Weg von der Primärenergie
Auf einige Details zur Implementierung der HTWP in diese Prozesse geht die Abhandlung „Herausforderungen einer klimaneutralen Milchverarbeitung“ ein. Der Autor, Prof. Dr.-Ing. Jörg Hinrichs, leitet das Fachgebiet Milchwissenschaft und -technologie an der Universität Hohenheim. Er ergänzt beispielhaft unter der Maxime „Weg von der Primärenergie“ die Recherche von Arpagaus mit Zahlen und Beispielen aus der Milchwirtschaft. Für Molkereien kommen die Aggregate in zweierlei Hinsicht infrage. Zum einen für die Kreislaufwirtschaft im eigenen Betrieb. Zum anderen als Energiequelle für externe Bezieher, zum Beispiel für das Nah- oder Fernwärmenetz der örtlichen Stadtwerke. In Wörgl in Tirol etwa speisen drei Hochtemperatur-Wärmepumpen von zusammen rund 4 MW jährlich etwa 21.000 MWh aus Österreichs zweitgrößter Käseproduktionsstätte „Tirol Milch“ in das kommunale Fernwärmenetz ein – mit Temperaturen von 85 bis 90 °C. Die Maschinen stammen von Frigopol in Frauental in der Steiermark. „Tine“, Norwegens größter Produzent von Milchprodukten, gehört als Kooperative jenen Landwirten, die das Unternehmen mit Rohmilch beliefern. Die neue Molkerei in Bergen versorgt die komplette Region mit Frischmilch, Sahne und Fruchtsäften. Die Krones AG aus Neutraubling entwarf gemeinsam mit „Tine“ ein Energiekonzept mit einem dreistufigen System aus Wärmepumpen und Kältemaschinen. Die Installation erzeugt mit vergleichsweise geringem Druck Temperaturniveaus von 67 und 95 °C für Heißwasser.
Abwasser als kalte Nahwärme
Traditionell verwenden die Lebensmittel- und Getränkeproduzenten inklusive der Molkereien zum Pasteurisieren und Ultrahocherhitzen fossil befeuerte Kessel. Die Produkte müssen anschließend wieder heruntergekühlt werden und mangels Abnehmer entweicht die niedertemperaturige Abwärme aus dem Kühlprozess ungenutzt. Im Fall Tine „recyceln“ HTWP die Abwärme der Kälte- und Druckluftanlage unter anderem für den Pasteurisator. Die CO2-Emissionen aus diesem Prozess sinken mit dem üblichen Strommix um etwa 50 Prozent und gehen mit grünem Strom gegen null. Als drittes Beispiel wird die „Molkerei Rücker“ im ostfriesischen Aurich zukünftig ihr Abwasser in ein kaltes Nahwärmenetz einspeisen. Generell dominiert in der heutigen Lebensmittelverarbeitung eine Kombination aus Wärmebehandlung und anschließender Kühllagerung für eine längere Haltbarkeit. Diese Parallelität von Heizen und Kühlen erhöht den Gesamt-COP erfahrungsgemäß auf 2 x COPH – 1
In der Formel ist COPH der Effizienzkoeffizient der HTWP im Heizbetrieb. Im gleichzeitigen Heiz- und Kühlmodus klettert mithin der COP Heizen/Kühlen von angenommen 3,5 für COPH auf einen Gesamt-COP von 6. Der Energieverbrauch der Anlage mit HTWP reduziert sich folglich auf gerade mal ein Sechstel gegenüber einer Ausführung ohne Hochtemperatur-Wärmepumpe.
Eine einfache Rechnung
Arpagaus hat den COPH von 14 Standard-Hochtemperatur-Wärmepumpen für einen Temperaturhub von 50 K aus-gewertet. Er pendelt um 45 Prozent des Maximums, bezogen auf den Carnot-Prozess. Der errechnet sich aus der Ausgangstemperatur HTWP (in Kelvin) geteilt durch den Hub. Wenn die Ausgangstemperatur also 100 °C oder rund 370 K beträgt und die industrielle Abwärme 40 °C hat, errechnet sich daraus ein COPH von 2,8 (= 370 : 60 x 0,45).
Die Universität Hohenheim untersuchte auf Basis der Ergebnisse von Arpagaus die Energiekostenvorteile für eine Molkerei bei Einsatz von HTWP. Die Umweltbewertung sei an dieser Stelle ausgeklammert, weil sich der Strommix immer mehr zugunsten erneuerbarer Energien verändert, sodass in Bezug auf die Klimaziele der Einsatz einer HTWP in jedem Fall ein Beitrag zum Klimaschutz leistet. Die Energiekosten sind allerdings das eine, die Investitionskosten das andere. Sie bedürfen der öffentlichen Förderung. Denn solange die Elektrizität für die Industrie das Dreifache gegenüber der Primärenergie, etwa Erdgas, kostet, amortisiert sich eine HTWP für die Lebensmittelhersteller nicht: Im Jahr 2020 betrug der Strompreis für die Industrie in Deutschland im Durchschnitt 8,5 Cent/kWh, während der Erdgaspreis bei 2,5 Cent lag. Bei diesem Verhältnis bestehen erst ab einem Gesamt-COP von 3,4 Energiekostenvorteile für die HTWP, zum Beispiel als Energielieferant für die Pasteurisierung. Bei Kühlwasser von 20 bis 30 °C als Energiequelle und einem Temperaturhub zwischen, je nach Zieltemperatur, 50 bis 70 K errechnet sich ein COP Heizen/Kühlen von etwa 3,5 bis 4,7. Für H-Milch demgegenüber müsste der Hub 110 K (von 30 auf 140 °C) betragen. Es stellte sich gerade mal ein Gesamt-COP von 2,3 ein. Die Energiekosten würden sich folglich erheblich verteuern.