Die Transformation der Pariser Beschlüsse in konkrete Systemtechnik ruft Akteure aus verschiedenen Branchen auf den Wärmemarkt. Doch ohne fundierte heizungstechnische Kompetenz geht hier wenig – wie auch wenig ohne profunde IT-Kompetenz geht. Also entstehen derzeit landauf, landab Kooperationen zwischen neuen und etablierten „Playern“ mit der Intention, Smart Grids aufzubauen. Die könnten Blaupausen für andere Versorger sein. Deshalb hat bereits ein Wettbewerb der Modelle begonnen.
Ein Beispiel
Für den 16. September 2017 sagt der Deutsche Wetterdienst eine Schlechtwetterfront für den westlichen Teil Norddeutschlands mit Windstärken bis acht Beaufort voraus. Der Sturm soll in den beiden Viertelstunden zwischen 17.00 und 17.30 Uhr über der Nordsee toben. Die Leistung von rund 660 MW der beiden Windparks „Riffgrund I“ und „Riffgrund II“ mit ihren zusammen 175 Generatoren, rund 35 km im Meer vor der Insel Borkum, hat der Übertragungs-Netzbetreiber Tennet TSO für diese beiden Viertelstunden eingeplant. Doch der Deutsche Wetterdienst irrt. Die Bö verspätet sich um eine halbe Stunde. Zwischen 17.00 und 17.30 Uhr herrscht stattdessen Flaute auf der Nordsee. Im Netz droht Unterdeckung, in der nachfolgenden stürmischen halben Stunde dagegen Überlastung. Die Strompreise für die Versorger klettern auf 700 Euro je Megawattstunde, weil zunächst teure, aber schnell regelbare Gaskraftwerke spontan als Ersatz für die stillen Windgeneratoren anlaufen und später negative Regelenergie untergebracht werden müssen. So jedenfalls sähe es klassisch aus.
Kompensierte Verspätung aus Warmwasserpuffern
Wenn nicht Lichtblick, Enera, Designetz und andere einspringen würden. Angesichts des Engpasses im Netz verschieben diese Stromlieferanten den Einschaltpunkt der Wärmepumpen und anderer flexibler Verbraucher ihrer Haushalts-, Gewerbe- und Industriekunden auf den verspäteten Durchgang der Bö. Sie reduzieren so den prognostizierten und eigentlich bereitzustellenden Strombedarf. Einspeisen und Ausspeisen bleiben im Gleichgewicht. Sowohl zwischen 17.00 und 17.30 Uhr als auch zwischen 17.30 und 18.00, als das Unwetter über Borkumriff den Flügeln Beine machte. Die entsprechende Reserve hat das digitale Energiemanagement in den häuslichen Warmwasserpuffern freigehalten. Die Umsteuerung nimmt nur wenige Minuten in Anspruch. Um 18.00 Uhr gibt es die Elektrizität bereits wieder zum Normaltarif, ohne dass ein einziges fossiles Regelkraftwerk zu hohen Kosten ein- und abschalten musste. Für ihre Dienstleistung erhalten Lichtblick et. al. natürlich eine üppige Vergütung.
Die Netze und Gesellschaften Enera, Lichtblick und Designetz stehen nur stellvertretend für eine Unsumme anderer Einzelunternehmen und Zusammenschlüsse ähnlicher Art, die eines vereint: die Entdeckung der Wärmepumpe als öffentliche Stromsenke. Der Charme der Wärmepumpe, im Verbund mit einem Speicher, liegt darin, dass Wärmepumpen negative Regelenergie aufsaugen. In diesem Zusammenhang macht ganz besonders Lichtblick von sich reden. Der Hamburger Stromhändler ließ sich im November vergangenen Jahres als Mitglied im Bundesverband Wärmepumpe e.V. (BWP) aufnehmen.
Man sei sich einig, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung des BWP und des Stromlieferanten, dass „die Energiewende auch im Wärmemarkt stattfinden muss.“
Dazu gehörten Wärmepumpen – sofern sie mit Ökostrom betrieben werden –, vorzugsweise ergänzt mit einem Batteriespeicher. Für den hat Lichtblick drei Aufgaben vorgesehen:
- Angebot und Verbrauch im Haus zu entkoppeln.
- Als zusätzliche Stromsenke, neben der eingeschalteten Wärmepumpe, im Falle von Überschuss zu fungieren.
- Als Stromquelle im Falle einer Unterdeckung ins Öffentliche Netz zu liefern.
Das Hamburger Unternehmen baut damit sein „Schwarmenergie“-Netzwerk auf neue Komponenten auf. In der Vergangenheit stand das BHKW mit dem VW-Motor – und dem VW-Vertrag – im Vordergrund. Das Modell wollte zu Hochtarifzeiten „privaten“ Strom ins Öffentliche Netz schieben.
Nur hatte dieses Konzept unter anderem – es spielen noch weitere Gründe in den Schiffbruch hinein – den PV-Boom in Deutschland aufgrund der damals hohen Einspeisevergütungen nicht einkalkuliert. Die ehedem teuer zu bezahlenden mittäglichen Stromspitzen an der Leipziger Strömbörse blieben und bleiben aus. Die Siliziumzellen brechen sie weg. Lichtblicks Contracting-Angebot, das mit 1.500 Hochtarif-Betriebsstunden im Jahr die Maschinen finanzieren sollte, fehlte die Grundlage.
Dem Versorger blieb nichts anderes übrig, als die BHKWs mehr schlecht als recht klassisch zu verkaufen – mehr schlecht deshalb, weil der Stromhändler als normaler Wettbewerber der etablierten Heizungsindustrie doch weitgehend auf verlorenem Posten kämpft.
Der aktuelle Schwenk auf die Wärmepumpe folgt der neuen Idee, nicht mit Strom, sondern mit der Dienstleistung „Energiemanagement“ Umsatz zu generieren.
Das Unternehmen gesteht ein: „Die Rahmenbedingungen auf dem Energiemarkt haben sich seit einigen Jahren grundlegend geändert. Wir mussten deshalb unser Geschäftsmodell des »Zuhause-Kraftwerks«, an dem wir nach wie vor festhalten, neu überarbeiten beziehungsweise anpassen. Im Schwarmstrom-Konzept sehen wir aber nach wie vor ein großes Potential.“ Der das sagt, Lichtblick-Pressesprecher Ralph Kampwirth, nennt die Nachfolger der VW-Maschinen: Wärmepumpe, Batterie, PV und Co., vor allem aber eine Software namens „Schwarmdirigent“.
Software „Schwarmdirigent“
Die vernetzt und gleicht anhand von Wetterdaten, Verbrauchsprofilen, Kundenwünschen („Wir sind ein Rentnerehepaar, der Speicher muss erst morgens gegen 9.00 Uhr gefüllt sein“) Erzeugung, Angebot und Verbrauch aus. Es handelt sich also weiterhin um ein virtuelles Kraftwerk. Doch wollen die Norddeutschen nicht nur damit Geld verdienen, sondern noch mehr mit den Blaupausen.
Als neue Kunden haben sie ihren Wettbewerb im Visier: Den „Schwarmdirigent“ bieten sie Kraftwerksbetreibern käuflich zur Optimierung des Anlagenbetriebs an oder aber als Lichtblick-Dienstleistung, quasi als Lohnauftrag „Optimierung eines virtuellen Kraftwerks“. Für beide Varianten scheint Nachfrage zu bestehen, beziehungsweise die Nachfrage besteht für eine Software, die so etwas reibungslos und energieeffizient managt.
Mit der Einbindung des Bausteins Wärmepumpe reagiert die Hamburger Gesellschaft auf eine Entwicklung, die der unterzeichnete Pariser Klimavertrag mittelfristig vorgibt – Gleichgewicht zwischen Emission und Absorption von CO2 ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts – und die EnEV 2016 kurzfristig.
EnEV 2016: Die Branche spürt eine zunehmende Akzeptanz der Wärmepumpen durch die Wohnungswirtschaft. Sie, die Wohnungswirtschaft, muss entweder die verlangten 25 Prozent Primärenergieeinsparung ab Januar dieses Jahres (25 Prozent im Vergleich zur vorherigen Rechtsordnung) mit aufgeblähter Wärmedämmung teuer erkaufen – plus eine zusätzliche Erneuerbare-Energien-Technologie. Die schreibt bekanntlich das EEWärmeG vor und die muss je nach System zwischen 15 und 50 Prozent des Wärme- und Kältebedarfs decken. Oder sie nimmt statt fossilem Kessel und Polystyrolblöcken auf der Fassade eine nachhaltige Wärmepumpe als Hauptwärmeerzeuger. Die Wärmepumpe allein macht ohne Mehrinvestition in die Bauphysik Neubauten bereits EnEV 2016- und EEWärmeG-konform. Damit rechnet sich diese Alternative mit Wärmepumpe in vielen Fällen schon aus rein wirtschaftlicher Betrachtung.
Die gesamte Energiewirtschaft redet mittlerweile der Wärmepumpe angesichts des Überflusses an Strom, „der uns in spätestens fünf Jahren aus den Ohren quellen wird“ (Stadtwerke Düsseldorf), das Wort. Die Zahlen belegen das: An der derzeit installierten Kapazität von 190.000 MW halten die „Erneuerbaren“ bereits rund 90.000 MW, also die Hälfte. Da sich ihre Aktivitäten bei Wolken verhangenem Himmel und Flaute in Grenzen halten, tragen sie zwar nur zu 30 Prozent zur Stromdeckung bei, aber der Ausbau nimmt ja kein Ende. Man beachte nur all die Schwertransporter mit Windflügeln und Maststücken von 50 Metern Länge, die sich zurzeit über Autobahnen und Straßen quälen.
Wie nachhaltig ist Ökostrom?
Unter anderem denkt Lichtblick an diese Spezies von Generatoren bei der Umgestaltung der Dienstleistung „Schwarmenergie“. Deren Kernelement ist seit Beginn der Geschäftsaufnahme vor knapp 20 Jahren der Ökostrom.
Doch kam der – und kommt heute immer noch – vornehmlich aus Wasserkraftwerken. Die gelten zwar als ökologisch, aber nicht im Sinne einer Energiewende, denn die Mehrheit der Wasserkraftwerke hat längst ihren Abschreibungszeitpunkt hinter sich. Ihre Umweltfreundlichkeit ist im Primärenergiefaktor erfasst. Würde man den Ökostrom aus Wasserkraftwerken bündeln und separat vertreiben, hätte der restliche Strom eine weitaus geringere erneuerbare Komponente (Wind, PV und Biomasse), und es müsste sein Primärenergiefaktor angehoben werden.
Doch kann eine Aufgliederung in „Good-“ und „Bad-Energy“, ähnlich dem Bankenmodell, schon deshalb nicht klappen, weil es versorgungslogistisch gesehen nur einen einzigen Elektrizitäts- „See“ gibt, in den sämtliche Flüsse fließen und aus dem alle Anrainer entnehmen.
Eine Ökostrom-Bestellung hat nur dann ökologischen Wert, wenn der Anbieter bestimmte Auflagen erfüllt. Folgende zeichnen sich unter anderem mehr und mehr ab, hier angelehnt an das „ok-power“-Siegel:
Der Strom muss erstens zu 100 Prozent Strom aus Erneuerbarer Energie sein.
Zweitens muss mindestens ein Drittel der verkauften Strommenge aus umweltschonenden Kraftwerken stammen, die nicht älter als sechs Jahre sind. Das heißt also, da ein sechsjähriges Kraftwerk im siebten Jahr aus der Berücksichtigung fällt, muss nachgebaut werden.
Das Gleiche gilt für die dritte Auflage, dass mindestens ein weiteres Drittel der verkauften Strommenge aus Erneuerbare-Energien-Kraftwerken kommen muss, die nicht älter als zwölf Jahre sind.
Neubau ein Muss
Die Baujahre können im Einzelfall von Siegel zu Siegel abweichen, aber die Absicht ist klar, über solch eine Bestimmung zu Neubauten und damit zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Elektrizitätserzeugung zu zwingen. Wie angedeutet, die genannte Altersbegrenzung auf sechs und zwölf Jahre schreibt das Siegel „ok-power“ vor. Das verleiht der gemeinnützige EnergieVision e.V., eine Gründung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und des Öko-Instituts e.V., Freiburg.
Lichtblick führt dieses „ok-power“-Label und damit könnte das Unternehmen tatsächlich einen Beitrag zur nachhaltigen Wärmewende leisten – wenn denn zum einen ausreichend Betreiber von Wärmepumpen zu Lichtblick als Versorger wechseln und sie sich zweitens in das virtuelle Schwarmstrom-Kraftwerk einbinden lassen würden.
Beitritt zum Bundesverband Wärmepumpe: Annäherung an Hersteller
Deshalb der Beitritt zum Bundesverband Wärmepumpe: Mehr Heizungskompetenz und Vertragspartner ins Boot zu holen. Der Erfolg des Schwarmstrom-Konzepts hängt von der Qualität der systemischen Einheit ab. Die Idee und eine Software reichen nicht. Die Komponenten müssen zueinander passen, müssen miteinander kommunizieren können, müssen von Handwerkern installiert werden, die ihr Handwerk tatsächlich verstehen. Und das ganze Modell muss mit der Heizungskompetenz der Heizungsindustrie unterfüttert sein. Es bedarf deren Technik-, Markt- und Vertriebskompetenz. Ebenfalls wegen dieses Mangels, nicht nur wegen des PV-Booms, ist ja das frühere VW- „Zuhause-Kraftwerk“ gescheitert. Diese Heizungskompetenz schließt unter anderem gemeinsame Entwicklungen ein. Mit der Wärmepumpe alleine ist es nicht getan. Den Stromüberschuss fängt viel wirtschaftlicher eine Art Tauchsieder im Speicher ab. Denn für diese negative Regelenergie zahlen die Versorger noch Geld. Zwar fiel der Preis für die Megawattstunde in 2015 erheblich – in den Jahren zuvor gab es bis 1.000 Euro für die Abnahme von 1 MWh –, aber die Bereitstellung einer Stromsenke dürfte sich noch auf Jahre lohnen. Warum für diese Aufgabe vier Stunden eine Wärmepumpe mit COP 4 verschleißen lassen, wenn es genügt, für den gleichen Ertrag den Heizstab im Boiler für eine Stunde einzuschalten? Die Vernetzung zum virtuellen Kraftwerk mit Batterie, PV-Modul, mit dem Modem des Übertragungsnetzbetreibers und der Software als Energiemanager muss als „Plug-and-Play“-Installation konfiguriert sein. Deshalb die Annäherung an Hersteller und deren Know-how. Aus Schaden wurde Lichtblick klug.
Vorgabe des BMWi
Die Hamburger haben indes mit der Netzwerkarbeit keine Alleinstellung. Andere Händler und Versorger knoten ebenfalls an solchen Teppichen gemeinsam mit Dienstleistern, IT--Unternehmen, der Heizungsindustrie und dem Anlagenbau. Eine der bekanntesten Initiativen dieser Art initiierte vor Jahresfrist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Das stellt für das Großprojekt „Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) über 230 Mio. Euro bereit. Die rund 200 beteiligten Unternehmen der fünf Kooperationen, die den Zuschlag erhielten, planen weitere rund 370 Mio. Euro an zusätzlichen Investitionen. Das Förderprogramm thematisiert die bekannten und zentralen Herausforderungen der Energiewende wie Systemintegration, Flexibilität, Versorgungssicherheit, Systemstabilität und Energieeffizienz sowie den Aufbau intelligenter Energienetze und Marktstrukturen.
Fünf großflächige „Schaufenster“ – fünf bundesdeutsche Regionen – sollen Wissen, Erfahrungen und Aktivitäten systemübergreifend bündeln und konkret via Smart Grid zeitweise mit bis zu 100 Prozent Strom aus Erneuerbaren Energien Systemsicherheit in einem optimalen Zusammenspiel von Erzeugung, Verbrauch, Speicherung und Netz gewährleisten. Mithin das demonstrieren, was Lichtblick anvisiert.
Der Stromhändler aus der Hansestadt ist zumindest nicht direkt erkennbar einer der Aktiven im BMWi-Programm. Es mag sein, dass das Unternehmen Anteile an einem der Partner in den Kooperationen hält und indirekt mithin auch bei SINTEG mitmischt. Dem eigenen „Schwarmenergie“-Konzept dürfte allerdings jetzt schon aufgrund der BMWi- und anderer Aktivitäten einiges an „einzigartiger“ Attraktivität verloren gehen, zumal dann, wenn der Stromhändler bei der momentanen Preisgestaltung bleibt.
Strom für Wärmepumpe: Feste Preise sind notwendig
Die sieht im virtuellen Lichtblick-Kraftwerk feste Preise für den Wärmepumpen- und für den Haushaltsstrom vor (19,5 und 22,5 Ct/kWh), gleichgültig, ob der Kunde seine Heizung bei überquellenden Stromleitungen oder bei Defizit im Netz, das mit teurer positiver Regelenergie ausgeglichen werden muss, einschaltet. Nur mit dem Verkauf der eingekauften Regelenergie zu einem festen Tarif ist für den Stromhändler der Ertrag kalkulierbar. Für Spekulationen, das zeigte die Vergangenheit, lässt ein harmonisiertes Netz wenig Spielraum.
Der Charme des Volatilen
Der Charme des Smart Grid und des Smart Metering in der „Enera“-Arbeitsgemeinschaft, eine der fünf Kooperationen, liegt dagegen in volatilen Tarifen, den Erzeuger wie E.ON und EWE anbieten können. Wer bei Sturm via Wärmepumpe oder Tauchsieder die Speicher füllt oder die Waschmaschine in Gang setzt, zahlt wenig für die Kilowattstunde. Und da nun mal ein großzügig dimensionierter Pufferbehälter die Entkopplung von Angebot und Nachfrage zulässt, dürfte solch eine Kundenofferte die größeren Chancen haben.