Im Isnyer Ortsteil Neutrauchburg steht ein Gebäude, das nach seiner Sanierung (mindestens) allgäuweit einzigartig ist und zeigt, was heute schon energietechnisch möglich ist.
Strom- und Wärmeautarkie zum Greifen nah
Energetisch saniertes Gebäude wird zum „Wasserstoffhaus“
Mittwoch, 29.03.2023
Es ist ein außergewöhnliches Haus. Das sieht man allein schon daran, dass nicht nur auf dem Dach, sondern auch an der Fassade zahlreiche Photovoltaik-Module (PV) angebracht sind. Fast jeder Fleck wird für die Solarstromerzeugung genutzt, was insgesamt eine elektrische Leistung von 32 kWp ergibt. Bei einem Haus dieser Größe sind sonst 9 kWp schon viel. Rund 32.000 kWh Strom pro Jahr liefern die vielen PV-Module, erklärt Andreas Schulz, Besitzer dieses einzigartigen Gebäudes: Es handele sich um eines der ersten Bestandsgebäude hierzulande, das zum quasi energieautarken Gebäude umgebaut wurde. Dafür sorgen die vielen Photovoltaik-Module, aber auch zwei Brennstoffzellen und zwei Elektrolyseure, die mithilfe des Stroms von den PV-Modulen aus Wasser Wasserstoff (H2) erzeugen. Letzterer wird dann wiederum im Winter zur Erzeugung von Wärme und Strom genutzt.
Der Wasserstoff dient demnach als Speichermedium für den Solarstrom. „Das Wichtigste ist aber die hochwärmegedämmte Gebäudehülle. Ohne die würde ein »Wasserstoffhaus« nicht funktionieren“, betont Andreas Schulz. „Denn der Wärmebedarf wäre sonst einfach viel zu hoch.“
Als der Pensionär das Elternhaus, Baujahr 1967, von seiner Mutter erbte, stand er vor der Frage, was damit tun. „Es gab zahlreiche Interessenten. Ich hätte das Haus 20-mal verkaufen können“, erzählt Andreas Schulz im Garten. Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel auf Neutrauchburg, einem Ortsteil von Isny im württembergischen Allgäu. Aber ein Verkauf kam nicht in Frage. Genauso wenig, wie das Haus abzureißen und ein neues, größeres an selber Stelle zu bauen. „Da steckt doch so viel »graue Energie« drin“, meint der Ingenieur und ehemalige Abteilungsleiter bei der Bayerischen Eisenbahngesellschaft, der in allen Lebensbereichen großen Wert auf Klimaschutz und eine nachhaltige Lebensweise legt.
Sachverstand vor Ort
Bei einem Vortrag im Rahmen des „Isnyer Energiegipfels“ wurde Andreas Schulz auf Dieter Herz aufmerksam. Dieser betreibt im nahegelegenen Weitnau das Planungsbüro Herz & Lang, das sich auf energieeffizientes Bauen und Sanieren spezialisiert hat. Dieter Herz gilt als Passivhaus-Pionier und ist weit über die Grenzen des Allgäus als Experte auf diesem Gebiet bekannt.
Zunächst sah, laut Dieter Herz, alles danach aus, das Gebäude mit 210 Quadratmetern Wohnfläche auf „Effizienzhaus-100“-Niveau zu sanieren. „Aber dann sagte der Bauherr, das sei ihm zu wenig. Zudem kam das Thema Wasserstoff auf“, fügt Dieter Herz hinzu. Und so wurde in der Planung nachgebessert, um die Gebäudehülle noch energieeffizienter zu machen – indem zum Beispiel in verschiedenen Bereichen Passivhaus-Komponenten der Vorzug gegeben wurde. In der Planung als auch in der Ausführung wurde, laut Dieter Herz, auch sehr stark auf die Reduzierung von Wärmebrücken und eine besonders luftdichte Bauweise geachtet.
Aus energetischer Sicht der schlechteste Bereich war der Keller, der aufgrund einer Hanglage für die Einliegerwohnung, teilweise auch für die Hauptwohnung genutzt werden kann. Daher wurde auf die alte Bodenplatte eine 16 Zentimeter dicke Dämmung gepackt. „Die Raumhöhe gab das her“, so Dieter Herz. Allerdings mussten die Tür- und Fensterstürze höher gesetzt werden. Die Dämmstärke im Dachbereich beträgt insgesamt 24 Zentimeter (18 Zentimeter Zellulosedämmung und sechs Zentimeter Holzweichfaserplatte). Die Putzfassade ist mit 20 Zentimeter Steinwolle gedämmt. Und die alten Fenster wurden durch dreifach-verglaste Passivhaus-Fester ersetzt. Für ein angenehmes Raumklima sorgt zudem eine zentrale Wohnraumlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. „Ein sehr wichtiger Aspekt“, betont Experte Dieter Herz. Denn durch den hohen Grad an Wärmerückgewinnung der Lüftungsanlage können im Winter die Energieverluste bei der Außenluftzufuhr auf ein Minimum reduziert werden.
Erdwärmepumpe für die Beheizung
Auf der Grundlage einer intensiven Planung und einer konsequenten Bauleitung entstand mittels der sehr guten Wärmedämmung und der hohen Luftdichtheit der Gebäudehülle sowie der Umstellung der Heiztechnik von einem Ölkessel auf eine Erdwärmepumpe ein „Effizienzhaus 70“. Damit waren die baulichen Voraussetzungen für das „Wasserstoffhaus“ geschaffen, erklärt Hausbesitzer Andreas Schulz, während er die Tür zum Technikraum im Keller öffnet. Dort steht das Herzstück der Haustechnik.
Das Prinzip, das hinter der Wasserstofftechnik steckt, ist eigentlich recht simpel, so Andreas Schulz: Im Sommer liefern die Photovoltaik-Module Sonnenstrom im Überfluss. Ein kleiner Teil des überschüssigen Stroms wandert in einen Kurzzeit-Batteriespeicher, um das Haus nach Sonnenuntergang mit Strom zu versorgen, oder wird zum Laden eines Elektroautos genutzt. Der restliche Sonnenstrom versorgt die bei-den Elektrolyseure. Dabei entsteht Abwärme, die für den Brauchwarmwasserspeicher genutzt wird. Der Wasserstoff wiederum wird über eine Leitung in Stahlbehältern gesammelt, die in einem kleinen Häuschen im Garten stehen. Auf diese Weise lässt sich die Sonnenenergie über Monate hinweg speichern und auch im Winter einsetzen – dann eben, wenn die solaren Erträge gering sind.
Reichen die solaren Erträge an Wintertagen nicht aus, um genügend Strom und Wärme zu produzieren, wird Wasserstoff aus dem Speicher den beiden Brennstoffzellen zugeführt. Diese wandeln den grünen Wasserstoff in Strom um. Den Strom nutzt die Erdwärmepumpe, die entstehende Abwärme wird über die Lüftung für die Beheizung genutzt, erklärt Andreas Schulz.
Eine erste Wasserstoff-Bilanz
Die Erfahrungen aus dem ersten Winter zeigen, so der Hausbesitzer, dass die Anlage für die komplette Energieautarkie derzeit noch ein wenig unterdimensioniert ist. „Nur 500 Kilowattstunden haben gefehlt“, berichtet Andreas Schulz. Bevor der Wasserstoffspeicher vergrößert wird, will er aber noch den Winter 2022/2023 abwarten, um weitere Erkenntnisse zu sammeln.
„Ich habe es noch keine Sekunde bereut, diesen Weg zu gehen“, betont Schulz. Gleichzeitig macht er keinen Hehl daraus, dass die Investitionskosten für die Wasserstofftechnik sehr hoch waren und sich derzeit bei weitem nicht rechnen. „Kostendeckend arbeitet die Anlage, grob geschätzt, ab einem Strompreis von einem Euro für die Kilowattstunde“, erklärt Andreas Schulz. „Davon sind wir trotz aller Preissteigerungen immer noch ein gutes Stück entfernt. Aber wer weiß, wie sich die Energiekosten weiterentwickeln.“ Bis dahin darf sich Andreas Schulz als Idealist und Vorreiter fühlen, der mit seinem Haus zeigt, dass energieautarke Gebäude keine Utopie mehr sind. Und seine Mieter im „Wasserstoffhaus“ profitieren schon einmal von stabil bleibenden Nebenkosten. Davon können andere Mieter derzeit nur träumen.
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