Aus dem eigenen Nahwärmenetz beziehen die Bürger von Bosbüll in Nordfriesland nachhaltige Wärme über ein intelligentes Power-to-Heat-Konzept, das elektrische Energie aus Wind- und Solaranlagen mit Hilfe von Groß-Wärmepumpen in thermische Energie umwandelt.
Das zukunftsweisende Energieprojekt der kleinen Gemeinde Bosbüll in Schleswig-Holstein, nahe der dänischen Grenze, ist ganz im Sinne einer integrierten Energiewende: Denn das innovative Power-to-Heat-Konzept nutzt in einer umfassenden Sektorenkopplung bereits bestehende Wind- und Solarparks für die thermische Nahversorgung über ein Wärmenetz. Zusätzlich liefert eine hocheffiziente Power-to-Gas-Anlage grünen Wasserstoff.
Wärmeerzeugerseitig wandeln in Bosbüll drei Luft/Wasser-Wärmepumpen des Typs „aero 172 HT“ von SmartHeat den regenerativen Strom in durchschnittlich 820 MWh thermische Energie pro Jahr um. Die Groß-Wärmepumpen des Herstellers aus Mecklenburg-Vorpommern erzeugen insgesamt 385 kW Leistung bei einer Auslegungstemperatur von 10 °C und im Winter 240 kW Leistung bei einer Auslegungstemperatur von -7 °C. Zusammen mit einem Elektroheizstab (750 kW), der in einem 84 m3 großen und 14 m hohen Wärmespeicher das Wasser bei Bedarf zusätzlich erhitzt, speisen die Luftwärmepumpen über 1.200 MWh/a Wärme in das Nahversorgungsnetz ein. Der gigantische Speicher kann die Wärme bis zu vier Wochen puffern.
Die Energiezentrale der Versorgungslösung, verbaut in einer 60 t schweren Betonzelle, integriert darüber hinaus einen 500-kW-Gasheizkessel zur Spitzenlastabdeckung sowie eine Notheizung und eine Hydraulikstation für die Wärmeverteilung.
Die elektrische Energie für die Groß-Wärmepumpen und den E-Heizstab stammt von zwei vorhandenen Bürgerwind- und Solarparks direkt vor Ort. Diese haben bislang zur ökonomischen Stabilität von Bosbüll beigetragen. Ende 2021 wird jedoch die EEG-Förderung für die ersten zwei der Windenergieanlagen auslaufen. Für die anderen endet sie ebenfalls in den kommenden Jahren. Auch der Solarpark wird nur noch bis Ende des Jahrzehnts gefördert. Die installierte Power-to-Heat-Lösung sorgt also dafür, dass diese regenerativen Stromerzeuger weiterhin wirtschaftlich arbeiten und die Gemeinde eine vorbildliche Versorgungslösung erhält.
Die sektorengekoppelte Nahversorgung der Gemeinde Bosbüll ist bereits im Frühjahr 2021 in Betrieb gegangen. Über die Wärmeübergabestationen werden zunächst 25 Wohnhäuser mit einem Gesamtwärmebedarf von rund 252 MWh und ein Schweinemastbetrieb angeschlossen. In diesem wurde ein Ölkessel (ca. 900 MWh/a) ersetzt. Diese Versorgung erfolgt über ein 2,7 km langes Wärmenetz. Für weitere Privatgebäude und auch Großabnehmer sind Anschlüsse an das Netz in einem zweiten Schritt geplant. Das Temperaturniveau des Bosbüller Nahwärmenetzes liegt im Vorlauf bei 75 bis 85 °C und im Rücklauf bei rund 50 bis 55 °C. Eine spezielle Dämmung der Wärmenetzrohre reduziert die Energieverluste auf rund 221 MWh. Besonders rentabel ist eine Power-to-Heat-Anlage, wenn die Erzeuger bei der Wärmeproduktion durch „überschüssigen“ erneuerbaren Strom gespeist werden. Wenn der Strom aus den Bosbüller Wind- und Solarparks vom Netzbetreiber abgeregelt bzw. leistungsbegrenzt wird, zum Beispiel um einzelne Abschnitte eines Verteil- oder Übertragungsnetzes vor Überlastung zu schützen, wird er also zur Wärmegewinnung genutzt. Diese Abregelungen fallen unter den Begriff „Einspeisemanagement“ („EinsMan“) bzw. „EinsMan“-Schaltung. In Bosbüll wird vornehmlich zu Zeiten einer „EinsMan“-Schaltung der Grünstrom in thermische Energie gewandelt und verbraucht bzw. im Wärmenetz oder dem Wärmespeicher gepuffert. Dieses Verfahren bietet den energieliefernden Bürgerenergieparks eine stabile Stromabnahme und garantiert der Gemeinde eine effiziente und kostengünstige Wärmebereitstellung.
Das exakt aufeinander abgestimmte Zusammenspiel von Strom- und Wärmeerzeugern, Wärmespeicher und Wärmeverteilung ist besonders wichtig, um die thermische Energie effektiv zur Verfügung zu stellen. Eine optimierte Hydraulik ist also von zentraler Bedeutung, denn sie bewirkt, dass mit einem möglichst geringen Energieeintrag Wärme genau an dem Ort und zu der Zeit zur Verfügung steht, wenn die Verbraucher sie benötigen. In Bosbüll sorgt dafür eine Hydraulikstation, die unter anderem den großen Wärmespeicher hydraulisch so einbindet, dass eine einwandfreie Temperaturschichtung gewährleistet ist und ausschließlich Lade- und Entladevolumenströme durch den Speicher fließen.
Power-to-Gas-Lösung als i-Tüpfelchen
Das Bosbüller Energiekonzept überzeugt nicht zuletzt durch seine Komplettierung mit einer hoch-innovativen Power-to-Gas- bzw. Power-to-Fuel-Lösung. Mit dem angeschlossenen Projekt „eFarm“ wurden – initiiert durch den Spezialisten für erneuerbare Energieanlagen GP Joule – eine modular erweiterbare, nachhaltige Wasserstoff-Infrastruktur im gesamten Kreisgebiet Nordfriesland geschaffen und die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität beispielhaft gekoppelt. In Bosbüll stehen zwei von insgesamt fünf Polymer-Elektrolyt-Membran-(PEM)-Elektrolyseuren, die den vor Ort erzeugten Wind- und Solarstrom in grünen Wasserstoff umwandeln. Die dabei entstehende Abwärme von etwa 100 MWh/a wird ebenfalls über das Nahwärmenetz an die angeschlossenen Abnehmer verteilt. Die jeweils 225 kW starken Elektrolyseure (gesamt: 1,125 MW) erzeugen pro Tag etwa 200 kg Wasserstoff.
Der grüne Wasserstoff wird in mobilen Speichercontainern per Lkw zu zwei öffentlichen Wasserstofftankstellen in Husum und Niebüll transportiert. Dort bringt eine Verdichtungsanlage den CO!SUB(2)SUB!-freien Kraftstoff auf den zum Tankvorgang benötigten Druck von 500 bis 1.000 bar. Zwei speziell angeschaffte Brennstoffzellen-Busse des öffentlichen Personennahverkehrs sowie zahlreiche Lkw und Pkw nutzen den grünen Wasserstoff für Mobilitätszwecke.