Die „German Angst“ hat es ja zu weltweiter Berühmtheit gebracht, im englischen Sprachraum als Synonym für eher diffuse Befürchtungen und Zukunftsängste aller Art. Genauso wie der Kindergarten, aus dem der kuschelig-niedliche Kindergarden wurde. Auch wenn die anglophilen Freunde jenseits des Kanals dabei glatt übersehen, dass wir diesen Begriff mittlerweile rational-funktional auf Kinder-Tagesstätte übergeleitet und damit in die Nähe einer doch eher emotionsbefreiten „Stätte“ überführt haben, in der nicht mehr der umfriedete Gartengedanke mit dem betreuend-pflegerischen Aspekt im Vordergrund steht, sondern allein die Standortbeschreibung für ein gerne auf das Kürzel KITA reduziertes „Etwas“, das dort „ist“, ohne dass ihm sprachlich-vorauseilend eine weitergehende Funktion oder gar ein emotional aufgeladene Erlebnisgarantie zugeordnet würde.
Allein – das wiederum ist ein anderes Thema, während die „German Angst“ zu einem alltäglichen zu werden verspricht. Kontinuierlich und bildwirksam befeuert über Massenmedien, denen keine Windböe am Oderbruch und kein Hagelschlag in Westerkotten zu wenig ist, als das sich daraus nicht noch etwa Katastrophales, Existenzbedrohendes entwickeln ließe. Das perfide daran ist die subtile Weise, in der das Ganze für das unstete Augen des flüchtig medienkonsumierenden Durchschnittsdeutschen aufbereitet wird. Denn wir alle haben zwar gelernt: dunkelblau ist kalt und flammrot heiß – und falls nicht, dann doch in jedem Fall gefährlich.
Was wir aber nicht gelernt haben, ist die gleichzeitige Kontrolle der ergänzenden Legende (wenn es sie denn gibt). Oder die kritische Prüfung der Skala, auf dem sich die Farbangaben bewegen. Und so reicht schon ein schön koloriertes Bild, um aus jeder „Nicht-weil-Durchschnitt“-Geschehen ein respektables Ereignis zu machen, das Potenzial zum Panik schieben bietet – Hauptsache, das gut gemeinte „Framing“ stimmt. Also der kontextuelle Zusammenhang, in dem die Info gesehen werden muss...
Wie im vergangenen Jahr bei den aktuellen Wetterdaten aus Frankreich: Temperaturen zwischen 12 und 29 °C sind bei unseren französischen Freunden im Hochsommer eigentlich eher die Regel denn die Ausnahme, und das seit Jahrzehnten. Und jeder hätte von einem ausgesprochen entspannten, schönen Tag mit Cidre, Baguette und etwas Boule-Spielen unter den Dorfplatzplatanen geschwärmt – wenn das nicht die Wetterkarte mit ihrer Einordnung zerschossen hätte.
Tiefsattes Rot jenseits der 25 Grad-Marke, da muss einem doch der Angstschweiß ausbrechen angesichts des fühlbaren Klimawandels, der uns da gerade auch diesen schönen flirrenden Hochsommertag verdirbt…
Doch wir brauchen nicht über den Zaun zu schauen, um noch mehr solcher Manipulationsbeispiele zu finden. Hier ein aktuelles aus Februar, als der mit Horrormeldungen vorangekündigte Sturm „Sabine“ über´s Land zog und vielerorts dann doch außer durch ein paar „Sabinchen“-Windböen kaum zu spüren war.
Aber damit sich keiner später beim Nachmessen oder Nachfühlen der echten Windstärken benachteiligt fühlen könnte oder die Grafik den parallel verbalisiert rausgehauenen Horrormeldungen widerspräche, griffen die Kartenmaler von der Zeitung mit den vier großen Buchstaben zu einem genialen Kniff: Tiefblutrot ist – nein, NICHT der schwere Sturm oder gar der Orkan – eingefärbt, sondern der laut Definition „stürmische Wind“ (mit Geschwindigkeiten von 60 bis 75 km/h). Das reicht zwar auch für ein paar herabfallende Äste, aber keinesfalls für eine Massenpanik.
Der flüchtige Durchschnittszuschauer liest die Grafik jedoch ganz anders – und schon haben wir wieder eine veritable „German Angst“ aufgesetzt. Bis zum nächsten Mal. Und zum übernächsten. Hauptsache, der Strom der Horrormeldungen reißt nicht ab. Egal, wie substanzlos sie auch sein mögen.