Das Jahr 1974 markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der Geschichte der Energiewirtschaft und der Wirtschaft allgemein des 20. Jahrhunderts.
Inkompetenz als Gegenmaßnahme
Vor 50 Jahren stürzte der Westen in das erste Erdöldebakel
Freitag, 22.11.2024
Nicht, dass sich auf Knopfdruck die Lebensverhältnisse umkrempelten, doch musste die bis zu jenem Datum gültige Unbekümmertheit der Erkenntnis weichen, dass wir uns energetisch als Stein in einem Dominospiel aufgestellt haben und umkippen, wenn fernab unserer Position irgendetwas oder irgendjemand einen anderen Stein umstößt.
Wir sollten uns tunlichst aus der Dominokette ausreihen. Das braucht seine Zeit, weil nun mal die Transformation in eine neue Ideologie mit neuen Technologien sich kognitiv festigen muss. Übereilte Erwartungen schaden einer Idee. Das braucht technische Kompetenz, an der es damals mangelte. Mit dem Ergebnis, dass dem Erdöldebakel ein Wärmepumpendebakel folgte.
Den Anstoß zur Novellierung unserer vormaligen unbeschwerten Grundhaltung gab ein dramatisches Ereignis, das in diesem Jahr sein 50-jähriges „Jubiläum“ begeht, aber keine Feierstimmung auslöst: die erste Ölpreiskrise, treffender die erste Energiekrise. Es animiert dazu, sich die damaligen Reaktionen und Absichten anzuschauen, die Erfolge und Misserfolge der Konsequenzen sowie die Lehren daraus getreu dem Theorem: Gegenwart und Zukunft lassen sich nur durch den Blick in die Vergangenheit gestalten. Der Blick in die 1970er-Jahre enthüllt in großen Teilen ein Déjà-vu, das deckungsgleicher mit 2024 kaum sein kann: Kriege, Energieverknappung, Maßnahmenpakete, die sich schwertun, akzeptiert respektive umgesetzt zu werden, wirtschaftliche und politische Sanktionen. Wie gesagt, damals wie heute.
Vor 1974 gewöhnte sich die Welt an eine unbegrenzte Verfügbarkeit der fossilen Energien Kohle, Heizöl und Erdgas. Die Gesellschaft verließ sich vollständig auf diese kostengünstigen Energieträger. Mit einem Schlag ändert sich diese Situation, mit einem realen Schlag. Syrien und Ägypten greifen im Herbst 1973 am jüdischen Feiertag Jom Kippur – zynisch gewählt: dem Tag der Versöhnung – Israel an, um die seit dem Sechstagekrieg 1967 besetzten Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel zurückzuerobern. Israel wehrt die Invasion ab und rückt bis Kairo und Damaskus vor.
Der Weltsicherheitsrat mit US-Präsident Richard Nixon an vorderster Stelle legt einen Friedensplan vor. Die Kriegsparteien nehmen ihn an. Israels Erfolg geht in erster Linie auf die Lieferungen von Kriegsgerät aus den USA und westlichen Ländern zurück. Die erdölfördernden arabischen OPEC-Staaten stellen sich daraufhin an die Seite von Sadat und Assad, identifizieren die Unterstützer als Verbündete des Heiligen Lands und organisieren ihrerseits einen Gegenschlag mit einer tiefe Wunden schlagenden Waffe – mit einer Wirtschaftswaffe: Sie boykottieren den Export von Erdöl in westliche Staaten. Der Ölpreis explodiert 1974 nicht nur, das Embargo wirkte sich mit einer globalen Rezession und einer hohen Inflation verheerend auf die Weltwirtschaft aus.
Zwang zum Lernen
Die boykottierten Nationen hatten nun zu lernen, mit weniger Energie auszukommen. Sie mussten ihre enorme Abhängigkeit von importierten fossilen Energien überdenken. Vor 50 Jahren. Das Erdölembargo löste unter anderem weltweite Sofortmaßnahmen aus, bis hin zu Sonntagsfahrverboten und einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h, bis hin zu einer Raumtemperaturbegrenzung auf 20 °C sowie zur Abschaltung der Straßenbeleuchtung. Obwohl die arabischen Rohölsorten ab März 1974 wieder flossen, blieb der Preis bei einer Verteuerung von rund 400 Prozent. 1974 musste die Bundesrepublik für ihre Ölimporte 17 Milliarden DM mehr bezahlen als im Jahr zuvor. Das verstärkte die Wirtschaftskrise und trieb Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Sozialausgaben und Insolvenzen von Unternehmen in die Höhe.
Den Ölpreisschock verschärften die Erdölfirmen. Sie ergriffen die Gelegenheit zur Gewinnerhöhung, auf die sie schon Jahrzehnte gewartet hatten. Der Barrelpreis hatte sich unverrückbar 100 (!) Jahre bei zwei bis drei Dollar förmlich festgeklebt. Der Lieferstopp war der Kleberlöser. Auf der anderen Seite mahnte die Krise zu Alternativenergien und zur rationellen Energieverwendung. Beide Wege aus der Abhängigkeit praktizierten zuvor letztlich nur einige Idealisten. Nun rückten diese Themen in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Die Bundesrepublik setzte zwar weiterhin auf Kernenergie und Kohle, auch in ihrer Forschungspolitik und -förderung, doch parallel zum vierten Atomprogramm fassten die Minister für Forschung und Technologie Horst Ehmke und sein Nachfolger Hans Matthöfer 1974 die nicht-nukleare Energieforschung eben als Folge der Ölpreiskrise in einem Rahmenprogramm zur Energieforschung zusammen.
Weiterführende Informationen: https://dejure.org/Drucksachen/Bundestag/BT-Drs%E2%80%9310/1090
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