Das Wohnhochhaus "Axis" im Frankfurter Europaviertel wird nachhaltig mit einer Abwasser-Wärmepumpe versorgt.
Abwasser-Wärmepumpe liefert Heiz- und Kühlenergie für Wohnhaus
Dienstag, 02.06.2020
Frankfurt am Main hat mit dem Europaviertel auf dem ehemaligen Hauptgüterbahnhof einen neuen Stadtteil bekommen. Städtebaulich gehen die Meinungen zu "gelungen" oder "misslungen" auseinander. Nachhaltigkeit, im Sinne von ökologisch, muss man aber einigen Objekten zubilligen, etwa dem Wohn-Hochhaus "Axis" mit seiner Abwasser-Wärmepumpe, nach Aussage der Wohnungsbaugesellschaft Wilma die weltweit größte dieser Art.
Das bezugsfertige Viertel im Dreieck zwischen Messe, Hauptbahnhof und dem Rebstockgelände im Westen ist das letzte große innerstädtische Entwicklungsgebiet in der Mainmetropole, geplant für 14.000 Menschen in 5.000 Wohnungen. Das Portal in das Areal bildet ein ungewöhnliches Wohngebäude, das "Axis", das mit seiner eindrucksvollen Architektur und Struktur mit viel Grün, großzügigen Terrassen, innerem Gartenhof und Parkblick trotz der Lage in der nervösen Innenstadt Frankfurts den Feierabend erholsam vom betriebsamen Alltag abkoppeln will, so erklärt jedenfalls ein Flyer das Konzept.
Stündlich bis zu 600 m3 Abwasser
Das 19-geschossige, exklusive Wohn-Hochhaus realisierte Wilma Wohnen Süd GmbH. In den lichtdurchfluteten 144 Apartments und 8 Townhouses – großzügig gestaltete Eigentumswohnungen mit ausgedehnter Terrasse – soll Lebensqualität nicht zu Lasten der Nachhaltigkeit gehen. Deshalb hält der Komplex den KfW-55-Standard ein und bemüht sich heizungstechnisch um einen Primärenergiefaktor im unteren Nullkomma-Bereich: mit einer Wärmepumpe, die als Energiequelle das kommunale Abwasser vor der Haustür nimmt. In erster Linie das aus dem Messegelände, auf dem alle zwei Jahre auch die ISH stattfindet. Durch den Kanal fließen pro Stunde bis zu 600 m³ Wasser mit einer über das Jahr gleichbleibenden Temperatur von rund 12 °C. Der Erfahrung nach lohnt sich eine Wärmerückgewinnung dieser Art ab etwa 15 l/s beziehungsweise (abgerundet) ab etwa 50 m3/h.
Nun ist Wärmenutzung aus Abwasser in Deutschland nichts Neues. Bereits 1986 haben die Stadtwerke Waiblingen eine Installation in Betrieb genommen, die das Rathaus und andere öffentliche Bauten, aber auch private Gebäude, mit Wärme aus dem gereinigten Abwasser der Kläranlage versorgt. Die Erfahrungen mit dieser und anderen Pilotanlagen zeigen, dass Wärmenutzung aus Abwasser funktioniert und sich die Technik bewährt. Experten schätzen, dass etwa zehn Prozent der zum Heizen von Gebäuden benötigten Wärme in Deutschland mit Energie aus Abwasser gedeckt werden könnte. Eine Studie des Berliner Beratungsunternehmens enervis, die die Helmut Uhrig Straßen- und Tiefbau GmbH in Auftrag gegeben hat – ein Unternehmen, das auch führend im Bau von Wärmeübertragern für Kanäle ist –, spricht von einem brachliegenden Potential von rund 100 TWh. Selbst bei einem konservativen Ausbaupfad von 35 TWh bis 2030 ließen sich demnach etwa 5,5 Prozent der Heizwärme aus dem Energieinhalt des Abwassers decken und damit etwa 4 Mio. t CO2 vermeiden.
Rund sechs Cent für die Kilowattstunde
Darüber hinaus bietet sich die Kanalflut an, im Sommer damit zu kühlen, was der Kosten- wie auch der Umweltbilanz zugute kommt. Die enervis-Studie unterscheidet zwischen den Strombezugskosten und den Wärmebereitstellungskosten. Der zweite Posten beinhaltet die Wärmepumpe, die Tauscherinstallation, die Verrohrung sowie Wartung und Service. enervis errechnete dafür einen spezifischen Preis von etwa 4,5 Cent/kWh. Bei einem COP von nahe 5 und in Abhängigkeit unter anderem der zulässigen Temperaturspreizung des Abwassers addieren sich darauf noch etwa 1,5 Cent/kWh Stromkosten. Es denken allerdings auch einige Kommunen darüber nach, eine Wärmelieferungsgebühr im Fall von Tauschern auf der Kanalsohle zu verlangen. In Frankfurt/M. erhebt die Stadt kein Entgelt dieser Art.
Die Fußbodenheizung im "Axis"-Haus kühlt im Sommer. Dabei wird das Abwasser aber nur leicht erwärmt, um das Ökosystem der Kläranlage nicht zu stören. Die Heizleistung der Großwärmepumpe von Viessmann beträgt 360 kW, die Kühlleistung 438 kW. Das ist ganzjährig ausreichend für eine Wohnfläche von 22.700 m². Das Planungsbüro IPP in Hanau hat eine Energiezentrale konzipiert, die völlig ohne Ventile auskommt. Bei klassischen Hydrauliksystemen treten durch den Einsatz von großen Pumpen immer wieder Probleme auf, da durch den entstehenden Unterdruck regelmäßig Ventile justiert werden müssen. Letztlich leidet darunter die Hydraulik und die Regelung ist störanfällig. Nicht so im Wohn-Hochhaus "Axis" im Europaviertel.
Sieben Temperaturzonen
Hier setzt IPP anstelle der sonst üblichen Heiz- und Kälteverteiler ein "Zortström Multi" mit sieben Temperaturstufen des österreichischen Herstellers Zortea ein, der aus einem 4 m³ großen Schichtenspeicher immer genau die Wassertemperatur bezieht, die für den jeweiligen Zweck benötigt wird: 60 °C für Warmwasser, maximal 40 °C für die Fußbodenheizung und minimal 17 °C für die Fußbodenkühlung. Für die Brauchwarmwassertemperatur ist die Abwasser-Wärmepumpe aber nicht allein zuständig. Sie macht bei 40 °C Schluss und reicht den Durchlauf an eine Fernwärmestation weiter, die noch einmal 20 K draufpackt, bevor das Zirkulat in den einzelnen Frischwasserstationen der Wohnungen das Trinkwasser für Küche und Bad temperiert. Der Fernwärmeanschluss macht einen Spitzenlastkessel überflüssig.
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