Agora Energiewende präsentierte der Regierung ihren Vorschlag für ein Wachstums- und Investitionsprogramm zugunsten von Konjunktur und Umwelt.
Agora Energiewende: 5 Mrd. Euro für Wärmepumpen
Dienstag, 08.09.2020
Die Übersetzung "Beschleuniger" für den englischen Begriff "Booster" ist für jenen "Doppelten Booster", den jetzt die Regierungsberater der Agora Energiewende anmahnen, zu wenig. Sie erwarten von der Politik einen "Raketenantrieb" für Wirtschaft und Klimaschutz. Die Wärmepumpe gehört mit zu den Bausteinen dieses Triebwerks.
Subventionen für die Konjunkturbelebung ja, aber ausschließlich für Maßnahmen, die auch dem Klimaschutz dienen. Bewusst jetzt, mitten in der Corona-Krise, präsentierte Agora Energiewende der Regierung ihren Vorschlag für ein zielgerichtetes 100-Milliarden-Euro-Wachstums- und Investitionsprogramm zugunsten von Konjunktur und Umwelt. Denn die Wirtschaftler und Wissenschaftler im Rat der gemeinnützigen Gesellschaft befürchten, dass alles Geld, das in die Bekämpfung einer irgendwann vorübergehenden Pandemie und ihrer Folgen fließt, die Synergie, den gemeinsamen Nutzen für die Gesundheit, für die Wirtschaft und für den Umweltschutz, nicht im Blick hat. Was die Bevölkerung akzeptiert, da sie jeden Tag mit dem Virus real konfrontiert ist: Abstand, Maske, Homeoffice.
Die ohne Subventionen unaufhaltsame Klimakatastrophe demgegenüber ist medial, nicht real. Alle Welt redet und schreibt darüber, aber noch steht sie nicht vor der Haustür. "Klammern wir die jetzt in der Krise einmal aus, mögen sich unsere Kinder und Enkelkinder damit beschäftigen": So denkt auch die Politik, sorgt sich Agora Energiewende.
Nur kann es dann zu spät sein. "Der doppelte Booster" betiteln die Experten ihr Sofort-Impulsprogramm. "Doppelt" steht für eine hohe zielgerichtete Förderung durch den Staat, die sowohl die Konjunktur ankurbelt als auch dem Klimaschutz dient. Für die Wärmepumpe sieht das 10-Maßnahmen-Paket 5 Mrd. Euro vor.
Parallel statt hintereinander
"Die Weltwirtschaft steht mit der Pandemie vor ihrer wohl schwersten Krise seit der Großen Depression in den 1930er-Jahren. Und die Europäische Union vor der größten Bewährungsprobe seit ihrer Gründung. Als wäre all das noch nicht genug, wartet im Hintergrund die nächste Krise. Denn die Klimaherausforderung ist ja nicht kleiner geworden, bloß weil sie aktuell von der Corona-Krise überdeckt wird. Im Gegenteil: Auch 2020 droht schon wieder eines der trockensten Jahre in Deutschland zu werden. Und eines der heißesten weltweit. […] Wir haben weder die Zeit noch ausreichende Mittel, um diese Krisen nacheinander zu lösen. Die Wirtschaft braucht jetzt einen doppelten Booster: Ein Wachstums- und Investitionsprogramm, das sowohl einen kräftigen Wachstumsschub auslöst als auch die Herausforderung Klimaneutralität annimmt. Es geht also darum, nicht nur die Investitionsmittel von morgen vorzuziehen, sondern auch die Investitionsentscheidungen von morgen. Alles andere ist nicht zukunftsfähig, sondern birgt in sich schon den Keim für die nächste Krise."
Wie der Satz mit der Zukunftsfähigkeit von Mitteln und Entscheidungen im Vorwort des Appells an das Parlament verstanden werden soll, erläutert Agora am Beispiel der andiskutierten neuerlichen Abwrackprämie für Pkw. Geld für die Autobauer zum Ankurbeln der Wirtschaft ja, aber die Prämie nur beim Kauf eines nachhaltigen E-Fahrzeugs, nicht dagegen für klimaschädigende Verbrennungsmotoren: "Abwrackprämien zur Ankurbelung des Pkw-Verkaufs können eine weitere Generation Autos mit hohen Verbräuchen auf den Markt bringen, während bessere Alternativen die Transformation im Automobilsektor und die Verkehrswende zugleich beschleunigen."
Also: Konjunkturförderung gleichermaßen für die Zukunftsfähigkeit der Industrie wie für den Klimaschutz statt Konjunkturförderung gegen die Zukunftsfähigkeit und gegen den Klimaschutz.
Einbruch in der Bauwirtschaft befürchtet
Das Maßnahmenpaket 6 der Empfehlungen soll mit 25 Mrd. Euro "der Bau- und Wärmewirtschaft zukunftssicher aus der Krise helfen". Das setzt eine Krise in der Branche voraus und die erwartet Agora als Folge der aktuellen Situation: "Zwar war der Bausektor vor der Krise voll ausgelastet und hatte eher mit Fachkräftemangel zu kämpfen. Dies dürfte sich jedoch nach Corona deutlich anders darstellen. Denn die Auftragseinbrüche in anderen Branchen führen erfahrungsgemäß zu einer Investitionszurückhaltung – mit entsprechenden Auswirkungen auf den Wirtschaftsbau. Zudem werden Selbstständige, deren Einnahmen wegbrechen oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von plötzlicher Arbeitslosigkeit bedroht sind, kein Haus bauen oder Sanierungsarbeiten in Auftrag geben." Ein zukunftsweisendes Wachstums- und Modernisierungspaket im Gebäudesektor ermögliche es, "die Bauwirtschaft wieder aus der Krise zu führen und dabei gleichzeitig Investitionen in neue Industriestrukturen in der Bauwirtschaft und in der Heizungsindustrie anzustoßen."
Das Programm sieht drei zentrale Schlüsseltechnologien für die Wärmewende:
- energetische Sanierung von Gebäuden,
- Wärmepumpen im Ein- und Zweifamilienhausbereich sowie
- grüne Fernwärme in Innenstädten.
Senkung der EEG-Umlage um 5 Cent/kWh
Es zeigten "vergleichende Analysen zur Wärmewende, dass jede dieser drei Schlüsseltechnologien eine massive Produktionssteigerung benötigt, soll das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands erreicht werden." Demnach müssten von 2021 an bis zum Jahr 2050 der jährliche Dämmstoff- und Wärmepumpenabsatz, je nach Szenario, gegenüber heute verdoppelt bis verdreifacht und die Fernwärmenetze um mindestens 50.000 Anschlüsse pro Jahr erweitert werden. Agora: "Es gilt, hierfür die entsprechenden industriellen Strukturen aufzubauen." Das Fernziel besteht in sieben bis zehn Millionen Wärmepumpen-Installationen in 2050 als Voraussetzung für eine CO2-Neutralität.
Als Nahziel, bis 2022, haben die Regierungsenergieberater ein "Eine-Million-Wärmepumpen-Programm" in Höhe von 5 Mrd. Euro ausgearbeitet: "Die Bundesregierung stockt die bestehende Förderung für Haushalte, die ihre alte Ölheizung oder andere fossile Heizungen austauschen wollen, deutlich auf und macht daraus ein Eine-Millionen-Wärmepumpen-Programm: Um einen starken Hochlauf an Wärmepumpen in Wohn- und Nicht-Wohngebäuden zu erzeugen, werden 2020, 2021 und 2022 Wärmepumpen inklusive der Tiefenbohrung und der notwendigen Begleitmaßnahmen (Umstellung der Heizkörper) mit bis zu 50 Prozent bezuschusst. Die zusätzliche, degressive Förderung wird bis zu einer Obergrenze von einer Million mit erneuerbarem Strom betriebener Wärmepumpen ausgeschüttet. Damit wird Erneuerbare Energie hocheffizient genutzt und in Verbindung mit den gesunkenen Stromkosten hoch attraktiv gemacht."
"Gesunkene Stromkosten" bezieht sich auf die Empfehlungen im Maßnahmenpaket 3 der Agora-Analyse: "So sollte die EEG-Umlage noch 2020 um 5 Cent je Kilowattstunde gesenkt werden, sodass sich der Strompreis für Privathaushalte um etwa 20 Prozent und der für das Gewerbe um etwa 25 Prozent reduziert."
Jährlich 300.000 Wärmepumpen
Das industriepolitische Ziel des "Eine-Million-Wärmepumpen-Programms": "Durch die Ausweitung der Produktionskapazitäten wird das bisherige Marktvolumen auf 300.000 Stück pro Jahr erhöht. Die Ausweitung der Produktionskapazitäten führt zu einer Industrialisierung der Fertigung von Wärmepumpen, zusätzlichen Investitionen in die Produktionsanlagen und somit auch zu einer deutlichen Kostensenkung bei den Wärmepumpen. Da Wärmepumpen überall in Europa zu einer Schlüsseltechnologie bei der Erzeugung CO2-freier Wärme im Ein- und Zweifamilienhaus werden, eröffnet sich auf diese Weise für die deutsche Industrie ein großer Markt." Die deutsche Heizungsindustrie produzierte 2019 rund 150.000 Wärmepumpen, davon 50 Prozent für den Inlandsmarkt und 50 Prozent für den Export. Folgen Regierung und Industrie der Anregung des Wirtschafts- und Wissenschaftsrats, müsste die Produktionskapazität verdoppelt werden.
Die dringende Empfehlung, mit aufzustockender staatlicher Unterstützung den Gebäudebestand energetisch zu sanieren, schließt die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude ein. Dafür soll der Staat 5 Mrd. Euro bereitstellen. Der jetzige Standard sei alles andere als mustergültig. Das Klimaschutzprogramm enthalte einen Effizienzerlass zur Vorbildfunktion von Bundesbauten und eine jährliche Sanierungsrate, doch sei die bisher noch nicht beschlossen worden. Das Bundeskabinett sollte verabschieden, "dass die Sanierungsrate für Bundesbauten im Jahr 2021 gegenüber dem Durchschnitt der letzten Jahre verdoppelt wird. Für das Jahr 2022 findet eine erneute Anhebung der Sanierungsrate statt, gleichzeitig wird ab diesem Jahr der KfW-Standard 55 als Sanierungsziel verankert."
Bund und Länder: zu wenig Kompetenz
Da die Umsetzung nur nachhaltig ist, wenn qualifiziertes Personal die Betriebsführung übernimmt, verlangt Agora: "Bund und Länder müssen im Rahmen ihrer Konjunkturmaßnahmen zudem das Problem der fehlenden Personalkapazitäten in der Verwaltung zur Beauftragung solcher Sanierungsprojekte adressieren. Der stockende Mittelabfluss und die teilweise geringe energetische Qualität der Sanierungen im Rahmen des Konjunkturpakets II vom Januar 2009 sind so zu vermeiden." Damals standen im Konjunkturpaket II 300 Mio. Euro zur Sanierung von Schulen, Kindergärten und öffentlichen Gebäuden bereit, aber die Kommunen riefen nicht einmal 100 Mio. Euro ab, weil ihnen das Geld für den Eigenanteil fehlte.
Jedes Jahr verursachen die etwa 186.000 öffentlichen Gebäude in Deutschland rund 6 Mrd. Euro Energiekosten. Allein der Bund ist mit den Liegenschaften und Wohnungen im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) und anderer Bundesbehörden und bundeseigener Unternehmen einer der größten Immobilieneigentümer in Deutschland. Energieeffizienz müsste daher auch für die öffentliche Hand ein zentrales Thema sein. Ist es aber in der Realität nicht.
Solarindustrie stärken
Das Maßnahmenpaket 7 enthält unter anderem die PV-Branche. "Die Solarbranche sorgt bei Zehntausenden von Handwerksbetrieben für Beschäftigung. Für das Gelingen der Energiewende ist bis 2050 zudem mindestens die vierfache Menge der aktuell installierten Solarkapazität (etwa 200 Gigawatt) notwendig. Um diese Branche in Deutschland gegen einen erneuten Einbruch infolge der Corona-Krise abzusichern, sollten folgende Sicherungsmaßnahmen beschleunigt umgesetzt werden:
- Sofortige Abschaffung des 52-Gigawatt-Solardeckels im EEG, da sonst im Sommer 2020, das heißt mitten in der Wirtschaftskrise, ein weitestgehender Solar-Investitionsstillstand droht. Dabei zugleich Anpassung des jährlichen PV-Zubauziels im EEG von 2,5 auf 10 Gigawatt pro Jahr. (Anm. d. Red.: Im am 3. Juli 2020 verabschiedeten Gebäudeenergiegesetz – GEG ist dieser Solardeckel bereits abgeschafft.)
- Sonderausschreibung für die zusätzliche Installation von PV-Freiflächenanlagen in Höhe von jeweils fünf Gigawatt in den Jahren 2021 und 2022. Dafür wird die Flächenkulisse für Freiflächenanlagen deutlich erweitert und die Leistungsbegrenzung von PV-Anlagen in der Freifläche von zehn auf 25 Megawatt Leistung angehoben. Insbesondere auf ehemaligen Braunkohletagebauflächen könnten bei entsprechenden Regelungen erhebliche zusätzliche Mengen installiert werden, zumal hier bereits die notwendigen Netzanschlüsse vorhanden sind.
- Abschaffung der Blockaden für Solar-Speicher-Kombinationen: Die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch von Solarstrom, die bei Anlagen oberhalb von zehn Kilowatt Leistung anfällt, blockiert den Bau von Solaranlagen vor allem im gewerblichen Bereich und erzeugt unnötige Bürokratie. Ihre schnelle Abschaffung würde erhebliche Investitionen ermöglichen und gleichzeitig den Bau von Solar-Speicher-Kombinationen anreizen."
Grüne Fernwärmenetze
Für das "Sofortprogramm Grüne Fernwärmenetze" sieht "Der Doppelte Booster" 5 Mrd. Euro vor. Mit folgender Begründung: "In Zukunft bezieht ein großer Teil der Deutschen Wärmeenergie zum Heizen und für Warmwasser über Wärmenetze. Vor allem in Städten, wo die Menschen dichter zusammenwohnen als auf dem Land, liefern Wärmenetze die erneuerbare Wärme. Die CO2-freie Wärme in den Wärmenetzen wird aus einer Vielzahl von Wärmequellen gespeist, Solarthermie, Geothermie, Abwärme aus Müllkraftwerken und der Industrie sowie Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in Zeiten der Dunkelflaute. Um Wärmenetze in großem Stil zu bauen, zu verlängern, zu dekarbonisieren und zu verdichten, werden bestehende Förderprogramme des Bunds für Wärmenetze aufgestockt und um fehlende Elemente ergänzt. Wo Eigenkapital fehlt, um Investitionen in diesem Bereich zu tätigen, sollen Stadtwerke und andere Wärmenetzbetreiber bei Investitionen Unterstützung aus einem Eigenkapitalfonds erhalten. Um das Problem einer anfangs gegebenenfalls geringen Anschlussdichte bei neuen Netzen zu umgehen, sollten KfW-Kredite für neue Netze so ausgestaltet werden, dass die Tilgung sukzessive mit der Anschlussquote steigt."
Fazit
Schon die nächsten Monate werden zeigen, was die Politik von den Vorschlägen ihrer Berater hält. Auf den Berliner Energietagen Mitte Juni 2020 meinte einer der Teilnehmer zu diesem Punkt jedenfalls: "Jetzt in der Corona-Krise setzt sie ja alles um, was die beratenden Virologen anraten. Mal schauen, ob sie auch in Klimafragen so folgsam ist."
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