Seit dem Atomausstieg
Der kommunale Versorger macht nicht nur die „Postillonstraße“ zukunftsfähig. München hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, 2035 klimaneutral zu sein. Mit welchen Konzepten und Maßnahmen? Dafür ließ die Verwaltung von drei wissenschaftlichen Einrichtungen, dem Öko-Institut, Intraplan und vom Hamburg Institut, die Studie „Klimaneutrale Wärme München 2035“ erarbeiten. Die Experten empfehlen unter anderen einen Ausbau des geothermischen Potentials von derzeit 200 MW auf 400 MW thermisch bis 2035.
Die Stadtwerke schwingen sich damit nicht auf den Zug der Zeit: Schon vor dem Atomausstieg der Bundesrepublik beschloss der Stadtrat die Stromwende und startete die Ausbauoffensive erneuerbare Energien. Die sieht vor, 2025 so viel Ökostrom in eigenen Anlagen zu generieren, wie ganz München verbraucht. Im Moment deckt der Versorger 90 Prozent des Elektrizitätsbedarfs der Stadt umweltfreundlich ab. 2025 dürften es sechs Terrawattstunden sein.
SWM stellt den Ökostrom in 60 Anlagen in und um München in Wasserkraftwerken, Wind- und PV-Anlagen sowie in geothermie- und biomassebetriebenen Systemen her. Das kommunale Engagement in erneuerbarer Energie ist für SWM-Chef Dr. Florian Bieberbach wirtschaftlich: „Die Kunden werden dadurch entlastet, nicht belastet.“
Horizontaler Brunnen
Aber zurück zu den Großwärmepumpen „Postillonstraße“ und dem Kaltwassernetz. Das Flüsschen Moosach und das Grundwasser speisen ein. Die beiden Wärmepumpen entziehen die Umweltenergie bzw. die Abwärme mit einem Durchsatz von gemeinsam rund 130 m3/h: Die „Vitocal 302.DS230“ (HT) mit dem Kältemittel R410A hat im Brunnenbetrieb einen Nennvolumenstrom auf der Primärseite von 63,6 m3/h und auf der Sekundärseite von 46,0 m3/h, für die „Vitocal 353.B198“ (NT, R134a) gelten 69,4 m3/h und 49,0 m3/h.
Zur Grundwasserentnahme experimentiert SWM mit einem neuen Verfahren. Wobei sich neu auf die Geothermiegewinnung, nicht auf die Trinkwassergewinnung bezieht; in dem zweiten Sektor kennt man das Verfahren schon seit vielen Jahrzehnten: Von einem vertikalen zentralen Schacht gehen in Höhe der wasserführenden Geologie, zum Beispiel in 15 oder 20 m Tiefe, sternförmig mehrere horizontale Bohrungen ab, deren eingelassene Kanäle das Trinkwasser aufnehmen. Doch kann die Bohrung unter Umständen, je nach Mineralogie, in eine nach oben gekrümmte „Bananenkurve“ übergehen und damit das Grundwasserstockwerk mit seinem Wärmeinhalt verlassen.
Die Wasserwerke setzen es vornehmlich in Gebieten mit hoher Mächtigkeit der Aquifere und moderater Strömung ein, um trotz mäßigen Grundwasserangebots über die Variation der Anzahl und Länge der Kanäle ein Maximum dem Stockwerk zu entnehmen. Geothermisch hielt man sich indes damit bis dato zurück, vor allem aus Kostengründen.
Projekt „Balanstraße“
Bei der relativ neuen Bohrtechnik des Unternehmens Abt Wasser- und Umwelttechnik, Mindelheim, soll das Risiko des Ausscherens der Bohrung nicht bestehen. Das Patent gewährleistet, laut Anbieter, einen ausschließlich horizontal geraden Verlauf. SWM testet das Verfahren für ein Bürogebäude-Projekt in der Münchener Balanstraße. Die Anlagenbauer teuften einen vertikalen Schacht mit einem Innendurchmesser von rund drei Metern 13 m tief in die Schotterschicht ab, von dessen Boden drei jeweils 40 m lange horizontale Filterstränge in die Grundwasserhorizonte abgehen.
Das Wasser fließt durch die Kanäle mit 1,50 m Nennweite in den Sammelstollen und weiter zur Energie-zentrale. Dort stehen Niedertemperaturwärmepumpen, Kältemaschinen sowie eine Hybrid-Wärmepumpen-Kältemaschine. Diese Kombination erlaubt eine dreifache Nutzung der Grundwasserenergie: direkte passive Gebäudekühlung mit etwa 12 bis 14 °C, Raumbeheizung mit Temperaturen bis 45 °C, Rückkühlung des warmen Rücklaufs der Kältemaschine auf etwa 6 °C. Die Hybrid-Wärmepumpe regelt die Erzeugung bei gleichzeitigem Bedarf an Wärme und Kälte in den Bürogebäuden. Was in Verbindung mit Server-Räumen in solchen Objekten mehrheitlich der Fall ist.