jeweiligen Projekt abfragen. Daraus wird dann präzise passend von unserem Algorithmus »Manfred« ein entsprechendes Anlagenkonzept erstellt. Ein Meister prüft es im anschließenden technischen Check gegen. Letztlich wird das Projekt vor Ort ohne aufwändige Lagerhaltung oder überflüssige Materialfahrten zum örtlichen Großhandel umgesetzt. So geht Heizungsbau heute!"
Was die etablierten Strukturen daran stört, lässt sich einfach beschreiben: Der Preis spielt dabei eine maßgebliche Rolle, mit dem Thermondo in der Startphase online in die Offensive ging. "Klick, klick, klick – sechs Klicks zum (Heizungs)Glück", titelte dazu mal ein großes Internet-Branchenportal im vergangenen Jahr. Das Sparversprechen ("bis 2.000 Euro günstiger") gab es gleich gratis dazu. Heute fragt Thermondo noch genauso ab. Aber seriöser; ohne marktschreierische Einsparmöglichkeiten vorneweg. Geblieben ist der ganz einfache und intuitiv geführte Weg für den Endkunden: ein paar mit Abbildungen hinterlegte Kernfragen zum Start, die Fotogalerie als Ergänzung, damit sich die Berliner beim Kalkulieren ein genaueres Bild machen können – und dann geht die elektronische Post ab, die im "Festpreisangebot statt Kostenvoranschlag" mündet, wie Philipp Pausder einmal mehr auf eine Schwäche des Handwerks vor Ort verweist: "Wir wollen für unsere Kunden Transparenz und Einfachheit sicherstellen." Das kommt an: An einem beliebig ausgewählten Wochentag haben bis kurz vor Mittag schon 77 potenzielle Interessenten solch einen Durchlauf am Bildschirm absolviert; zählt der Counter unten auf der Seite.
Wie viele dieser Anfragen tatsächlich in einem Auftrag münden – das sagt Philipp Pausder allerdings nicht. Aber dass durchaus Aufträge abgelehnt werden, wenn sie technisch nicht sinnvoll machbar seien. Oder wenn sie Wärmepumpen betreffen oder KWK-Anlagen außerhalb der Brennstoffzelle. Oder wenn es um Neubau geht. Thermondo hat ein klares Profil: der Spezialist für den effizienten Heizungstausch im Bestand.
Wobei die Effizienz für den gesamten Abwicklungsprozess gilt. Die Geschäftsanbahnung ist online genauso schlank und direkt wie die nachfolgenden Prozesse, wenn es an die Umsetzung geht. Alles sollte so gut und detailliert vorbereitet sein, dass es nach den Materiallieferungen just-in-time auf die Baustelle dort keine Überraschungen und damit keine zusätzlichen Fahrten, zum Beispiel zum örtlichen Großhandel, mehr gibt. "Wir sind kein preis-, sondern ein operationsgetriebenes Unternehmen, das Marketing kann", beschreibt Philipp Pausder die Philosophie dahinter.
Präsenz vor Ort entscheidend
Was umgekehrt bedeutet: Der ursprünglich eine kurze Zeit verfolgte Ansatz, mit Subunternehmern vor Ort zu arbeiten, ist aufgegeben worden. Heute fährt und schraubt eigenes Fachpersonal beim Endkunden: "Sonst können wir das von uns garantierte Qualitätsniveau nicht halten." Vor allem, weil "auch in Zukunft immer noch zwei Mann im Heizungskeller die neue Heizung verbauen, und wir damit die entscheidende Schnittstelle zum Endkunden sind." Denn alles entscheidend sei doch letzten Endes in dem hochinteressanten Sanierungsgeschäft, wem die Kundenbeziehung gehöre. Also das, was in der Telekommunikation quasi die letzte Meile ist…
Um die zu stabilisieren, investiert Thermondo massiv in die Präsenz in der Fläche: "Die Fachhandwerker von Thermondo sind genauso vor Ort wie jeder andere Fachhandwerker auch, im Durchschnitt 30 bis 40 Kilometer vom Endkunden entfernt." Zudem gebe es den zentral gesteuerten Service mit First- und Second-Level-Support in Berlin und mit 20 Servicetechnikern deutschlandweit: "Wir verbinden auch hier die digitale Welt mit dem Alltag des Fachhandwerkers zu einer Prozessexzellenz, die es in dieser Form im Heizungsbau noch nicht gegeben hat."
Dass das Nachahmer, zumindest Aktivitäten im Online-Verkauf, auf den Plan ruft, ist Philipp Pausder mehr als bewusst: "Wir freuen uns über jeden Wettbewerb und jeden Nachahmer." Obwohl es die wenigsten – schwingt dabei mit – wirklich mit der ausgefeilten Tiefe und konzeptionellen Positionierung von Thermondo aufnehmen können: "Die Heizungsbranche hat sich trotz des immer wieder beklagten Sanierungsstaus im Heizungskeller in den vergangenen Jahren durch immer dasselbe Handeln ausgezeichnet – der Markt ist dabei nicht größer geworden."
Und die Finanzen?
In vielem, wie Philipp A. Pausder die Heizungswelt im Lande bewertet, legt er die Finger in mehr oder weniger offene Wunden. Wunden, die von anderen als solche nur deswegen nicht wirklich wahrgenommen werden, weil im Handwerk einfach genug Arbeit da ist. Und weil die Energiewende im Heizungskeller so lange abstrakt bleibt, so lange der Energiepreis noch so niedrig und damit der Leidensdruck beim Endkunden noch so schwach ist. Die intensiven Diskussionen in den vergangenen Monaten, beispielsweise um das Vertriebs- und Serviceangebot "HeizungOnline" von Vaillant oder die vom Fachverband SHK NRW unterstützte "Thermobox" der GC-Gruppe, bestätigen das: Es gibt etablierte Strukturen, die (noch) sehr gut ohne den zweifellosen Nutzen der Internet- und damit der Online-Welt auskommen. Die selbstbewusst und arriviert schlichtweg ignorieren können, wie massiv sich die Absatzkanäle von Consumer-Elektronik und Individualmobilität, von Möbelhandel und Modebranche in den vergangenen Jahren verschoben haben – und die problemlos weiter davon träumen können, auf einer "Insel der Glückseligen" von dieser Entwicklung verschont zu werden. Weil: Man ist ja "das Handwerk".
Wie lange diese Haltung haltbar ist, sei dahingestellt. Allerdings gilt umgekehrt genauso: Wie lange Thermondo auch weiterhin tief in den roten Zahlen operieren kann, bleibt es ebenfalls. Erst Ende Mai hatte Thermondo bei seinen Gesellschaftern Global Founders Capital (dem Investmentvehikel von Rocket Internet, die u. a. auch Zalando finanzieren), E.ON, Holtzbrinck Ventures, der Investitionsbank Berlin sowie Picus Capital 23,5 Millionen Euro Kapitalerhöhung aufgenommen. Dieses Risikokapital werde unter anderem benötigt, um Thermondo zu einem "integrierten Energieunternehmen" auszubauen, das jetzt sogar ein Gasprodukt sowie die Heizung zum Monatstarif als "Leasingheizung" anbietet.
Wie hoch der insgesamt dahinter stehende Umsatz ist, lässt sich nur schätzen. Legt man ausgehend von einer Bürgel-Zahl aus 2013 (eine Million Euro) die selbst genannten Wachstumszahlen zugrunde, dürften es in 2015 etwa 6,5 Millionen gewesen sein. Genauso dynamisch haben sich aber auch die Verluste entwickelt. Gut 300.000 waren es 2013, mehr als 1,8 Millionen ein Jahr später. Aktuellere Werte liegen nicht vor, da Thermondo dazu auf konkrete Nachfrage keine Angaben macht.
Philipp A. Pausder jedenfalls reagiert auf diese Nachfrage knapp: "Wir betreiben Innovation, und wir wachsen stark. Beides kostet Geld. Das ist der Grund, warum wir Investoren gesucht und gefunden haben, die unsere Vision von einem integrierten Energiedienstleister teilen."
Aber wann denn damit Geld verdient werde? Philipp Pausder schüttelt ob so viel, durch die nachgeschobene Frage gewissermaßen bestätigte, Ignoranz seines Gesprächspartners nur den Kopf. Augenscheinlich trifft hier "old school" auf "new economy", nicht nur sprachlich. In der zugegebenermaßen smarten Start-up-Atmosphäre im Backstein-"Hinterhaus" an der Berliner Brunnenstraße. Nur wenige Meter entfernt von der Stelle, an der 1961 auch dem jungen DDR-Grenzpolizisten Conrad Schumann mit einem beherzten Sprung über den Stacheldraht die Landung in eine neue, freie Welt gelang.
Inwieweit die großen, visionären Sprünge, die Thermondo auf der Agenda hat, dabei allerdings durch eine Passage aus dem Jahresabschluss 2014 belastet werden, soll hier und jetzt dahingestellt bleiben: "Der Fortbestand der Gesellschaft ist von der weiteren finanziellen Unterstützung der Gesellschafter abhängig, soweit die der Unternehmensplanung zugrundeliegenden Annahmen nicht eintreten." In früheren Abschlüssen fehlt dieser Hinweis…