Die Umsetzung einer EU-Verordnung, die HBCD-belastete Dämmstoffe als gefährlichen Abfall einstuft, köchelt weiter. Nach anfänglichem Chaos hat der Bundestag reagiert und die Kennzeichnung im Dezember für ein Jahr ausgesetzt. Damit hat man Zeit gewonnen, eine Lösung ist das aber noch nicht. Und die Uhr tickt weiter.
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Dämmstoffe ohne HBCD
Für die Flächenheizung sind Alternativen verfügbar
Mittwoch, 11.10.2017
Es war im September 2016: Heizungsbauer Gerhard W. aus Nürnberg war wie immer mit seinem Verpackungsmüll zur örtlichen Deponie gefahren. Entsorgen wollte er diesmal alte Styropor-Platten aus einer Sanierung und diverse Verpackungen von Heizkörpern, Durchlauferhitzern und Badmöbeln. Doch daraus wurde nichts: Die Mitarbeiter der Deponie forderten Gerhard W. auf, jeden Schnipsel Schaum, egal ob aus Styropor oder Styrodur, auszusortieren und wieder mitzunehmen. So wie Herrn W. erging es im vergangenen Herbst vielen Handwerkern.
Das Problem hat vier Buchstaben: Es heißt "HBCD" und ist ein Flammschutzmittel. Es wurde für Dämmstoffprodukte aus expandiertem Polystyrolhartschaum (EPS) – auch bekannt unter dem Markennamen "Styropor" – sowie Polsterstoffe von Möbeln, Vorhängen oder auch Gehäusekunststoffe verwendet.
HBCD gilt als giftig und extrem langlebig. Es reichert sich in Lebewesen und Böden an und wird über die Umwelt – Wind, Meere, Erosion – weit verbreitet. Sogar in Fischen, Meeressäugern und Raubvögeln arktischer Regionen kann man heute HBCD nachweisen. Das Mittel beeinträchtigt die Fruchtbarkeit und kann Babys über die Muttermilch gesundheitlich schädigen.[1]
Das Umweltbundesamt weist jedoch darauf hin, dass es unter Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen beim Rückbau, Abbruch und Transport von HBCD-haltigen Dämmplatten zu keinem Gesundheitsrisiko komme.
Die Rechtslage
Im Mai 2013 haben die Vertragsstaaten der Stockholm-Konvention HBCD als persistenten organischen Schadstoff (persistant organic pollutant – kurz POP) definiert. Für die Entsorgung bedeutet das, dass das HBCD durch abfallwirtschaftliche Maßnahmen zerstört oder unumkehrbar umgewandelt werden muss. Materialien gelten als mit HBCD belastet, wenn die Konzentrationsgrenze von 1.000 Milligramm pro Kilogramm überschritten wird.
Als geeignete Maßnahme hierfür gilt die thermische Behandlung in einer gängigen Abfallverbrennungsanlage. Im März 2016 hat die EU die auf internationaler Ebene vereinbarten Grenzwerte in die europäische POP-Verordnung übernommen. Der Bundesrat hatte im November 2015 im Rahmen der Novelle der Abfallverzeichnisverordnung (AVV) eine dynamische Verlinkung zur POP-Verordnung in die AVV eingebracht (BR-Drs. 340/15 Beschluss).
Demnach gelten künftig automatisch alle in der POP-Verordnung gelisteten Abfälle in Deutschland als gefährlich. HBCD-haltiges Polystyrol wurde nicht explizit, also willentlich, als gefährlicher Abfall definiert. Die Einstufung als "gefährlich" ist vielmehr ein Nebenprodukt der AVV-Novelle. Europarechtlich gefordert ist diese Einstufung nicht.
Entsorgungsstau in Deutschland
Bisher wurden HBCD-haltige Stoffe mit einem Ersatzbrennstoff vermischt und anschließend in Müllheizkraftwerken verbrannt. Ab 1. Oktober 2016 sollten Polystyrol-Abfälle in deutlich teurere Sondermüllverbrennungsanlagen ge-bracht werden. Doch es gibt bundesweit nur etwa 30 solcher reinen Sonderabfall- und Rückstandsverbrennungsanlagen.[2]
Und das noch größere Problem: Da bisher keine Kennzeichnungspflicht bestand, sieht man dem Müll nur in Ausnahmefällen eine eventuelle HBCD-Haltigkeit an. Der einzelne Handwerker tut sich schwer, den Müll entsprechend vorzusortieren. In der Folge kann der Entsorgungsbetrieb seine Fracht nicht klar beschriftet bei der Müllverbrennungsanlage abliefern. Dazu gesellen sich noch alles andere als rosige Zukunftsaussichten: Bundesweit kleben etwa 800 Mio. m² HBCD-beschichtete Styropor-Platten auf Fassaden – eine Fläche größer als das Stadtgebiet von Hamburg. [3]
Im Dezember 2016 hat deshalb die Bundesregierung einen einjährigen Aufschub erwirkt. Seither darf HBCD-haltiges Styropor wieder wie früher entsorgt und zusammen mit anderen Abfällen verbrannt werden – vorerst. Denn das Moratorium gilt eben nur für ein Jahr.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) verlangte daraufhin umgehend eine langfristige Lösung: "Es muss sichergestellt sein, dass die Betriebe in einem Jahr nicht erneut einem Entsorgungsnotstand gegenüberstehen und die Entsorger Mondpreise für die Verbrennung fordern", so ZDH-Hauptgeschäftsführer Holger Schwannecke.[4]
Was ist seither geschehen? Beginnt das Dilemma ab 31. Dezember 2017 von Neuem? Bundesumwelt- und -bauministerin Barbara Hendricks will weg von der Einstufung als gefährlicher Abfall. Für eine bundeseinheitliche, rechtskonforme Lösung ist sie derzeit im Gespräch mit den Ländern. Konkrete Ergebnisse stehen momentan noch aus, ein Referentenentwurf wird zurzeit erarbeitet.[5]
Wie auch immer die Lösung aussehen wird: Die SHK-Branche sollte sich schon jetzt mit dem Thema befassen. Wer zum Beispiel angesichts der Notstandssituation im November und Dezember neue Entsorgungsverträge zu deutlich höheren Preisen als früher abgeschlossen hat, der sollte mit den Entsorgungsunternehmen unter Hinweis auf das Bundesrats-Moratorium schon jetzt neu verhandeln. Daneben sollte bei neuen Projekten gleich auf HBCD-freie Dämmungen geachtet werden. Hersteller wie Zewotherm haben bereits angefangen, ihre Produkte deutlich mit "HBCD-frei" zu kennzeichnen.
Weiterführende Informationen: http://www.zewotherm.de
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