Immer mehr Kommunen nehmen Energieeffizienz-Lösungen für ganze Stadtteile und Quartiere in Angriff. Im Mittelpunkt meist: Wärmenetze und Wärmepumpen.
Immer mehr Kommunen nehmen Energieeffizienz-Lösungen für ganze Stadtteile und Quartiere in Angriff. Im Mittelpunkt meist: Wärmenetze und Wärmepumpen.
Für Vladimir Tsintsiper ist die Sache klar: "In zehn Jahren soll unser Bedarf an Endenergie für Gebäude um 80 Prozent unter dem Wert von 2008 liegen. So jedenfalls der offizielle Energiewende-Fahrplan. Das ist nur mit dem intelligenten, großflächigen Einsatz von Wärmepumpen zu schaffen."
Tsintsiper weiß, wovon er spricht. Er arbeitet seit Jahren für den Wärmepumpenhersteller alpha innotec – unter anderem als Projektierer für Quartierslösungen. "Jede Kommune, die heute eine Siedlung oder ein neues Quartier plant, sucht nach den besten Möglichkeiten, die künftigen Wohnungen kostengünstig und umweltfreundlich mit Wärme zu versorgen."
Gegenüber kleineren Projekten haben Quartierslösungen nicht selten einige signifikante Vorteile: Ihre Betreiber können mitunter auf Rahmenbedingungen zugreifen, die einem einzelnen Verbraucher für sein Eigenheim nicht zur Verfügung stehen. Hinzu kommt: Mit größer angelegten Systemen lassen sich in aller Regel Synergieeffekte erreichen, die das Effizienzniveau zusätzlich heben.
Meist basieren Quartierskonzepte auf einer Versorgungs-Infrastruktur, die vergleichbar ist mit einem Fernwärmenetz. Allerdings – wegen der niedrigeren Temperaturen und der kürzeren Wege – mit deutlich weniger Energieverlusten.
Ein kaltes Nahwärmenetz zum Beispiel liefert den angeschlossenen dezentralen Wärmepumpen, je nach Auslegung und Wärmequelle, eine Quellentemperatur zwischen 6 und 12 °C. Die Alternative ist ein Nahwärmenetz, dessen Temperaturniveau meist zwischen 35 und 40 °C liegt. Um Spitzenlasten abzufedern, ist in beiden Netzvarianten üblicherweise ein thermischer Speicher integriert.
Nahwärmenetze kommen häufig bei bi- bzw. multivalenten Systemen zum Einsatz, in denen verschiedene Wärmeerzeuger arbeiten – neben Wärmepumpen beispielsweise auch Blockheizkraftwerke (BHKW). Hierbei ist den einzelnen Verbrauchern/ Abnehmern eine Technikzentrale vorgeschaltet. Sie versorgt die Flächenheizungen der angeschlossenen Wohnungen direkt mit Heizenergie auf Vorlauftemperaturniveau.
Kalte Nahwärmenetze werden dagegen bevorzugt bei monovalenten Systemen eingesetzt – also Systemen, die ihre Heizenergie ausschließlich mit dezentralen Wärmepumpen erzeugen. Die kalten Netze eignen sich ideal für die Kombination mit Wärmepumpen, denn die relativ geringe Temperaturdifferenz zwischen Wärmequelle und der Vorlauftemperatur beispielsweise moderner Flächenheizsysteme steigert die Effizienz von Wärmepumpensystemen deutlich.
Dezentrale Wärmepumpen, die unter anderem in Mehrfamilienhäusern (analog der Gas-Etagenheizung) die Energieversorgung jeder einzelnen Wohnung übernehmen, haben darüber hinaus den Charme, dass die Erzeugung von Brauchwarmwasser der jeweiligen Wohnung obliegt. Damit entfallen i.d.R. jegliche Vorkehrungen, die getroffen werden müssten, um den strengen Vorgaben der Trinkwasserverordnung bzgl. Trinkwasserhygiene gerecht zu werden. "Ein dezentraler Brauchwarmwasserspeicher, der bereits in der kompakten Wärmepumpenzentrale integriert ist, mit einem Volumen von 200 Litern – das ist das Übliche – gilt als Kleinanlage. Damit ist er von der regelmäßigen Kontrollpflicht ausgenommen, wie sie für eine zentrale Trinkwasserversorgung bei einer Großanlage ab drei Wohneinheiten vorgeschrieben ist", so Tsintsiper.
Hinzu komme, dass damit jeder Haushalt selbst für seine Verbrauchs- bzw. Energiekosten verantwortlich sei. Die Stromversorgung der Wärmepumpe läuft, wie bei anderen Haushaltsgeräten auch, einfach über den wohnungseigenen Stromzähler.
"Meist sorgt dabei der Betreiber des Projekts, zum Beispiel die kommunalen Stadtwerke, für die Erschließung der Wärmequelle und verantwortet Errichtung und Betrieb der Infrastruktur. Auch die in der jeweiligen Wohnung installierten Wärmepumpen sind oft im Eigentum des Betreibers", erklärt Vladimir Tsintsiper.
Ein mustergültiges Projekt entsteht derzeit in Wiesbaden: "Wohnen westlich des Schlossparks". Initiator und Betreiber sind die dortigen Stadtwerke, die ESWE Versorgungs AG. Sie lassen dort fünf Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 67 Wohneinheiten und 20 Einfamilien- beziehungsweise Reihenhäuser errichten.
Die Rahmenbedingungen für das Erschließen der Wärmequelle sind günstig, denn südlich des Baugebietes verläuft ein Hauptabwasserkanal der Wiesbadener Entsorgungsbetriebe. Ein dort installierter Wärmeübertrager macht das Abwasser mit einem Temperaturniveau von 12 bis 15 °C als Wärmequelle für die kalte Nahwärmeversorgung nutzbar. Sie speist die Wärmepumpen, die in jedem Einfamilienhaus für Heizung und die Bereitung von Brauchwarmwasser installiert sind.
Zu den bundesweit größten Projekten seiner Art zählt ein Baugebiet in der Nähe von Hannover: Im ersten von drei geplanten Bauabschnitten sollen hier in Kürze zwölf Mehrfamilienhäuser und 48 Einfamilienhäuser entstehen. Auch hier setzt der Betreiber auf ein kaltes Nahwärmenetz, das über Erdkollektoren die dezentralen Sole/Wasser-Wärmepumpen in den Wohnungen mit Energie beliefert. Ein entscheidender Synergieeffekt: Während in einem heutigen Neubaugebiet aufgrund der Grundstücksgrößen Erdkollektoren praktisch nicht realisierbar sind, lässt sich das komplette Quartier hier auf diese Weise versorgen.
Neun Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 93 Wohneinheiten und 88 Doppel- beziehungsweise Reihenhäuser sollen in der Nähe von Frankfurt/M. entstehen – derzeit läuft die Machbarkeitsstudie dazu. Das Quartier soll in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem großen Rechenzentrum entstehen. Dessen Abwärmeleistung (ca. 1 MW) könnte zentral gepuffert werden und über ein kaltes Nahwärmenetz den dezentralen Wärmepumpen der Siedlung als Energiequelle dienen. "Die Jahresarbeitszahl der gesamten Anlage wird, nach unseren Berechnungen, knapp unter 4,6 liegen", freut sich Tsintsiper.
Auf eine Mischung der Systeme setzt der Betreiber eines Projekts bei Grevenbroich, das derzeit auf seine Machbarkeit hin geprüft wird: Ein Teil der geplanten 400 Wohneinheiten wird dezentral mit Wärmepumpen ausgestattet, die über ein kaltes Netz mit Sole versorgt werden. Der andere Teil bekommt seine Heizenergie direkt aus der Wärmezentrale. Auch die Entnahme der Energie aus dem Erdreich ist als Mischform geplant – zum Teil mit Erdkollektoren, zum anderen Teil mit Sonden über Tiefenbohrungen. Die Möglichkeiten der Technologie sind vielfältig: So nutzen die Betreiber des niederländischen Quartiers "Mijnwater" in Heerlen Grubenwasser aus einem Bergwerk als Wärmequelle. Schon jetzt versorgt das ehrgeizige Projekt mehr als 200.000 m² beheizte beziehungsweise gekühlte Fläche, bis 2025 sollen es gar stolze eine Million Quadratmeter werden.
Die Kombination unterschiedlicher Systeme und Funktionen gewinnt überdies zunehmend an Bedeutung: "Diversifizierung und ganzheitliche Lösungen heißt das Gebot der Stunde. So gibt es bereits erste Quartiere, in denen Verbraucher auch als Versorger auftreten und ihren selbst erzeugten Solarstrom einspeisen können", betont Vladimir Tsintsiper. Die meisten Quartiersnetzbetreiber würden ihren Kunden auch anbieten, ihre Wärmepumpen optional mit Kühlfunktion zu betreiben.
"Die neuen Stadtquartiere der Zukunft werden praktisch ausnahmslos auf der Basis solcher oder ähnlicher Versorgungskonzepte entstehen", ist Vladimir Tsintsiper überzeugt. "Wirtschaftlichere Lösungen gibt es nicht. Und es bringt die Energiewende im Sinne des Gesetzgebers und der ganzen Gesellschaft voran. Wir von alpha innotec haben deshalb ein Experten-Netzwerk geschaffen, das solche Projekte komplett realisieren kann – von der Machbarkeitsstudie und Projektierung über die Erschließung der Wärmequelle, den Bau des Versorgungsnetzes und die Installation der Wärmepumpen bis hin zum Monitoring. Und natürlich übernehmen wir auf Wunsch auch die Wartung und Betreuung der Anlage im laufenden Betrieb."
Weiterführende Informationen: https://www.alpha-innotec.de/
Dienstag, 18.08.2020