Die Beteiligung Deutschlands führender Elektrizitäts-, Gas- und Wasserkonzerne, vieler kommunaler Versorger, zahlreicher Newcomer, namhafter Unternehmen aus der Heizungsbranche und ihrer Peripherie und schließlich aus der Politik macht deutlich: Auf der E-world in Essen treffen sich die "erneuerbare" Gegenwart und die Zukunft der Energieversorgung. Der Wärmemarkt eingeschlossen. Bestimmend in diesem Jahr war die Digitalisierung. Ein Statement aus der Politik ließ dazu aufhorchen.
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E-World: Gewerke- und Strukturwandel wird deutlich sichtbar
Mittwoch, 05.04.2017
Das konkrete Messeangebot der gut 700 Aussteller: Es reichte von Erzeugung über Handel, Transport und Speicherung bis hin zu Effizienz und "Smart Energy" in der Gebäudetechnik. Laut Abschlussbericht des Veranstalters nutzten rund 25.000 Fachbesucher, ein Plus von vier Prozent, aus 74 Nationen die E-world Anfang Februar 2017, um sich zu informieren, neue geschäftliche Kontakte zu knüpfen und zu "networken".
Allein im Bereich "Smart Energy" – die Vernetzung und Steuerung von Stromerzeugung, Speichersystemen und Verbrauchern – präsentierten 150 Unternehmen ihre Lösungen. Zudem war die Messe ein wichtiger Platz für junge Unternehmen, um Kontakte in die Branche zu knüpfen. Auf der Gemeinschaftsfläche "E-world Innovation" zum Beispiel stellten über 60 junge Unternehmen und Start-Ups ihre Produkte und Dienstleitungen für die Zukunft der Energiebranche vor. Darüber hinaus waren die Hallen 6 und 7 für "Smart Energy"-Aussteller mit intelligenten und effizienten Energielösungen rund um die Vernetzung und Steuerung von Stromerzeugern, Speichersystemen und Verbrauchern reserviert.
Neue Partnerschaften entstehen
Ideen für die Zukunft der Energiebranche – nicht nur was Produkte angeht, sondern auch neue Partnerschaften. Es sickert gerade durch: E.ON will mit Viessmann eine solche Zusammenarbeit eingehen und ähnlich wie vor sechs Jahren via "Bildzeitung" die Eigentümer zum Kesseltausch mit – das ist Bedingung in dieser Kampagne – "Smart Home"-Regelung bewegen. In Verbund mit "Smart Home" ist E.ON ein attraktiver Name. "Lifestrom" heißt stromseitig die Offerte von E.ON mit langjähriger Preisgarantie. "Sat 1" sitzt als Informationsträger wahrscheinlich mit im Boot.
Wer installiert, wo es doch an Fachkräften mangelt? Naja, das ist nicht das ganz große Problem. E.ON ist schließlich an Thermondo beteiligt. Gasseitig werden Viessmann und Wingas zusammenarbeiten. Auf der E-world verkündeten beide eine vorerst zweijährige Kooperation im Heizungsgeschäft. Die umfasst "neben der Förderung von Leuchtturmprojekten im Neubausektor und gemeinsamen Förderprogrammen zur Stärkung innovativer Erdgastechnologien für Bestandsbauten auch den Ausbau gemeinsamer vertrieblicher Aktivitäten", heißt es in der offiziellen Verlautbarung. Diese Vertriebspartnerschaft ist nur einer der vielen Steine des neuen Dienstleister-Mosaiks im Wärmemarkt. Dazu gehören ebenfalls:
- Autoindustrie und Batteriehersteller drängen in den lukrativen Speichersektor für PV, KWK und Brennstoffzelle.
- Die Deutsche Telekom plant Energievertrieb an Privatkunden.
- 1&1 gründet Tochter für Energievertrieb.
- Premiere auf der Messe feierte eine E-Mobility-Kooperation zwischen Energiekonzern RWE und Autovermieter Sixt, die ein Komplettpaket mit Elektrofahrzeug einschließlich Ladesäule, Wartungsservice und Ökostromtarif umfasst.
Das Beispiel RWE und Sixt zeigt, wohin die Reise geht: zu Bündnissen aller Art und jeder mit jedem. Dem Heizungsmarkt stehen damit ebenfalls viele Überraschungen bevor. Vom Modell Viessmann entstehen gerade Kopien. "Die neuen Player sind durch Bekanntheit, hohen Werbedruck, sprich Werbebudgets, und attraktive Bündelprodukte sonst einfach eine echte Bedrohung. Wir müssen reagieren", gestand kürzlich der Vertreter einer der Großen der Heizungsindustrie. Wie gesagt, die Bündelprodukte erfassen alle drei Energieträger: Strom, Gas, Wasser.
EEG-Zuschlag auf Öl und Gas
Mit einer Überraschung wartete Staatssekretär Rainer Baake aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) auf. Er gilt als starker Mann für die Energiepolitik im Ministerium und als beamteter – nicht politischer – Staatsekretär mit vermutlich nachhaltigem Einfluss auch nach der Wahl im September (Baake: "Ich habe Freude an meinem Job"). Er, der bekennende Grüne, den wegen seiner hohen fachlichen Kompetenz eigens Sigmar Gabriel, Brigitte Zypries’ Vorgänger, ins SPD-geführte BMWi geholt hatte und dem die Wirtschaftsministerin versicherte "Sie haben bei mir freie Hand", sprach von einer "notwendigen Umverteilung der Lasten".
Jener Lasten, die derzeit die Elektrizität so teuer machen: "Ich glaube, dass für die nächste Regierung, egal wer immer sie stellen wird, ein Thema unvermeidbar ist und angegangen werden muss, nämlich: Wie verändern wir die relativen Preise? Wir haben heute sehr hohe Abgaben und Steuern auf den Energieträger Strom, wir haben im Verhältnis dazu eine niedrige Abgabe auf Kraftstoffe und auf Heizstoffe. Das heißt, man wird darüber nachdenken müssen, wie man hier zu einer gleichwertigeren Belastung kommt, weil es ansonsten unwirtschaftlich sein wird, erneuerbaren Strom im Mobilitätsbereich und im Wärmebereich einzusetzen. Wir müssen das Heizen und Fahren mit Strom wirtschaftlich machen."
Solarstrom aus der Kälte
Dazu wird die Photovoltaik (PV) erzeugungsseitig selbst etwas beitragen können, "das haben wir gerade erfahren. Wir haben eine kleine Menge, vier Megawatt, grenzüberschreitend mit Dänemark ausgeschrieben, um auch die europäische Integration im Energiemarkt weiterzubringen. Sämtliche Angebote aus Deutschland lagen über denen aus dem kälteren Dänemark. Die bauen jetzt die Anlagen für 6 Cent/kWh. Auf den Ausbau von Wind- und PV-Strom werden wir uns also unter anderem wegen der günstigsten Preise konzentrieren. Bei Biomasse stoßen wir auf Grenzen durch den Naturschutz, die Nahrungsmittelproduktion und durch die Kosten. Wir liegen da bei 24 Cent/kWh."
Das sagte Rainer Baake am Vorabend der Messe auf dem "Führungstreffen Energie", zu dem die "Süddeutsche Zeitung" die Top-Entscheider der Energiebranche eingeladen hatte. Die waren denn auch zum Empfang gekommen.
Sie diskutierten untereinander und mit Baake Fragen, die die Gesellschaft bewegen:
Wie kann die Energiewende planbarer werden? Wird die Digitalisierung in der Branche über- oder unterschätzt? Welche Trends und Entwicklungen bilden den Rahmen für neue Geschäftsmodelle? Wie kann die Dekarbonisierung der Energieversorgung gelingen?
Keine Schonung für Erdgas
Für den Staatssekretär ist im Gegensatz zum dick plakatierten Glaubenssatz der Gasversorger "Erdgas. Die Energie für morgen" Erdgas nicht unbedingt zukunftsfähig. "Wir haben die Dekarbonisierung beschlossen und davon sind alle fossilen Energieträger betroffen, mithin auch das Erdgas." Die Rechnerei mit ein paar weniger CO2-Molekülen gegenüber Kohle und Erdöl macht er nicht mit. "Zero-Emission" ist seine Losung. Punkt. Also hin zu erneuerbaren Energien. Die Vertreter der entsprechenden Versorgungskonzerne hörten das sehr unwillig.
Verbrauchsminderung und Wärmewende
Energiewende heißt für den beamteten Politiker unter anderem Verbrauchsminderung und Wärmewende: "Efficiency first. Jede Kilowattstunde, die wir vermeiden, müssen wir weder herstellen, noch transportieren, noch bezahlen. Zweitens wird es darum gehen, in allen Sektoren erneuerbare Energien direkt einzusetzen. Zum Beispiel Solarthermie im Wärmebereich. Wind und Photovoltaik nebst Solarthermie haben nun mal die Eigenschaften, die sie haben: Sie produzieren nicht nach der Nachfrage. Deshalb muss der Markt darauf vorbereitet werden, dass er diese wachsenden Anteile effizient aufnimmt." Mit effizient meint Baake aber: nach Möglichkeit ohne jeden Umweg.
Flexibel erzeugen und verbrauchen
Die Digitalisierung der Verteilnetze mit "Prosumern" als Einspeiser und Abnehmer – KWK, Batterien, Warmwasserspeicher, Wärmepumpen – sei wegen ihrer höheren Effizienz zuerst auszuschöpfen. Flexible Erzeugung und flexibler Verbrauch statt Umwandlung in einen Zwischenspeicher wie Synthesegas. "Wenn heute flexible Erzeugung und Nachfragemanagement oftmals preisgünstiger sind, warum sollte der Staat dann teure Technologie subventionieren?"
Ein "Jein" zur Methanisierung
Damit sagte er "jein" zur Methanisierung. Eine Stromspeicheroption sei Power-to-Gas-to-Power schon, aber mehr als Notlösung anzusehen, denn als eine Standardlösung zur Unterbringung von überflüssigem Wind- und Solarstrom. "P2G" und erst recht "P2P" haben nicht das förderwürdige Wohlwollen seines Ministeriums. Die stationsreiche Umwandlungskette sei einfach mit zu vielen Verlusten verbunden: (Regenerative) Elektrizität – Elektrolyse – Methanisierung des Wasserstoffs – Verbrennungsmotor – Generator – und wieder nur Elektrizität. Vermutlich müsse man dann zusätzliche regenerative Stromkraftwerke bauen, nur um die Verluste damit zu decken.
Weiterführende Informationen: http://www.e-world-essen.com
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