Immanuel Pache, Projektleiter bei SWM: „Damit ist das Besondere an der »Postillonstraße«, dass wir hier erstmals ein ehedem reines Kältenetz in ein Kälte-Wärme-Netz, also zu Kalter Nahwärme gewandelt haben. Wir hätten die Objekte auch an unsere Fernwärmetrasse, die noch näher an den Häusern vorbeiführt als der Kaltwasserstrang, anschließen können. Es macht aber nachhaltig keinen Sinn, Niedertemperaturbedarf mit Hochtemperatur abzudecken. In diese Richtung wird man generell in Deutschland und bei den Fernwärmegesellschaften nachdenken müssen.“
Der Ausgangspunkt der mehrere Kilometer langen Trasse in der Münchener Innenstadt befindet sich im Untergeschoss des Stachus-Bauwerks in Form von zwei Kältezentralen plus einer weiteren am Odeonsplatz. Am Stachus tragen zudem neun große Eisspeicher dazu bei, aktuell nicht genutzte Kälte für Spitzen am Folgetag einzulagern.
Bessere Regelbarkeit
Verglichen mit dem Strombedarf konventioneller Technik soll sich der Verbrauch, laut Investor, um etwa 70 Prozent reduzieren und entsprechend die CO2-Belastung. Da SWM die Kälte des unterirdisch fließenden Westlichen Stadtgrabenbachs einbezieht, erreicht der EER – das Verhältnis von Kälteproduktion zu Strombedarf – im Jahresmittel einen Spitzenwert von 5,3, inklusive aller Hilfsenergien. In konventionellen Kälteanlagen klettert er nicht über den halben Wert, in kleineren Anlagen nicht einmal so weit.
Diese existierende Struktur bot sich für die Wohnanlage „Postillonstraße“ an. Die beiden Wärmepumpen heben den Kälterücklauf von etwa 15 °C auf 45 und 70 °C an. Die Splittung auf zwei Aggregate hat in erster Linie etwas mit den unterschiedlichen Betriebszeiten zu tun. Die winterliche Hochtemperaturinstallation kann im Sommer abgeschaltet bleiben. Dadurch ist auch eine bessere Regelbarkeit gegeben. Es handelt sich also nicht um eine zweistufige Auslegung. Jede Maschine hat ihre eigenen Verbraucher. Über den Verteiler besteht indes die Möglichkeit, sich im Havariefall gegenseitig zu unterstützen.
Zwei Temperaturebenen untertage
Was Kalte Nahwärme generell angeht, wartet München mit einer Ungewöhnlichkeit auf. Die Stadt ruht auf zwei unterschiedlichen Temperaturebenen. Die erste liegt in 2.000 bis 3.000 m Tiefe, dürfte mit Temperaturen bis teilweise über 100 °C energetisch unerschöpflich sein und sich zur Produktion von sowohl Strom als auch Wärme und Kälte anbieten – Kälte mithilfe von Absorptionskältemaschinen, Strom mithilfe von Dampfturbinen, wenn das geförderte Wasser heiß genug ist.
Einige Etagen höher, so zwischen 15 und 20 m Tiefe, fließt unter der bayerischen Landeshauptstadt nebst der umgebenden Region ausreichend Grundwasser mit der vorteilhaften Eigenschaft, sehr sauerstoffreich zu sein. „Unser Grundwasser bildet sich vornehmlich durch den Niederschlag. Der Niederschlag enthält viel gelösten Sauerstoff. In sauerstoffarmen Grundwasserregionen neigen die Brunnen zur Verockerung durch die Anreicherung mit Eisen und Mangan. Im sauerstoffreichen Wasser sind dagegen gegenläufige Tendenzen zu beobachten“, erklärt Immanuel Pache.
„Gechilltes“ Grundwasser
Probleme treten nur auf, wenn die Schichten tiefer liegen. Sauerstofffreies oder -armes Wasser mit niedrigem pH-Wert ist in der Lage, große Mengen von Eisenionen zu lösen. In solch einem Fluid wächst Eisenhydroxid (Eisenocker) auf und setzt im Laufe der Zeit sämtliche Anlagenteile, wie Brunnen, Pumpen oder Rohrleitungen, zu. Bei Brunnenfiltern kommt es zum Versiegen der Wasserförderung.
Die Gebäude „Postillonstraße 3 bis 11“ plante die Arbeitsgemeinschaft Laux Architekten und Maier Neuberger Architekten. Der SWM-Bereich Immobilien betreute die Realisierung. Zum Nachhaltigkeitskonzept gehören ebenfalls das mit Photovoltaik bestückte Flachdach. Im Bereich der Tiefgarage befinden sich des Weiteren Pkw-Stellplätze mit Anschlussmöglichkeiten für Elektroautos. Der Ausstattungsschlüssel liegt hier bei 0,8, weil SWM zum Abbremsen des Klimawandels ein stadtfreundliches E-Mobilitätsangebot konzipierte. Das steht nicht nur den Bewohnern offen. Es reicht von Carsharing über „MVG-Rad“ bis zu übertragbaren MVV-Nahverkehrstickets.