Der folgende Beitrag beleuchtet das Beispiel "Molkereiabwasser" als Energiequelle für Wärmepumpen näher.
Der folgende Beitrag beleuchtet das Beispiel "Molkereiabwasser" als Energiequelle für Wärmepumpen näher.
Auf den ost- und nordfriesischen Inseln und an der Küste lebt man vom Tourismus, sprich von der Natur. Das prägt natürlich das Umweltbewusstsein. Beispiele: Borkum will schon bis 2030 mit Wärme aus der Nordsee emissionsfrei sein, Bremen will das neue Wohnviertel auf dem ehemaligen "Kelloggs"-Gelände mit Weserwasser beheizen, Niedertemperatur auch für das Nordseebad Dangast und in Aurich stellt die Molkerei Rücker ihren Abwasserstrom der Stadt als Energiequelle für ein kaltes Fernwärmenetz zur Verfügung. Wärmepumpen sind in all den Projekten für behagliche Zimmertemperaturen zuständig.
Mittlerweile wissen wir: Um die größten Schäden durch den Menschen gemachten Klimawandel zu vermeiden, bedarf es bis 2050 einer CO!SUB(2)SUB!-neutralen Gesellschaft und damit einer Dekarbonisierung auch des Wärmebereichs. Die Erfolg versprechende Maßnahme ist die Installation von bis zu 17 Mio. Wärmepumpen bis zu jenem Datum. Beim aktuellen Ausrüstungsstand von rund 1 Mio. Wärmepumpen beträgt das Defizit mithin 16 Mio. regenerative Wärmeerzeuger dieses Typs. Die Zahlen stammen aus einer dena-Studie – die Deutsche Energie-Agentur lotete den Wärmepumpenmarkt aus. Lösungen, die die Sektorenkopplung, also industrielle Abwärme mit relativ hohen Temperaturen miteinbeziehen, dürften im Einzelfall die Umweltbilanz gegenüber geothermischen und Luft/Wasser-Systemen noch erhöhen. Der allgemeine Appell zur Energieeffizienz richtet sich deshalb auch an die produzierenden Unternehmen, ihre Energieströme auf die Wiederverwertung zu überprüfen.
Die Molkerei Rücker im ostfriesischen Aurich hatte schon über die Sektorenkopplung nachgedacht, bevor das Prinzip zu einem Schlagwort der Wärmewende aufstieg. Den Familienbetrieb führt bereits die 4. Generation, wobei Familienbetrieb nicht für Kleinbetrieb steht. Rücker produziert für den Einzelhandel, für den Großhandel, für die weiterverarbeitende Lebensmittelindustrie und zwar nicht nur in Norddeutschland, sondern für Kunden in 80 Ländern. "Käse ist unsere Leidenschaft", lautet das Credo der GmbH. Sie zählt mit diesem Produkt zu den größten Milchverarbeitern Deutschlands. 900 Höfe liefern ihre Milch an die Meierei. Die verwandelt sie, nach eigenen Angaben, jährlich zu 90.000 t Käse, 20.000 t Milchpulver und 20.000 t Butter. Besondere Spezialität: Hirtenkäse und Mozzarella.
Milch besteht zu 87 Prozent aus Wasser. Etwa die Hälfte davon macht den Käse als Inhaltsstoff weich und geschmeidig, die andere Hälfte fließt ins Klärwerk. Diese Menge hat aber nur einen kleinen Anteil am gesamten Abwasservolumen der milchverarbeitenden Industrie. Der Abfluss fällt in den Betrieben an unterschiedlichen Stellen an. Zum Beispiel als Kühlwasser. Des Weiteren darf den späteren Mozzarellagenuss keine ungewollte Bakterie trüben, deshalb steht Hygiene an vorderster Stelle. Das heißt: permanente Reinigung der Produktionsanlagen, der Leitungen, der Behälter und auch des Betriebs selbst. Der durchschnittliche Wasserverbrauch von Unternehmen dieses Genres liegt bei etwa 3 bis 4 Liter pro 1 kg Erzeugnis. Rücker bewegt sich in diesem Bereich: Für 2016 gibt der Hersteller 450.000 m³ Abwasser an. Und zwar warmes Abwasser mit einer Temperatur von im Mittel 25 °C. Damit steht sozusagen täglich (!) ein Speicher mit einem Inhalt von 1.250 m³ und 25-grädigem Wasser zur Verfügung, der, wenn man ihm 10 K entzieht, rund 15.000 kWh liefert.
Die Molkerei gab deshalb schon vor 13 Jahren der Stadt Aurich den Anstoß, über die Verwertung dieses Energiepotentials nachzudenken. Aurich nahm die Anregung auf. Sie will nicht nur äußerlich sauber dastehen. Es entstand ein Nahwärmekonzept mit "kalter" Fernwärme aus der Molkerei und Wärmepumpen auf der Abnehmerseite. Sie, die Abnehmerseite, besteht im Moment aus einer Testanlage in Form einer Mehrzweckhalle/Sportarena mit einer 80-kW-Wärmepumpe. Das kommunale Schwimmbad (Allwetterbad) könnte folgen. Noch steht die breitere Infrastruktur mit mehreren weiteren gelisteten Anschlüssen nicht. Den Ausbau verschleppt zurzeit der Einbruch bei der Windenergie. Aurichs größter Gewerbesteuer-Einzahler in die Stadtkasse, Windradbauer Enercon, hat erhebliche Umsatzeinbußen. Die technischen Vorleistungen, inklusive Testbetrieb, sind jedoch erbracht. Die Kommune – konkret der NRB-Entwässerung (NRB = Netto-Regie-Betrieb), eine rechtlich unselbstständige Organisation als Teil der Öffentlichen Verwaltung – hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Wärmeübertragerfrage beschäftigt. Der Markt bietet verschiedene Systeme für die Paarung Abwasser/Wasser an. Das Rückersche Molkereiabwasser ist unter anderem mit dem Sanitärabwasser des Betriebs gemischt. Die Testphase konzentrierte sich auf die:
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Die NRB-Entwässerung unter ihrem Leiter Ehlke Ubben stellte fünf Wärmeübertrager auf den Prüfstand, um den geeignetsten für die geplante Wärmeübertragerstation herauszufinden. Vier davon waren Rohrbeziehungsweise Rohrbündeltauscher, einer basierte auf Absorberplatten. Der fiel relativ schnell durchs Sieb, weil er schon nach wenigen Tagen aufgrund der inneren Verkrustung keine Leistung mehr übertrug. Die regelmäßigen kurzen Abstände zur händischen Reinigung des Plattenwärmeübertragers hätten die Wärmeversorgung unterbrochen und die Betriebskosten verteuert. Weniger anfällig zeigten sich die Rohrbündel-Wärmeübertrager, von denen zwei deshalb als Favoriten aus der Beprobung hervorgingen, weil sie sich unter anderem relativ resistent gegen den Bewuchs mit Biofilmen zeigten und ihr automatisiertes Reinigungsverfahren für konstant saubere Verhältnisse sorgt.
Ubben: "Wir sind jetzt dabei, noch einige Randbedingungen abzuklopfen, um dann das Wärmenetz zu planen. Im Allwetterbad läuft im Moment parallel auch noch ein BHKW-System. Wir müssen uns hier die Wirtschaftlichkeit anschauen, ob sich ein Anschluss im Moment rentiert. Es ist aber auch vorgesehen, noch einige größere Objekte in unmittelbarer Nähe zur Wärmeschiene zu einem Wärmeverbund zusammenzufassen und einzuschalten. Die Kosten/Nutzen-Analyse steht noch aus. Wir bekommen zwar die Energie von der Molkerei gratis, doch der Wärmeübertragerbetrieb geht ins Geld, ferner laufen Umwälzpumpen – es handelt sich ja um kalte Fernwärme –, wir müssen zudem Wärmepumpen installieren und im Grunde darf das alles nicht teurer als eine Beheizung mit Erdgas sein. Nun spielt die CO!SUB(2)SUB!-Einsparung selbstverständlich ebenfalls eine Rolle, aber Abnehmer tun sich bei merklichen Mehrkosten schwer, solch eine Argumentation zu akzeptieren."
Das Prinzip der Wärmeübergabe sieht so aus, dass ein Teilstrom des Abwassers des Milchbetriebs als Vorlauf zu einer eingehausten Wärmeübertragerstation führt – die kann sich auch in einem Container befinden wie in Aurich – und hier die eigentliche kalte Fernwärme zu den Abnehmern ihren Anfang nimmt. Nach dem Wärmeentzug strömt das Molkereiabwasser weiter zur Kläranlage. Als Kenngrößen der Wärmenutzung nennt Ehlke Ubben:
Absenkung der Abwassertemperatur um ∆T = 7 - 12 K.
Wärmeübertragung ins Fernwärmenetz mit rund 500 bis 700 kW.
Wärmeversorgung Sportarena – Wärmeleistung 390 kW, – Wärmepumpe für Grundlast 120 kW, – Gaskessel für Spitzenlast 270 kW.
80 Prozent Deckung des Jahres-Wärmebedarfs über Molkereiabwasser.
Als erste Betriebserfahrung mit der Teststation musste NRB-Entwässerung eine Leistungsminderung durch Feststoffe und Fette im Molkereiabwasser hinnehmen. Des Weiteren: Druckverluste durch Ablagerungen im Wärmeübertrager sowie die Erfordernis kontinuierlicher Reinigungsprozesse. Die Wirtschaftlichkeit hängt auf Verbraucherseite natürlich vom Temperaturniveau ab, je niedriger desto günstiger. Die Kalkulation geht von einem COP > 4,5 aus. Ferner bestimmt die Auslastung der Nahwärmeversorgung den Preis je Kilowattstunde Wärme. Eine Beispielrechnung ergab für eine thermische Entzugsleistung von 370 kW einen Preis von 6,5 Cent/kWh, dem 12,5 Cent/kWh für eine Entzugsleistung von 120 kW gegenüberstehen. Ubben gibt dem System jedoch generell eine Chance: "Wärmeübertragersysteme für den Abwassereinsatz sind verfügbar und eine hohe Betriebssicherheit des gesamten Systems ist möglich. Man muss natürlich die individuelle Abwasserbeschaffenheit beachten."
Dienstag, 03.11.2020