Kaiserslautern ist neben seiner Fußballtradition auch als Heimat des Nähmaschinen-Herstellers Pfaff bekannt.
Wohnen und Arbeiten auf ehemaligem Pfaff-Areal in Kaiserslautern
Kaiserslautern ist neben seiner Fußballtradition auch als Heimat des Nähmaschinen-Herstellers Pfaff bekannt.
Über ein Jahrhundert lang war am westlichen Rand der Innenstadt seine Produktionsstätte. Nachdem die Firma 2009 ihr altes Werksgelände aufgegeben hat, entsteht auf dem 20 Hektar großen Areal ein modernes Quartier, in dem beispielhaft innovative Energieversorgungs-Lösungen zur Anwendung kommen.
Am Rande der Innenstadt wird ein neues Stadtquartier geschaffen, das für rund 2.000 Menschen Wohnraum sowie bis zu 3.500 Arbeitsplätze bieten soll. Vor allem innovative Branchen sowie Unternehmen aus dem Gesundheitswesen sollen sich hier ansiedeln. Die Themen Innovation und Klimaneutralität spielen bei der Erschließung der Fläche eine zentrale Rolle.
Einige alte Pfaff-Gebäude stehen noch, von einigen werden Fassadenteile gesichert, in der Mitte klafft eine weiträumige Brache, die später bebaut wird, aber auch Abrissarbeiten sind im Gang und parallel werden bereits Neubauten hochgezogen. „Das Gelände verändert sich jeden Tag“, berichtet Dr. Stefan Kremer, Geschäftsführer der Pfaff-Areal-Entwicklungsgesellschaft mbH (PEG), als er schnellen Schrittes über die Fläche führt. Rainer Grüner, ebenfalls Geschäftsführer, zeigte sich schon kurz zuvor bei einer Präsentation im Konferenzsaal zuversichtlich: „Nach der langen Planungsphase kommen wir nun bei der Realisierung glücklicherweise recht gut voran.“
Von den ehemals 80 Gebäuden des ausgedienten Werksgeländes, die oft in charakteristischer Sandsteinarchitektur gebaut waren, sollen acht erhalten bleiben. Dazu zählen das alte Kesselhaus mit seinem Schornstein, ebenso die „Alte“ und die „Neue Verwaltung“ des ehemaligen Industriebetriebes. Im Pfortengebäude am alten Werkseingang hat die PEG des Großprojektes ihren Sitz eingerichtet. Hier befindet sich auch eine kleine Ausstellung, die auf die einstige Nutzung Bezug nimmt und in der auch einige Prachtexemplare alter Nähmaschinen zu bewundern sind.
In der Planungsphase wurden für das Gelände unter dem Titel „Reallabor EnStadt:Pfaff“ in Zusammenarbeit mit mehreren Forschungseinrichtungen innovative Lösungsansätze für eine nachhaltige Entwicklung geschaffen. Das Energiekonzept umfasst dabei die Bereiche Strom, Wärme, Mobilität und Energieeffizienz.
Der Forschungsverbund wird von der Stadt Kaiserslautern geleitet, die auch im Besitz des Grund und Bodens ist. Ziel war, richtungsweisende Konzepte zur Revitalisierung des historisch bedeutsamen Geländes zu entwickeln. Das Projekt ist eines von sechs Leuchtturmprojekten im Programm „Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt“, das durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.
Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE (Fraunhofer-ISE) in Freiburg hat die wissenschaftliche Projektleitung inne. Es übernahm im Rahmen des Projektes zentrale Funktionen im Bereich der Energieversorgung und koordinierte angrenzende Themenfelder: Hierzu zählen die Bereiche Planung, Energieversorgung/E-Mobilität, Gebäudetechnik, Digitalisierung, Sozialwissenschaft/Monitoring, Planungshilfen sowie Kommunikation und Bildungsangebote.
Das Konzept umfasst die Stromversorgung sowie alle weiteren Energiebereiche: „Praktisch alle geeigneten Dächer sollen zur Solarstromerzeugung genutzt werden“, informiert der wissenschaftliche Leiter von „EnStadt:Pfaff“, Gerhard Stryi-Hipp, der die Forschungsgruppe Klimaneutrale Städte und Quartiere des Fraunhofer-ISE in Freiburg leitet. Dies wird durch eine im Bebauungsplan festgelegte Solarpflicht gewährleistet. Laut Projektentwickler Rainer Grüner könnten so auf etwa 20 bis 30 Gebäuden eine Gesamtleistung von etwa 4 MWp entstehen. Dies decke dann etwa 30 Prozent des Strombedarfs des Geländes, der Rest könne je nach Nutzerbedarf und -wunsch durch Ökostrom gedeckt werden.
Als Demonstrationsprojekte dienen PV-Fassadenanlagen, die durch ihre farbige Gestaltung den architektonischen Anforderungen des Geländes in besonderer Weise Rechnung tragen. So ist bereits am alten Verwaltungsgebäude eine PV-Fassadenanlage mit 7 kWp Leistung angebracht worden, die mit ihrer dunkelroten Oberfläche mit dem Backsteinrot der Gebäude in der Nachbarschaft in idealer Weise korrespondiert. Auf dem Dach befinden sich dachintegrierte PV-Anlagen mit 43 kWp Leistung, die durch ihren rötlichen Farbton mit dem markanten Schriftzug samt der beiden Pfaff-Nähmaschinen gut harmonieren.
Auch die Steuerung der Energieversorgung mittels „Energieagenten“, das sind Steuerungssysteme, die ohne Fremdeinwirkung miteinander kommunizieren und Energiebedarfe untereinander austauschen, ist im Rahmen des Projektes entwickelt worden (vgl. HeizungsJournal-Ausgabe 12/2021, Dez., bzw. https://tga.li/V4R). Hierzu habe man ein agentenbasiertes Energiemanagement mit „Blockchain“-basiertem Energiehandel entwickelt, berichtet Stryi-Hipp.
Er fügt aber bedauernd hinzu: „Leider lässt es sich im Quartier bislang nicht demonstrieren, da die regulativen Rahmenbedingungen einen Einsatz im Sinn des Austausches von Energie zwischen Gebäuden derzeit nicht zulassen und bislang auch noch keine Gebäude mit möglichen Nutzern in Betrieb sind.“ Dieses Konzept könnte maßgeblich dazu beitragen, Energie besonders effizient zu verteilen. Geschäftsführer Grüner berichtet, dem Ansatz stünde derzeit auch noch der Datenschutz entgegen.
Die auf dem Gelände benötigte Wärme soll über ein Niedertemperatur-Wärmenetz mit etwa 60 °C Vorlauftemperatur verteilt werden, das durch den Rücklauf der Fernwärme der SWK Stadtwerke Kaiserslautern GmbH gespeist wird. Der Bau des Wärmenetzes begann in diesem Jahr und soll sukzessive mit dem Ausbau des Geländes vorangehen.
„Derzeit erzeugen wir die Fernwärme zum größten Teil in unserem sehr energieeffizienten Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)“, berichtet die Sprecherin der Stadtwerke. Diese Turbinen könnten auch mit Anteilen von Biogas und Wasserstoff betrieben werden. Die Stadtwerke planten deshalb auch, an das Wasserstoff-Kernnetz angeschlossen zu werden. Bereits seit 2016 ist das Fernwärmenetz der Stadt an ein Biomasseheizkraftwerk angebunden. Seit 2017 habe man demnach Wärme aus erneuerbaren Energien im Portfolio.
Aktuell decke man rund 15 Prozent des Fernwärmebedarfs mit erneuerbaren Energien ab, so die Stadtwerke. Langfristig solle die leitungsgebundene Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien und unvermeidbare Abwärme umgestellt werden. Rainer Grüner ergänzt, dazu könnte auch Wasserstoff zählen. Auch eine der Gasfernleitungen, die Kaiserslautern durchqueren, könne womöglich zu einer Wasserstoffleitung umgerüstet werden. Perspektivisch wäre zudem Tiefengeothermie eine Option.
Ursprünglich hatte man geplant, für das neue Pfaff-Quartier die Abwärme eines nur 500 Meter entfernten Gusswerkes zur Versorgung zu nutzen. „Dort besteht prinzipiell eine gewaltige Menge Abwärme aus den dortigen Elektroschmelzöfen“, so Grüner. Diese hätte prinzipiell ausgereicht, um den gesamten Wärmebedarf des Areals zu decken. Doch genauere Untersuchungen hätten ergeben, dass die einfach auskoppelbare Wärme nur etwa 29 Prozent des Wärmebedarfs im Quartier gedeckt hätte und dadurch die Fixkosten für die notwendige Zuleitung vom Gusswerk ins Gelände die Nutzung unwirtschaftlich gemacht hätte.
Gleich neben dem historischen Werkseingang mit seiner Pforte entsteht gerade eine Energiezentrale, die mehrere Funktionen vereinen wird: Als Wärmezentrale wird hier der Rücklauf des Fernwärmenetzes West der Stadt an das Niedertemperatur-wärmenetz des Baugebietes angekoppelt, welches die Stadt-werke derzeit verlegen. Auf dem Dach befinden sich zwei große Kältemaschinen, die zur Versorgung eines neu eingerichteten Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in direkter Nachbarschaft dienen. In dem denkmalgeschützten Gebäude aus dem Jahr 1958 ziehen Arztpraxen und andere medizinische Einrichtungen ein. Gleichzeitig ist geplant, die Abwärme der Kompressionskältemaschinen in das Wärmenetz einzuspeisen. „Damit erproben wir mögliche weitere dezentrale Einspeisungen von Abwärmemengen beim Ausbau des Quartiers. Außerdem prüfen wir, bis zu welchem Umfang künftig Kältemaschinenabwärme eine Rolle spielen könnte“, erläutert Gerhard Stryi-Hipp. Die Abwärme der bereits installierten Kühlaggregate sollen mindestens 15 bis 20 Prozent zur Wärmeversorgung des Areals beitragen, erwartet Geschäftsführer Grüner. Dabei werden die Kältemaschinen zur Klimatisierung des MVZ weitestgehend mit Strom aus einer PV-Anlage des MVZ betrieben.
Ebenfalls in der Energiezentrale befindet sich ein E-Mobil- und Batterielabor, das vom Fraunhofer-ISE betrieben wird. Dort werden zwei Batterietypen, eine PV-Fassadenanlage an der Energiezentrale sowie eine DC-Schnellladesäule vor dem Gebäude über ein Gleichstromnetz verbunden. „Die Schnellladesäule erlaubt bidirektionales Laden“, erklärt Stryi-Hipp. Es werde somit erprobt, wie dieses zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen kann und welche Vorteile DC-Netze bringen, so der Forscher weiter. Zusätzlich diene die Energiezentrale der Demonstration einer farbigen PV-Fassade mit Morphocolor-Beschichtung, die eine Farbigkeit bei hoher Effizienz ermögliche.
Bei der Sanierung des Gebäudebestandes stellt man hohe Anforderungen: So hätten die Fenster im MVZ ursprünglich elektrochrom beschichtet werden sollen, also beim Anlegen einer Spannung ihre Transparenz verändern und so als Sonnenschutz dienen sollen. Dies habe sich aber als nicht anwendungstauglich herausgestellt. Stryi-Hipp: „Deshalb wurden Fenster mit Vierscheibenverglasung und integrierten Jalousien hinter der ersten Außenscheibe sowie einem Holzrahmen eingebaut, die den Anforderungen des Denkmalschutzes gerecht werden.“
Auf dem neben dem MVZ errichteten Parkhaus in Holzbauweise und einem angekoppelten Bürokopfbau befinden sich Photovoltaikanlagen, die das MVZ versorgen sollen. Dies wird möglich, da die beiden Gebäude durch eine sogenannte Kundenanlage versorgt werden, das heißt, mit einem eigenen Stromnetz verbunden sind, das die Eigentümer selbst betreiben. Die Schnittstelle zum Netz der öffentlichen Versorgung bilden zwei regelbare Ortsnetztrafos, die an das Mittelspannungsnetz angeschlossen sind und eine hohe Spannungsstabilität gewährleisten. Des Weiteren sollen die Nutzer des Quartiers auf einen digitalen Quartiersservice zugreifen können, der verschiedenste Dienstleistungen umfassen kann. Generell galt es bei der bisherigen Planung, eine energetisch hochwertige Sanierung der Bestandsgebäude zu gewährleisten. So wurde beim alten Verwaltungsgebäude durch eine sehr gute Wärmedämmung der KfW-55-Standard erreicht. Beim neuen Verwaltungsgebäude wurde der KfW-70-Standard erreicht, was für das unter Denkmalschutz stehende Gebäude, bei dem nur eine Innendämmung möglich war, ein hervorragender Wert ist.
Im Bebauungsplan sorgt eine Solargründach-Pflicht für positive Effekte beim Kleinklima. Eine besondere Herausforderung für die Verantwortlichen ist zudem die Behebung der Verunreinigungen im Boden, die vor allem durch leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW) aus den 50er- und 90er-Jahren herrühren. Zur Sanierung des Grundwassers wurden daher eine Reihe von Grundwasserbrunnen am Rande des Geländes angelegt. Über diese werden in einem aufwendigen Verfahren, das sich über viele Jahre hinziehen wird, die problematischen Stoffe entfernt und anschließend sachgerecht entsorgt, erläutert Stefan Kremer.
Auch im Bereich Mobilität strebt man im Pfaff-Areal besonders innovative Lösungen an: Die Vorgabe war, dass ein autoarmes Quartier entstehen soll. Die Nähe zur Innenstadt und die Anbindung an den ÖPNV bieten bereits beste Voraussetzungen. Carsharing, Leihfahrräder und Mobilitätsdienstleistungen sollen es möglichst einfach machen, auf ein eigenes Fahrzeug zu verzichten.
Aber auch die Elektromobilität soll angemessen zum Zuge kommen. Die Autos sollen dabei möglichst in Parkhäusern beziehungsweise in Tiefgaragen geparkt werden oder an Mobilitätsstationen verfügbar sein, um möglichst wenig Freifläche zu belegen. Öffentliche Ladesäulen sind Teil der Planungen. Kontrolliertes Laden und die Erprobung von bidirektionalem Laden sind im MVZ-Parkhaus, der Parkgarage des alten Verwaltungsgebäudes und an der Energiezentrale vorgesehen. „Das Ziel von all dem ist die Stabilisierung des lokalen Stromnetzes und die Erhöhung des Eigenverbrauchs von Solarstrom“, so Gerhard Stryi-Hipp.
Läuft nun alles nach Plan, sollen die Rückbau- und Sanierungsarbeiten im Jahr 2027 abgeschlossen sein. Die Neubebauung kann sich noch länger hinziehen. Um eine klimaneutrale und zukunftsorientierte Bebauung zu erreichen, wurden von den Forschern im Rahmen von „EnStadt:Pfaff“ ein Solarleit-faden, ein regionaler Wertschöpfungsrechner sowie eine Materialdatenbank zur Berechnung von Lebenszykluskosten erarbeitet, die nun den künftigen Investoren und Planern zur Verfügung stehen. In der Umsetzung werden weitere Erkenntnisse zur modernen Quartiersentwicklung gewonnen. Das Großprojekt in der „Nähmaschinenstadt“ könnte somit zum Vorbild für andere bundesweite Projekte werden.
Weitere Informationen unter: www.pfaff-quartier.de www.peg-kl.de
Freitag, 16.08.2024