Wegen seines geringen Eigenanteils an der Bedarfsdeckung ist Deutschland auf Erdgasimporte angewiesen. Den Transport wickeln die Vertragspartner bisher vornehmlich über Pipelines ab. Über „Nord-stream I“ und „Nordstream II“ kamen vor dem Russland-Ukraine-Konflikt mit jährlich mehr als 50 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs aus Putins Machtbereich.
600 Tanker pro Tag
Mit dieser Abhängigkeit soll nun Schluss sein. Nur hat die Verrohrung mit den Feldern neuer Partner ihre Grenzen. Einen logistischen Ausweg zu vertretbaren Kosten bietet die Verflüssigung des Erdgases. Während die Dichte des gasförmigen Energieträgers mit rund 0,8 kg je Kubikmeter nicht weit von der von Luft liegt (ca. 1 kg/m3), erhöht sie sich im verflüssigten Zustand auf 450 kg/m3. Damit ist der Transport zu Schiff möglich, doch geht der ins Geld, zum einen wegen des Schiffstransports selbst. Speditionsspezialisten haben es ausgerechnet: Das, was „Nordstream I“ an einem einzigen Tag Europa beschert, entspricht 600 Tankerladungen à 150.000 m3, die durchschnittliche Größe der Carrier. Zum anderen verbraucht die Verflüssigung erhebliche Mengen an Energie: rund zehn bis 25 Prozent des Heizwerts des Erdgases. Das liegt daran, dass das Gas für die Verflüssigung sehr tief abgekühlt und ihm die Kondensationswärme entzogen werden muss. Freilich, siehe die heutige Situation, erlaubt die Verschiffung mit großen Spezialtankern eine weitaus flexiblere Reaktion auf Lieferengpässe als der Transport über Pipelines.
Abfallprodukt LPG
Regasifiziert ist LNG wieder ganz normales Erdgas, das mithin ohne jeden Eingriff in konventionellen Erdgas-Wärmeerzeugern und -Verbrauchern, in der Haustechnik zum Beispiel auch Blockheizkraftwerken (BHKW), eingesetzt beziehungsweise in Erdgasleitungen eingespeist werden kann.
Anders verhält es sich mit LPG, „P“ für „Petroleum“. Das stammt zwar ebenfalls aus fossilen Quellen, muss jedoch nicht umfangreich aus fernen Lagerstätten importiert werden, sondern kommt sozusagen frei Haus mit dem importierten Rohöl in die Raffinerien, in die deutschen und europäischen. Das Erdöl nämlich wird dort in verschiedene Fraktionen zerlegt – Diesel, Benzin, Bitumen, Heizöl, Schmierstoffe oder auch Lösungsmittel – und dabei entstehen in größeren Mengen Propan und in kleineren Mengen Butan. Durch Druck verflüssigen sich diese Erdölgase zu LPG (Liquid Petroleum Gas). LPG ist damit zum großen Teil nichts anderes als ein Abfallprodukt aus der Raffination von Rohöl. Da ein paar bar zur Umwandlung des Aggregatzustands genügen, kostet auch die Herstellung von LPG relativ wenig.
Der Bedarf hielt sich jedoch in der Vergangenheit wegen des Transport- und Lagerungsaufwands zum und beim Kunden in TÜV-pflichtige Drucktanks von 10 bar als Alternative zum leitungsgebundenen Erdgas in Grenzen. Dieser Aufwand verteuerte LPG auf 8 und mehr Cent je 1 kWh gegenüber 6 Cent/kWh für Erdgas. Selbst als Auto- und als Campinggas – und das ist LPG – sowie als Heizenergie für die Diaspora fand in Bezug auf das nutzbare Potential Flüssiggas nur mäßigen Absatz. Es lohnte nicht, über den Tankwagen hinaus in eine größere technische und logistische Infrastruktur zu investieren. Mangels Bedarf fackelten es nicht wenige Raffinerien ab.
Gut über den Winter
Die Situation hat sich nun grundlegend geändert. Der Erdgaspreis explodierte, LPG kletterte im Verhältnis dazu moderat. Die Nachfrage, so ein Sprecher von Primagas, einem der führenden deutschen Flüssiggas-Versorger mit Sitz in Krefeld, sei riesig. Sowohl wegen des Preises – heute je nach Anbieter, Menge und Vertragslaufzeit zwischen 10 und 15 Cent je Kilowattstunde und damit weit unter dem von Erdgas – als auch der Möglichkeit der Bevorratung: mit der Sicherheit, bei genügend Liter im Behälter über den Winter zu kommen. Der dicke Wermutstropfen: Man könne nur bescheiden reagieren, weil mittlerweile Tanks eine Rarität seien und Zulieferer sich mit Investitionen zurückhielten, nicht wissend, ob sich das Blatt nicht in drei oder vier Jahren wieder wende.