Welche Herausforderungen müssen die Hersteller meistern?
Der Bestand an reinen Wärmeerzeugern umfasst derzeit rund 20,7 Millionen Geräte. Knapp 70 Prozent dieser Anlagen entsprechen nicht dem Stand der Technik – sprich: sie sind veraltet. Ersatzteile für eine Vielzahl dieser Geräte sind entweder nur noch in geringen Restmengen oder gar nicht mehr verfügbar. "Deshalb ist es erforderlich, die jeweiligen Werkzeuge für viele dieser Wärmeerzeuger aus den letzten rund 28 Jahren zu erfassen und abzugleichen, ob diese noch vorhanden oder noch einsetzbar sind", beschreibt Kuschel. "Dafür legen wir zusätzliche Datenbanken an und erfassen alle erforderlichen Einzelheiten der unterschiedlichen Umrüstteile. Danach werden komplette Prozesse zur hausinternen Herstellung oder Bestellungen bei Lieferanten aufgelegt. Gegebenenfalls müssen auch neue Lieferanten gesucht werden." Die Menge der umzurüstenden Anlagen macht deutlich, welcher organisatorische Aufwand hier auch auf die Hersteller zukommt, die bestrebt sind, zum richtigen Zeitpunkt der Anpassung die erforderlichen Ersatzteilmengen bereitzustellen.
Eine gesetzliche Verpflichtung der Hersteller zur Bereitstellung von Umrüstsätzen besteht nicht, nur wie schon erwähnt die sogenannte "Selbstverpflichtung". Alle namhaften Hersteller werden jedoch entsprechende Teile zur Verfügung stellen, wo dies noch möglich ist. Bei Vaillant arbeitet mittlerweile ein umfangreiches Team an diesem aufwendigen Projekt.
Die eventuelle Fertigung von Ersatzteilen durch Dritte wird besonders kritisch beurteilt. Dabei könnten nicht nur Schutzrechte und Patente des eigentlichen Herstellers verletzt werden, sondern die Garantie und Gewährleistungsansprüche wechseln dann zum "Dritthersteller" bzw. zum Verarbeiter. Dazu die Position des Bundesverbandes der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) in einem Schreiben an den DVGW vom 22. Juni 2016: "Ersatzteile, insbesondere bei sicherheitsrelevanten Komponenten, müssen den vom Hersteller festgestellten technischen Anforderungen entsprechen. Dies ist durch Originalersatzteile, die einer überwachten Endprüfung und einem Konformitätsnachweisverfahren unterliegen, gewährleistet. Werden entgegen dieser Empfehlung andere Ersatzteile eingesetzt, kann die Produkthaftung (nach dem Produkthaftungsgesetz) und Gewährleistung des Geräteherstellers erlöschen."
Wer trägt die Kosten der Umrüstaktion?
Die Kosten der gesamten Marktraumumstellung von L- auf H-Gas belaufen sich voraussichtlich auf geschätzte 2,2 Milliarden Euro. Auf der Basis des § 19 EnWG tragen die Gasversorger die Kosten der Anpassungsmaßnahmen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, alle Kosten im Rahmen der "Solidarisierung" innerhalb des Versorgungsnetzes auf das gesamte Marktgebiet des Fernleitungsnetzbetreibers umzulegen.
Welche Voraussetzungen und Prozesse haben die Hersteller geschaffen?
Hier hat jeder Hersteller auf der Basis seiner eigenen Geschäftsstrukturen unterschiedliche Prozesse erstellt und umgesetzt. "Insbesondere service- und fachhandwerksaffine Unternehmen wie Vaillant haben ein umfangreiches Maßnahmenpaket in der Dienstleistung entwickelt", so Kuschel. "Dies beginnt mit dem eigenen hausinternen Service Center »tecbytel«. Hier werden alle Fragen, zum Beispiel zu Ersatzteilen oder Funktionalitäten der Geräte, beantwortet. Mit der jeweiligen Vaillant-Kundennummer wird die Telefonnummer freigeschaltet, die auch nur den Anpassungsfirmen und dem Projektmanagement vorbehalten ist. Gleichzeitig lässt sich gegebenenfalls auch direkt durch das Projektmanagement der Vaillant-Service für eventuelle Kundendiensteinsätze beauftragen. Das Spektrum reicht dann weiter über eine separate Adresse für Endkunden-Anliegen, also Beschwerden, bis hin zu speziellen Trainings für alle Anpassungsunternehmen. Hier ist es sehr wichtig, dass die Verantwortlichen in den Anpassungsunternehmen eine sehr sorgsame Ausbildung der Mitarbeiter gewährleisten."
Für den Erwerb von Spezialwissen sollten dann Trainings bei den führenden Herstellern besucht werden. "So lässt sich in der gesamten Mannschaft der Umrüstfirma am besten ein Spezialistenteam für jeden Hersteller formen", führt Kuschel aus. "Denn nach der Erfassung ist genau bekannt, welche Geräte von welchem Hersteller im Einsatz sind. Wir vermitteln dann in eigens aufgesetzten Trainingsmodulen beispielsweise, wie die Geräte im Einzelnen zu behandeln sind, wie die Gaseinstellung und eine CO-Messung durchgeführt werden oder wie die Sicherheitseinrichtungen zu bedienen sind. Deswegen sind entsprechende Trainings durch alle Hersteller eminent wichtig. Abgerundet wird unser »Servicepaket« mit einer neu geschaffenen Internetseite. Sie gibt dem Nutzer Auskünfte zur Marktraumumstellung und ermöglicht dem Endkunden mittels seiner Postleitzahl, bei Bedarf einen SHK-Fachhandwerker zu wählen, um mit ihm gemeinsam eine maßgeschneiderte Lösung zu erarbeiten, falls ein Wärmeerzeuger einmal getauscht werden muss."
Wer ist für den Umrüstprozess vor Ort verantwortlich?
Lange vor Beginn der eigentlichen Umstellung schreibt der örtliche Energieversorger das komplette Projekt aus. Dazu gehören das Projektmanagement, die Erfassung aller Daten, die eigentliche Anpassung sowie die anschließende Qualitätskontrolle. Es können sich unter anderem alle Firmen bewerben, die sich nach dem DVGW-Arbeitsblatt 676-B1 haben zertifizieren lassen.
In einer zweiten Ausschreibung wird das örtliche Projektmanagement gesucht, das durch den Netzbetreiber mit der kompletten Projektdurchführung beauftragt wird. In Schneverdingen und Walsrode war hierfür zum Beispiel das Gas- und Wärme-Institut Essen (GWI) beauftragt worden. Hauptaufgabe ist es hier, den gesamten Prozess zu koordinieren sowie alle Fragen rund um die Marktraumumstellung für alle Beteiligten bzw. Betroffenen zu beantworten. Die letzte Ausschreibung betrifft das Unternehmen, das nach erfolgter Umstellung mindestens zehn Prozent aller Anlagen auf ihre ordnungsgemäße Anpassung und ihre Sicherheit überprüft. Erste Erfahrungen in den Gebieten Walsrode und Schneverdingen zeigen, dass diese Organisations- und Prozessstruktur eine erfolgreiche Grundlage für eine sichere Marktraumumstellung bietet.
Fazit
Es ist eine riesige Herausforderung – die Marktraumumstellung für rund 5,2 Millionen Gasverbrauchseinrichtungen in Nord- und Westdeutschland. Von 2015 bis 2030 werden zahlreiche Beteiligte diesen Prozess begleiten und dafür erhebliche Ressourcen aufwenden. Die Notwendigkeit der Maßnahme ist für die langfristige Versorgungssicherheit unumstritten. Umfangreiche Prozesse und eine durchdachte Organisation bilden die Basis der Gesamtaktion. Die Erfahrung mit den beiden Testregionen Schneverdingen und Walsrode und den etwa 18.000 Gasverbrauchseinrichtungen hat gezeigt, dass es möglich ist, einen einwandfreien Übergang von L- auf H-Gas zu schaffen.
Termine der Gasarten-Umstellung