Erdgas, LNG, Flüssiggas, LPG – und Erdölbegleitgas: Ein relativ unbekannter Energieträger dürfte die Ausnahme als Brennstoff für zum Beispiel Blockheizkraftwerke (BHKW) bleiben. Aber wegen der steigenden Gas- und Ölpreise gewinnt er an Attraktivität. Deutschlands größte Öllagerstätte Mittelplate bietet es bei der Förderung des fossilen Energieträgers aus 2.000 bis 3.000 m Tiefe quasi als Nebenprodukt an. Von der kleinen Bohr- und Förderinsel am südlichen Rand des schleswig-holsteinischen Wattenmeers gelangt es, nach Trennung und Aufbereitung in der Landstation Friedrichskoog, durch Rohrleitungen in das angebundene Gesundheits- und Therapiezentrum GTZ Friedrichskoog.
Erdölbegleitgas ist ein flüchtiger Bestandteil des Erdöls und fällt bei der Rohölgewinnung als Nebenprodukt an. Der Energieträger entsteht bei der Förderung aus der Lagerstätte an die Erdoberfläche, von einigen hundert Bar untertage auf beinahe Atmosphärendruck übertage. Aufgrund der veränderten Druckverhältnisse entspannt sich das homogene Gemisch. Dabei teilt es sich in einen Teil Erdöl und zwölf Teile Erdölbegleitgas auf. Im Vergleich zu normalem Erdgas hat es unter anderem einen etwas höheren Energiegehalt. Erdölbegleitgas firmiert auch unter Leuchtgas und Fettgas – und in der Vergangenheit unter Stadtgas.
Früher – und anderswo auch noch heute – fackelten es die Ölgesellschaften einfach ab. Im Nationalpark Wattensee fließt das Öl-Gas-Gemisch über eine 15-Zoll-Pipeline aus Edelstahl fließt das Öl-Gas-Gemisch von der Insel zur zehn Kilometer entfernt liegenden Landstation Dieksand, wo es geringfügig aufbereitet wird. Es reicht ein Trocknungsprozess, um den Wasseranteil zu entziehen, um anschließend im BHKW des GTZ Arbeit zu verrichten. Das Therapiezentrum entnimmt über eine 850 m lange Pipeline (Durchmesser: 50 mm) den Speichern pro Tag etwa 80 m3.
Wie genau sehen die Versorgungsstrukturen mit Erdölbegleitgas aus? Die HeizungsJournal-Redaktion schaute sie sich in Friedrichskoog an.
Die Kommune liegt im Landkreis Dithmarschen und am Mündungsdelta der Elbe in die Nordsee. Das Gesundheits- und Therapiezentrum Friedrichskoog mit Meerwasser-Thermalbad bietet ein ganzheitliches Konzept für Kur, Spa und Wellness. Den Alltagsstress abstreifen. Draußen, sieben Kilometer vor der Küste Dithmarschens, steht seit Juni 1985 die Bohr- und Förderinsel Mittelplate – noch bevor das Gebiet zum Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer erklärt wurde. Auf diesem Flecken gewinnt Wintershall Dea seit Oktober 1987 aus bis zu 3.000 m Tiefe Erdöl. Jeden Tag etwa 2.500 t. Das Erdölbegleitgas als Beifang des Öls, so würden die Fischer sagen, sorgt für die Klimabehaglichkeit in der Wellness-Oase.
Deutschlands größte Öllagerstätte
Mittelplate gilt als Deutschlands größtes Ölfördergebiet. Der Betreiber Wintershall Dea hat in den 35 Jahren störungsfreier Produktion mittlerweile 40 Mio. t Öl havariefrei gewinnen können. Ursprünglich steckten 120 Mio. t Erdöl im Sandstein; der speichert folglich noch einiges. Die Förderbewilligung läuft deshalb bis Ende des Jahres 2041. Besonders erwähnenswert ist die angewandte horizontale Bohrtechnik. Die ölhaltigen Stockwerke des Dogger-Sandsteins in 2.000 bis 3.000 m Tiefe sind von einigen Quadratkilometern Ausdehnung, messen aber in der Mächtigkeit zum Teil nur einige Meter. Die extrem weit abgelenkten Horizontalbohrungen, mit denen das Öl an die Oberfläche geholt wird, zählen mit bis zu zehn Kilometern Reichweite zu den längsten Bohrungen weltweit. Sie verlaufen von der Insel kommend zunächst vertikal. Eine Navigationselektronik gibt die Richtung vor: Der Computer lenkt den Vormarsch später in die Horizontale ab. Der hydraulische Druck der Spül- und Kühlflüssigkeit treibt Turbine und Bohrmeißel an.
Sicherheit und Umweltschutz gewährleistet ein komplexes Konzept, das alle Anlagenteile durch Überwachungs- und Steuerungssysteme mehrfach kontrolliert. Untertage- und Übertagesicherheitsventile können sowohl automatisch, manuell und per Fernbedienung ausgelöst werden. Jegliche Abfallprodukte, von der Eierschale bis zu verschlissenen Bauteilen, gehen zur Wiederaufbereitung respektive Entsorgung an Land. Nichts gelangt in die Nordsee.
Nicht aggressiv
Selbstverständlich auch kein Öl und kein Erdölbegleitgas. Das Gas hat eine etwas andere Zusammensetzung als Erdgas. „Darauf müssen wir aber technisch nicht reagieren. Die Maschinenelemente kommen damit zurecht“, betont der Technische Betriebsleiter der Karl Meyer Energiesysteme GmbH, Hauke Leidecker. Das Unternehmen hat in Wischhafen, drüben auf der anderen Seite der Elbe, seinen Hauptsitz. Karl Meyer ist KWK-Spezialist und im norddeutschen Raum Premiumpartner des BHKW-Herstellers EC Power. Die Gruppe hat einige Hundert Maschinen dieses Anbieters installiert und im Service. Sie laufen unter der Typenbezeichnung „XRGI“.
Das lediglich getrocknete Erdölbegleitgas verbrennt in einem „XRGI 15“ mit 15 kW elektrisch und 30 kW thermisch. Das Aggregat temperiert Räume der fußbodenbeheizten Einrichtung und hält das Wasser im Therapiebad des GTZ auf 32 °C. „Die Maschine läuft seit neun Jahren, seit 2013. Probleme hat es bisher nie gegeben. Wegen des etwas höheren Schwefelanteils drosselten wir ursprünglich die Wartungszyklen, um auf Nummer sicher zu gehen. Mittlerweile dürften aber auch die bei den angegebenen 8.500 Stunden liegen. Das »XRGI 15« hier im GTZ arbeitet fast 24 Stunden am Tag durch. Wir kommen auf rund 8.000 Stunden im Jahr.“
Eine Frage der Düse
Deshalb sei auch der Austausch gegen einen leistungsstärkeren 20-kW!SUB(el)SUB!-Typ bereits unterschrieben. Der soll in nächster Zeit erfolgen. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Standardmaschine, die ohne jede Umbaumaßnahme – wie übrigens sämtliche Typen von EC Power – mit dem Erdölbegleitgas klarkommt. „Das ist einzig und alleine eine Frage der Einstellung des Brennstoff-Luft-Gemischs“, geht Leidecker auf diesen Punkt genauer ein.
Trotz fossilem Energieträger steige zumindest bei Karl Meyer die Nachfrage nach Blockheizkraftwerken. Das hat etwas mit der ausgereiften Ausführung zu tun – wie gesagt, seit neun Jahren keine erwähnenswerte Störung in Friedrichskoog – und dem Ausbau der „Erneuerbaren“ in Deutschlands windreichstem Bundesland. Das heißt, man braucht als Ergänzung ein flexibles Stromerzeugungssystem, das dazu beiträgt, die periodischen Lücken zu stopfen. KWK bietet sich dafür an – wenn Wärmeabnehmer ganzjährig zur Verfügung stehen. Wie etwa das GTZ Friedrichskoog.
300.000 Übernachtungen jährlich
Für Bürgermeister Bernd Thaden war die Unterzeichnung des Vertrags mit Wintershall Dea ein Glückstreffer. Der Umweltschutz, vertreten durch den BUND, stemmte sich nicht groß dagegen, denn die Gemeinde verfeuerte vorher reines Heizöl. Die Gemeinde Friedrichskoog ist insofern in den technischen Betrieb involviert, als sie Teilhaber am GTZ ist. Die Gesundheitseinrichtung, das Reizklima der Nordseeküste und der Badestrand bescheren ihr laut Bürgermeisteramt jährlich 300.000 Übernachtungen und 30.000 Kurende. „Wir fügen Gesundheit, Wellness und Freizeit zu einem ganzheitlichen Angebot zusammen“, erklärt eine Broschüre das Konzept. Das kommt offensichtlich an.
Die gesamte Produktion des Feldes Mittelplate (Erdöl, Erdölbegleitgas und Erdölgaskondensat) wird über Pipelines direkt zu den regionalen Abnehmern in Heide und Brunsbüttel geleitet. Das GTZ in Friedrichskoog hängt an einer Nebenleitung. Den Großteil des Erdölbegleitgases kauft das Unternehmen Sasol und wandelt ihn in Prozesswärme für die Produktion um – unter anderem für Vorprodukte zur Herstellung von Waschmitteln. Ein Viertel des Mittelplate-Öls fließt in die Raffinerie in Heide. Die stellt daraus die klassischen Mineralölprodukte her wie Kraftstoffe und Heizöl sowie spezielle petrochemische Erzeugnisse. Die verbleiben im weltweit achtgrößten Chemiepark, dem ChemCoast Park Brunsbüttel, als wichtige Vorprodukte und Basisstoffe für Tausende Dinge des Alltags: von der Kopfschmerztablette bis zum Smartphone. Rund 1.000 hoch qualifizierte Jobs stehen in direktem Zusammenhang mit dem heimischen Erdöl von der Mittelplate.
Energie unterstützt die Gemeinde
Was bezahlt das GTZ für das Erdölbegleitgas an Wintershall Dea? „Wir geben das Erdölgas im Rahmen eines Sponsorings bislang kostenlos an die Gemeinde ab“, erläutert Wintershall Dea-Pressesprecher Derek Mösche: „Das heißt aber auch, dass unsere Verantwortung am Zaun der Landstation endet. Der Bau, die Wartung sowie der Betrieb der Leitung zum GTZ liegen in der Verantwortung der Gemeinde.“ Wintershall Dea möchte durch dieses Engagement die Kommune unterstützen und den Status von Friedrichskoog als Heilbad gewährleisten.
Bürgermeister Thaden hat selbstverständlich Gefallen an der bewährten Kooperation gefunden: „Unser Amt prüft gerade, ob wir die Grundschule und den Kindergarten ebenfalls auf Erdölbegleitgas umstellen können. Da stehen noch reine Ölheizungen aus den 70er-Jahren. Die sollten jetzt eigentlich auf Erdgas umgerüstet werden. Ein Ingenieurbüro schaut sich nun an, ob Erdölbegleitgas als Alternative in Frage kommt.“