Wärme

Pilotprojekt wird Blaupause für Umstellung der Netze auf Wasserstoff

Mittwoch, 03.07.2024

In Hohenwart bei Ingolstadt werden in einer Wohnsiedlung rund ein Dutzend Gebäude ab sofort statt mit Erdgas mit reinem Wasserstoff (H2) versorgt.

Quelle: Vaillant
Ein kompletter Straßenzug wird „grün“: In Hohenwart war die Begeisterung der Bürger für die nachhaltige Energieversorgung so groß, dass alle Gebäude im Testgebiet angeschlossen werden konnten.

Dafür mussten im Wesentlichen nur die Endgeräte, also die Wärmeerzeuger mit dem Abgassystem, getauscht werden. Alle weiteren Installationskomponenten erwiesen sich als uneingeschränkt H2-geeignet. Das Pilotprojekt kann damit zur Blaupause für die wirtschaftliche und praktikable Umstellung von Teilabschnitten bestehender Versorgungsnetze auf den erneuerbaren Energieträger werden.

Die Wärmeversorgung von Gebäuden wird in Zukunft zu einem erheblichen Teil über Wärmepumpen erfolgen. Das regelt maßgeblich das Gebäudeenergiegesetz (GEG). Wo dies nicht möglich ist, erlaubt das technologieoffene Gesetz aber auch beispielsweise die Nutzung von „grünem“ Wasserstoff. Also Wasserstoff, der per Elektrolyse beispielsweise mittels überschüssigem PV- oder Windstrom gewonnen wird.

Quelle: Vaillant
Auf einem Gelände der Regens-Wagner-Stiftung wurde am Ortsrand von Hohenwart die Einspeiseanlage für den per Trailer angelieferten Wasserstoff errichtet.

Denn die Ziele, die sich die Bundesregierung in ihrer aktualisierten Nationalen Wasserstoffstrategie gesetzt hat, sind ehrgeizig: Bis 2030 sollen zehn Gigawatt Elektrolysekapazität aufgebaut werden. Das entspricht der Leistung von etwa neun Kernkraftwerken und „reiche voraussichtlich aus, um 30 bis 50 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs zu decken.“ Den hat vor allem die Industrie, für die mit einer leitungsgebundenen Wasserstoffversorgung schnell und unkompliziert hohe Energiemengen bereitgestellt werden können, ohne dass eine neue Infrastruktur aufgebaut werden muss.

Wie das aber genauso bei der nachhaltigen Wärmeversorgung von Privathäusern und kleineren Gewerbeobjekten zum Tragen kommen kann, testen aktuell die Projektpartner Energienetze Bayern (Netzbetreiber), Energie Südbayern und die Thüga als kommunaler Energie- und Wasserdienstleistungskonzern mit dem Wasserstoff-Pilotprojekt „H2Direkt“ im bayerischen Hohenwart aus. Dort wurde in einem bestehenden Wohngebiet ein kompletter Straßenzug von Erdgas- auf Wasserstoff-Versorgung umgestellt. Und für die zehn Haushalte sowie einen Gewerbekunden änderte sich – mit Ausnahme der neu installierten „100% H2-Brennwertgeräte“ des Herstellers Vaillant als Wärmeerzeuger und der dazu gehörenden Abgassysteme – rein gar nichts.

Quelle: Vaillant
Alexander Schuh, Leiter Verbandsmanagement und verantwortlich für alle deutschen Wasserstoffprojekte bei Vaillant: „Das Pilotprojekt in Hohenwart ist ein Meilenstein in der Entwicklung, Wasserstoff als »grünen« Energieträger auch im Bestand einzusetzen.“

Warum Markt Hohenwart?

Dass Hohenwart, nahe Ingolstadt gelegen, in das zukunfts-weisende Pilotprojekt eingestiegen ist, hat etwas mit den ehrgeizigen Klimazielen der kleinen Gemeinde zu tun. „Der Markt Hohenwart ist schon seit Jahren ein Vorreiter in Sachen Klima- und Umweltschutz“, so Bürgermeister Jürgen Haindl. Und verweist dabei exemplarisch auf die mehr als 30 Millionen kWh Strom, die im Gemeindegebiet vor allem über Windräder erzeugt werden: „Das entspricht etwa 180 Prozent des vom Markt Hohenwart benötigten Energiebedarfs. Wir können jetzt also sogar umliegende Kommunen mitversorgen.“ Weil es aber vor allem im Bestand ältere Gebäude oder gewerbliche Objekte geben kann, die einen noch höheren Wärmebedarf haben, lag als nächster Schritt die Frage nahe, wie auch die vorhandene Gasversorgung nachhaltiger aufgestellt werden könnte.

Die Antwort darauf gibt es nun in einer vor knapp zehn Jahren erschlossenen Wohnsiedlung. In einem Straßenzug wurde dort die vorhandene Erdgasleitung vom übrigen Netz abgetrennt und stattdessen neu an eine durch die Westfalen AG versorgte H2-Einspeiseanlage angebunden. In den über die Gasleitung versorgten Ein- und Zweifamilienhäusern sowie einem kleinen Gewerbebetrieb mussten dann nur noch die Wärmeerzeuger getauscht werden, bevor mit Wasserstoff geheizt und Warmwasser erzeugt werden konnte. Abgesehen von den Mengenzählern, die durch eine größere Ausführung ersetzt wurden, konn-ten alle übrigen Komponenten, sowohl im Verteilnetzbereich als auch in den Heizungsräumen, weiter genutzt werden.

Quelle: Vaillant
Dipl.-Ing. Jürgen Klement, Beratender Ingenieur DVGW, VDI und VSIA: „Die Herausforderung, Wasserstoff in bestehende Netze einzuspeisen, liegt aktuell vor allem noch in den fehlenden Produktnormen für die jeweiligen Installationskomponenten. Von der regulatorischen Seite her hat der DVGW aber in Sachen Wasserstoff schon die entscheidenden Weichen gestellt. Im DVGW-Merkblatt G 655 werden die Anwendungsregeln beschrieben.“

Was war die größte Herausforderung?

Technisch entspricht die problemlose Umstellung der Gasversorgung in Hohenwart von Erdgas auf Wasserstoff damit den Erfahrungen, die auch schon auf reinen Versuchsfeldern – wie zum Beispiel in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) – gesammelt wurden. „Der wesentliche Unterschied dazu ist aber, dass wir hier im Realbetrieb sind“, so Vaillant-Projektleiter Daniel Fox: „Das heißt, hier zeigen bestehende Installationen, wie wasserstofftauglich sie tatsächlich sind. Und wir mussten alle installierten Geräte beispielsweise über Herstellererklärungen zertifizieren lassen, weil es für den Wasserstoff-Betrieb noch keine entsprechenden Produktnormen, also Zulassungen gibt.“ Zudem war für jedes Gebäude beim Bayerischen Bauministerium nochmals ein Bauantrag zu stellen, da bislang ebenfalls noch die Regelwerke für Wasserstoff-Installationen in Gebäuden fehlen.

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