Überlegenswert ab 15 l/s
Technisch stellte die Installation keine allzu hohen Ansprüche. Die Boos Haustechnik GmbH, Varel, verantwortete im Pilotprojekt die angeschlossene Haustechnik. Die entsprechende Schnittstelle zu den externen Tiefbau- und Kanalarbeiten besteht letztlich aus einem Schieber am Eingang in die Technikzentrale des IRO-Gebäudes. Die Hohlbleche im Kanal müssen allerdings eine Mindestleistung zulassen. Die Wärmepumpe benötigt einen Mindestdurchfluss, sonst friert sie ein. Folglich muss ein Strömungswächter den Durchfluss kontrollieren und eventuell den regenerativen Wärmeerzeuger ausschalten.
Eine Großstadt wie Oldenburg mit einem 835 km langen Kanalnetz bietet noch genügend weitere Möglichkeiten, die strömende Wärme unterhalb der Straßen für Heizzwecke wirtschaftlich einzusetzen, etwa für Schulen, Sporthallen und größere Gebäudekomplexe mit entsprechend hohem Energiebedarf. Wirtschaftlich gesehen, dürften sich solche Systeme ab etwa 50 kW rechnen, wenn einige Voraussetzungen, so der genannte Durch- oder Abfluss von 15 l/s im Tagesmittel, erfüllt sind. Redundanz in Form eines Spitzenlastkessels ist wohl im Einzelfall ebenfalls notwendig, was allerdings der "Selbstversuch" des IRO in Oldenburg nicht unbedingt bestätigt. Ein einfacher elektrischer Heizstab im Pufferspeicher hätte hier auch genügt. Natürlich sollten die zu beheizenden Gebäude relativ dicht zur Hauptabwassertrasse stehen.
Stadtplan mit den Potentialen
Weshalb die Abwasserwärmenutzung trotz ihrer möglichen Attraktivität selten in das Blickfeld des Vorplaners rückt, hat etwas mit der entscheidenden Unbekannten zu tun – der Durchflussmenge. Sie liegt standortbezogen nicht vor. Sie müsste aufwendig eruiert werden, was die Chancen der Wärmequelle "Kanalisation" minimiert, schaut man sich die Anzahl der deutschlandweiten Projekte an. Die Stadt Oldenburg hat dieses Hemmnis einer nachhaltigen Wärmeversorgung dieser Art erkannt: Die überzeugenden IRO- Resultate veranlassten sie, eine Potentialanalyse in Auftrag zu geben und die Ergebnisse zu einem straßenbezogenen Abwasserwärme-Kataster auszuwerten, um so "die Nutzung von Abwasserwärme zur Beheizung von Wohngebäuden zu einem Baustein des integrierten Energie- und Klimaschutzkonzeptes der Stadt zu machen", wie es die ehemalige Oldenburger Bau- und Verkehrsdezernentin, Gabriele Nießen, ausdrückte. Die Analyse beziehungsweise die Umsetzung in eine Potentialkarte zeigt den tatsächlichen Energietransport im Oldenburger Kanalsystem mit Detailmessungen an besonders geeigneten Stellen. Diese belastbaren Daten sollen entsprechende innovative Versorgungslösungen initiieren. Das theoretische Potential für Oldenburg liegt bei einer installierten Leistung von 2.875 kW. Im Vergleich zu einer flächendeckenden Gasversorgung könnten mit Abwasser-Wärmepumpen jährlich rund 950 Tonnen CO2 eingespart werden.
Die Potentialanalyse kam ihrer Funktion, die Abwasserwärmenutzung zu fördern, bereits nach. Im Oldenburger Neubauquartier "Wechloyer Tor" profitieren 8.000 Quadratmeter Wohnfläche in 90 Wohnungen mit Hilfe einer Wärmepumpe von 55 kW von der Heizenergie aus der Kanalisation. Umweltschonend kommen 16 kW dazu, die aus der Abluft der Wohnungen zurückgewonnen werden. Rund 75 Prozent des Wärmebedarfs der Wohnungen werden damit umweltfreundlich gedeckt. Ein Erdgaskessel dient zur Abdeckung der Spitzenlasten von kalkulatorisch bis 200 kW.
Und auf dem Gelände "Alter Hafen" an der Hunte entsteht ein neues Viertel mit Wohn- und Bürogebäuden: Hier werden mindestens 300 Wohnungen, respektive 20.000 m2 Wohnfläche, in der Endausbaustufe ihre Heizwärme von 600 kW aus dem Mischwasserkanal beziehen. Mit seinem begehbaren Durchmesser von 1,50 Meter, was die Montagearbeiten erleichtert, und einem Mindestdurchfluss von 220 l/s drängte sich der Hauptsammler der Stadt Oldenburg für dieses Projekt förmlich auf. Das Geld liegt in Oldenburg nicht auf der Straße, sondern unter der Straße: Der Investor, die Immobilienfirma Kubus, verspricht den Mietern mit den Wärmepumpensystemen und den Wärmeübertragern in der unterirdischen Rohrleitung eine Einsparung an Heizkosten gegenüber Erdgas von rund 30 Prozent. Die Edelstahlelemente liegen hier auf einer Länge von insgesamt 200 m im Kanal.