Pilotprojekt wird Blaupause für Umstellung der Netze auf Wasserstoff

In Hohenwart bei Ingolstadt werden in einer Wohnsiedlung rund ein Dutzend Gebäude ab sofort statt mit Erdgas mit reinem Wasserstoff (H2) versorgt.

Dafür mussten im Wesentlichen nur die Endgeräte, also die Wärmeerzeuger mit dem Abgassystem, getauscht werden. Alle weiteren Installationskomponenten erwiesen sich als uneingeschränkt H!SUB(2)SUB!-geeignet. Das Pilotprojekt kann damit zur Blaupause für die wirtschaftliche und praktikable Umstellung von Teilabschnitten bestehender Versorgungsnetze auf den erneuerbaren Energieträger werden.

Die Wärmeversorgung von Gebäuden wird in Zukunft zu einem erheblichen Teil über Wärmepumpen erfolgen. Das regelt maßgeblich das Gebäudeenergiegesetz (GEG). Wo dies nicht möglich ist, erlaubt das technologieoffene Gesetz aber auch beispielsweise die Nutzung von „grünem“ Wasserstoff. Also Wasserstoff, der per Elektrolyse beispielsweise mittels überschüssigem PV- oder Windstrom gewonnen wird.

Denn die Ziele, die sich die Bundesregierung in ihrer aktualisierten Nationalen Wasserstoffstrategie gesetzt hat, sind ehrgeizig: Bis 2030 sollen zehn Gigawatt Elektrolysekapazität aufgebaut werden. Das entspricht der Leistung von etwa neun Kernkraftwerken und „reiche voraussichtlich aus, um 30 bis 50 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs zu decken.“ Den hat vor allem die Industrie, für die mit einer leitungsgebundenen Wasserstoffversorgung schnell und unkompliziert hohe Energiemengen bereitgestellt werden können, ohne dass eine neue Infrastruktur aufgebaut werden muss.

Wie das aber genauso bei der nachhaltigen Wärmeversorgung von Privathäusern und kleineren Gewerbeobjekten zum Tragen kommen kann, testen aktuell die Projektpartner Energienetze Bayern (Netzbetreiber), Energie Südbayern und die Thüga als kommunaler Energie- und Wasserdienstleistungskonzern mit dem Wasserstoff-Pilotprojekt „H!SUB(2)SUB!Direkt“ im bayerischen Hohenwart aus. Dort wurde in einem bestehenden Wohngebiet ein kompletter Straßenzug von Erdgas- auf Wasserstoff-Versorgung umgestellt. Und für die zehn Haushalte sowie einen Gewerbekunden änderte sich – mit Ausnahme der neu installierten „100% H!SUB(2)SUB!-Brennwertgeräte“ des Herstellers Vaillant als Wärmeerzeuger und der dazu gehörenden Abgassysteme – rein gar nichts.

Warum Markt Hohenwart?

Dass Hohenwart, nahe Ingolstadt gelegen, in das zukunfts-weisende Pilotprojekt eingestiegen ist, hat etwas mit den ehrgeizigen Klimazielen der kleinen Gemeinde zu tun. „Der Markt Hohenwart ist schon seit Jahren ein Vorreiter in Sachen Klima- und Umweltschutz“, so Bürgermeister Jürgen Haindl. Und verweist dabei exemplarisch auf die mehr als 30 Millionen kWh Strom, die im Gemeindegebiet vor allem über Windräder erzeugt werden: „Das entspricht etwa 180 Prozent des vom Markt Hohenwart benötigten Energiebedarfs. Wir können jetzt also sogar umliegende Kommunen mitversorgen.“ Weil es aber vor allem im Bestand ältere Gebäude oder gewerbliche Objekte geben kann, die einen noch höheren Wärmebedarf haben, lag als nächster Schritt die Frage nahe, wie auch die vorhandene Gasversorgung nachhaltiger aufgestellt werden könnte.

Die Antwort darauf gibt es nun in einer vor knapp zehn Jahren erschlossenen Wohnsiedlung. In einem Straßenzug wurde dort die vorhandene Erdgasleitung vom übrigen Netz abgetrennt und stattdessen neu an eine durch die Westfalen AG versorgte H!SUB(2)SUB!-Einspeiseanlage angebunden. In den über die Gasleitung versorgten Ein- und Zweifamilienhäusern sowie einem kleinen Gewerbebetrieb mussten dann nur noch die Wärmeerzeuger getauscht werden, bevor mit Wasserstoff geheizt und Warmwasser erzeugt werden konnte. Abgesehen von den Mengenzählern, die durch eine größere Ausführung ersetzt wurden, konn-ten alle übrigen Komponenten, sowohl im Verteilnetzbereich als auch in den Heizungsräumen, weiter genutzt werden.

Was war die größte Herausforderung?

Technisch entspricht die problemlose Umstellung der Gasversorgung in Hohenwart von Erdgas auf Wasserstoff damit den Erfahrungen, die auch schon auf reinen Versuchsfeldern – wie zum Beispiel in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) – gesammelt wurden. „Der wesentliche Unterschied dazu ist aber, dass wir hier im Realbetrieb sind“, so Vaillant-Projektleiter Daniel Fox: „Das heißt, hier zeigen bestehende Installationen, wie wasserstofftauglich sie tatsächlich sind. Und wir mussten alle installierten Geräte beispielsweise über Herstellererklärungen zertifizieren lassen, weil es für den Wasserstoff-Betrieb noch keine entsprechenden Produktnormen, also Zulassungen gibt.“ Zudem war für jedes Gebäude beim Bayerischen Bauministerium nochmals ein Bauantrag zu stellen, da bislang ebenfalls noch die Regelwerke für Wasserstoff-Installationen in Gebäuden fehlen.

In einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller am Pilotprojekt Beteiligten sind diese Hürden jetzt jedoch genommen – und für die Hausbesitzer kann der nächste Winter kommen, der sich aufgrund der H!SUB(2)SUB!-Versorgung in Sachen „Wärme“ kaum von den vorhergehenden unterscheiden dürfte.

Wie reagierten die Hausbesitzer?

Dass die Anlieger eines kompletten, mehrere hundert Meter langen Straßenzuges die Umstellung ihrer Gebäudeheizung von Erdgas auf Wasserstoff mitgemacht haben, war allerdings selbst für die engagiertesten Optimisten des Pilotprojektes etwas überraschend. Doch „die Anwohner waren von Anfang an sehr offen, Nutzer einer Energieversorgung mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff zu werden. Einer der Gründe dafür ist sicherlich der Nachhaltigkeitsgedanke, den wir in der gesamten Gemeinde wahrnehmen“, erinnern sich Jonas Heilhecker und Georg Maatsch, die das Projekt für Energienetze Bayern vor Ort verantworten.

Der Tenor der Hausbesitzerfamilien: Wenn wir einen Beitrag dazu leisten können, dass unsere Gebäude auch künftig über die bestehenden Rohrleitungen mit dann klimaneutralem Gas beheizt werden können – warum sollten wir es nicht tun? Eine Haltung, die übrigens von deutlich mehr Anwohnern geteilt wurde, als letztlich am Pilotprojekt teilnehmen konnten.

Was sagt das Fachhandwerk?

Um die Umrüstung des Rohrabschnitts und die Neuinstallation der Wärmeerzeuger in den Gebäuden innerhalb nur knapp einer Woche zu realisieren, waren neben den Tiefbauern von Pfaffinger Bau gleich mehrere Heizungsbauunternehmen aus der Region engagiert. Alle wurden zuvor von Vaillant als Hersteller der Wärmetechnik entsprechend auf die neuen „100% H!SUB(2)SUB!-Brennwertgeräte“ geschult. Wobei im Heizungskeller selbst die einzelnen Handgriffe dann allerdings kaum anders waren als bei der Installation eines „normalen“ Gas-Brennwertgerätes, stellten sowohl Anton Selensky (Heizung Sanitär Stachel, Ingolstadt) als auch Bernd Mantsch (Mantsch Heizung Sanitär Klima, Ingolstadt) fest: „Die »100% H!SUB(2)SUB!-Brennwertgeräte« unterscheiden sich zwar in einigen Details von den bekannten Gas-Brennwertgeräten des Herstellers, unter anderem bezüglich der Verbrennungstechnik oder der Abgasführung. Die Baumaße und die Anschlüsse entsprechen aber 1:1 den bisherigen Anlagen, bis hin zur Steuerung oder der Anbindung von Fühlern. Das macht uns die Arbeit sehr einfach.“

Das Zusatzequipment, die Signalanlagen, die Magnetventile und Messeinrichtungen für Gas in der Umgebungsluft, sind für die beiden Heizungsbau-Profis in diesem Zusammenhang nicht der Rede wert: „Wir sprechen hier von einem Pilotprojekt. Hier wird mit doppelter und dreifacher Sicherheit gearbeitet. Das ist der einzige Grund für die Zusatzinstallationen. Die Heizungen selbst würden genauso gut auch ohne funktionieren und wären deswegen nicht minder sicher.“

Was sagen die Sachverständigen?

Die leitungsgebundene Versorgung von rund einem Dutzend Gebäuden im Bestand auf Grundlage einer vorhandenen Infrastruktur wie in Hohenwart ist in dieser Größenordnung bundesweit wohl einma-lig. Entsprechend engmaschig wird das Pilotprojekt von Sachverständigen begleitet. Gemeinsam mit Vaillant-Projektleiter Fox haben Dipl.-Ing. Markus Döllel im Vorfeld das bestehende Verteilnetz und Dipl.-Ing. Jürgen Klement die Gasinstallationen bis zu den angeschlossenen Wärmeerzeugern detailliert erfasst. Klement ist selbst als ausgewiesener Experte überrascht, in welch gutem Zustand die Bestandsanlagen trotz mehrjährigen Betriebs nach wie vor sind: „Die geforderte Dichtheitsprüfung auf 100 Prozent wurde beispielsweise ohne jegliche Auffälligkeit bestanden und trotz der unterschiedlichen Eigenschaften von Wasserstoff und Erdgas lagen die installierten Gasströmungswächter so nah an der idealen Dimensionierung, dass selbst die nicht ausgetauscht werden mussten.“

Trotzdem musste und wurde hier jeder Installationsschritt besonders akribisch dokumentiert und die Dichtheit des jeweiligen Installationsabschnitts nochmals geprüft. Denn zum einen gilt, „sicher ist sicher“. Zum anderen „gilt Hohenwart aber gleichzeitig als Blaupause für den Transformationsprozess, den bis-lang mit Erdgas versorgten Gebäudebestand künftig auf Wasserstoff umzustellen, wo dies bei hinreichender Verfügbarkeit dieses Energieträgers möglich ist“, so Alexander Schuh, Leiter Verbandsmanagement und verantwortlich für alle deutschen Wasserstoffprojekte bei Vaillant: „Nach Vorgaben der EU soll das Gasnetz bis 2050 zu 75 Prozent dekarbonisiert, also auf »grünen« Wasserstoff umgestellt sein. In Deutschland muss diese Umstellung laut Klimaschutz- gesetz bereits bis 2045 erfolgen – und das novellierte Gebäudeenergiegesetz hat aktuell einen weiteren, großen Schritt in diese Richtung getan. Mit dem erfolgreich gestarteten Pilotprojekt in Hohenwart wird ein Zeichen gesetzt, dass die Umstellung auf Basis bestehender Verteilnetze und Endgeräte wie unserem »100% H!SUB(2)SUB!-Brennwertgerät« mit vergleichsweise geringem Aufwand realistisch machbar ist.“

Fazit

Die zehn Wohnhäuser in Hohenwart sowie das benachbarte Gewerbeobjekt der Regens-Wagner-Stiftung, die jetzt leitungsgebunden mit Wasserstoff als Energieträger versorgt werden, machen zwar nur einen ganz kleinen Teil des bayerischen Marktfleckens und einen noch viel kleineren Teil Bayerns oder Deutschlands aus. Ab sofort stehen sie aber prototypisch für einen nachhaltigen Energiemix der Zukunft, der sich aus unterschiedlichsten regenerativen Quellen speisen kann. Alexander Schuh: „Dabei geht es nicht um die Frage, ob alle Gasnetze und ausnahmslos alle bislang so versorgten Gebäude auf H2 umgestellt werden sollten. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit wir Wasserstoff als Energieträger einsetzen können, um zum Beispiel definierte, hoch verdichtete Siedlungsräume oder Objekte mit sehr hohem Wärmebedarf ressourcenschonend, nachhaltig und vor allem sicher zu versorgen.“

Weitere Informationen unter: www.vaillant.de www.thuega.de www.esb.de www.markt-hohenwart.de

Mittwoch, 03.07.2024