Nach Expertentreffs zu den Themen "Wohnraumlüftung", "Software für Gebäudetechnik", "Heizungswasseraufbereitung", "Software für das SHK-Fachhandwerk" und "Hydraulischer Abgleich" fand Anfang September 2017 der sechste Expertentreff des HeizungsJournals statt.
Der HeizungsJournal-Expertentreff "Wärmemarkt – vielfältig, vernetzt"
Dienstag, 07.11.2017
Folgende Experten diskutierten unter anderem zu den aktuellen Lieblings-Themen der Branche "Digitale Heizung" und Smart Home*:
-
Peter Kellendonk, 1. Vorsitzender, EEBus Initiative e.V.,
-
Andreas Jahrstorfer, Product Account Manager Wärmepumpe + Smart Home, Kermi GmbH,
-
Bernd Gercken, Verkaufsleiter Deutschland, SenerTec Kraft-Wärme-Energiesysteme GmbH,
-
Dominik Greiwe, Vertriebsingenieur Süd, wibutler GmbH
"Die Digitalisierung wird in den nächsten Jahrzehnten vieles verändern. Dabei beschränkt sich die digitale Vernetzung, die unter dem Stichwort »Industrie 4.0« stattfindet, nicht alleine auf technische Entwicklungen, sondern wird auch immense Auswirkungen auf Geschäftsmodelle und angebotene Produkt- und Dienstleistungskombinationen haben. […] Das zentrale Merkmal dieser Digitalisierung wird die Verschmelzung von Technologien mit bisher isolierten Teilsystemen aus den unterschiedlichsten Bereichen sein. Die Grenzen zwischen der physikalischen, der digitalen und der biologischen Sphäre verschwimmen."
Nach der Lektüre dieser Passagen aus der VDI-Publikation "Gebäude 2025 – Thesen und Handlungsfelder" (September 2016) muss man erst einmal tief durchatmen und seine Gedanken wieder neu sortieren. Warum?
Na, ganz einfach darum, weil diese Worte etwas über ein Jahr alt sind und sich im Laufe der vergangenen zwölf Monate in Sachen Digitalisierung vieles gehörig weitergedreht hat. Als Beispiel soll an dieser Stelle nur einmal der Amazon-Vorstoß "Echo" bzw. der "Alexa Voice Service" ins Feld geführt werden. Der geneigte Leser muss deshalb schon jetzt tief durchatmen, weil er in keiner Weise heute überhaupt nur erahnen kann, wo ihn die digitale Vernetzung hintreiben wird. Wir schwimmen schon längst alle mit. Die Digitalisierung verändert also nichts in den nächsten Jahrzehnten, sondern hat schon verändert und verändert aktuell. Wir sind eben mittendrin statt nur dabei!
Wie umgehen mit dem "Unbekannten" und dem "Neuland"…?
Digitalisierung, Internet of Things, Data Mining, Big Data, Smart Meter, Smart Grids, Smart Cities, Smart Buildings und Smart Homes kennzeichnen demnach schlag(un)wortartig einige Entwicklungen, welche die Haus- und Gebäudetechnik im Allgemeinen sowie die Heizungs- und Lüftungstechnik im Speziellen derzeit verändern.
Es ist schon längst eindeutig: Der Wärmemarkt wird immer stärker von vielfältigen Kommunikations-, Informationstechniken und Internettechnologien durchdrungen. Als weiteres Beispiel aus den vergangenen Monaten dient hier sicherlich die ISH 2017, Frankfurt/M., am besten. Selbst der moderne "Homo SHK-oeconomicus" musste an manchen Stellen nicht schlecht staunen: Wo sind denn die ganzen (physischen) Geräte hin? Steh‘ ich auf der CeBIT oder IFA?
Einige Hersteller wollten dem fleißig installierenden Fachhandwerk gar weißmachen, dass es nun schicker sei, ein smartes, mobiles Endgerät an der Hand zu haben, anstatt sich diese wie sonst üblich ernsthaft schmutzig zu machen. Welcome to "Silicon Frankfurt"! Und in Ergänzung der oben notierten (Trend-)Begriffe waberten weitere Worthülsen und noch mehr Anglizismen, wie Smart Heating, Augmented Reality, Virtual Reality, Predictive Maintenance, Lead Generation, Digital Customer Journey, Digital Services, Building Information Modeling (BIM) und Virtual Design and Construction, durch die Messehallen.
Auch da war zunächst einmal eines angesagt: tief durchatmen und die eigenen Gedanken sortieren.
Was bleibt dann übrig?
Nun ja, zuallererst müssen sich sowohl das ausführende SHK-Fachhandwerk als auch die Fachplaner der TGA-Branche Gedanken machen, an welchen Stellen, in welcher Form und in welcher Tiefe sie jeweils mit Digitalisierungsthemen konfrontiert sind. Ein jeder hat unterschiedliche Voraussetzungen, Bedürfnisse und Ziele. Ein jeder hat schlichtweg einen anderen "digitalen Reifegrad".
Richtig ist, dass die Digitalisierung der Energiewende und der vernetzte Wärmemarkt, neben den Möglichkeiten bei der Verbesserung des Gebäudeenergiebedarfs, neue Geschäftsmodelle eröffnen (können), zum Beispiel detaillierte Verbrauchsanalysen, Energiemanagement oder das eben genannte Predictive Maintenance – sprich: die vorausschauende Wartung und Instandhaltung.
Bernd Gercken, Verkaufsleiter Deutschland bei SenerTec Kraft-Wärme-Energiesysteme, jedenfalls hält solche "datenbasierte Dienstleistungen" für ein lukratives Betätigungsfeld und hält es ganz und gar nicht für abwegig, diesen Gedanken einer modernen, marktorientierten Energiedienstleistung weiterzudenken in Richtung eines "Flat-Rate"-Ansatzes: "Energie, also: Wärme und Strom, müssen einfach jederzeit hochverfügbar sein!"
Und auch Dominik Greiwe, Vertriebsingenieur Süd bei wibutler, sieht hier einiges Potential: "Auch wenn im energiepolitischen Kontext häufig von »Prosumern« die Rede ist, muss man davon ausgehen, dass die »Otto Normalverbraucher«, gerade in Städten, Energie primär konsumieren. In Kombination mit der Tatsache, dass die Halbwertszeit von Technik sehr gering ist, ergibt sich ein realistischer Markt für solche Miet- bzw. »Flat-Rate«-Geschäftsmodelle."
Im Lichte solcher spannender Entwicklungen im Energie- und Wärmemarkt ist es demnach essentiell für Handwerk und Fachplaner, zunächst zu definieren, welchen Bereich man überhaupt "durchdigitalisiert" bzw. digitalisieren möchte. Meint man, wenn man über Digitalisierung und Vernetzung spricht, also…:
- aktive Geräte und Gebäude für die Energie- und Wärmewende. Also z.B.: smarte Anlagentechnik in Effizienzhäusern, Null- und Plus-Energie-Häusern, "Digitale Heizung" im Smart Home?!
- Büroorganisation. Also z. B.: Software für kaufmännisch-organisatorische Zwecke?!
- softwareunterstützte TGA- und HLKS-Fachplanung. Also z. B.: Integrale Planung und Building Information Modeling (BIM)?!
- digitale Helfer und Werkzeuge. Also z. B.: Smartphones, Apps & Co. im Praxisalltag? Smart Service, Wartung und Instandhaltung?!
- moderne Messtechnik. Also z. B.: Messinfrastrukturen für Wärme, Wasser, Gas und Strom?!
- Systeme für die Raum- und Hausautomation. Also z. B.: Energiemanagement, Fernüberwachung und Bedienung?!
Die "Digitalisierung schlechthin" gibt es schlicht und ergreifend nicht. Das muss jedem Marktteilnehmer beim Lesen dieser exemplarischen Stichpunkte klar werden. Auch die Teilnehmer des HeizungsJournal-Expertentreffs "Wärmemarkt – vielfältig, vernetzt" warnen davor, alle Begrifflichkeiten "virtuos" in einen Topf zu werfen: Vorsicht, Digitalisierungs-Gulasch!
Alles smart, oder was…?
Als adäquates und aktuelles Beispiel für ein derartiges Digitalisierungs-Einerlei dient der Smart Home-Markt, welcher vor allem aufgrund seiner (zukünftigen) Umsatzchancen immer wieder durch Studien und Untersuchungen bewertet wird: So gehen zum Beispiel Marktforscher von der IT-Beratung Gartner davon aus, dass im Jahr 2022 in einem durchschnittlichen Familienhaushalt über 500 smarte, vernetzte Objekte zu finden seien! Das beeindruckt – auch wenn man sich im selben Moment unwillkürlich fragt, ob das "gesund" ist.
Dem Smart Home wird, so oder so, ein sehr großes wirtschaftliches Potential zugeschrieben: Eine Deloitte-Prognose spricht da von "mindestens 1 Mio. Smart-Home-Haushalten in Deutschland im Jahr 2020." Weltweit, so schätzen Experten, sollen bis 2020 rund 230 Mio. Häuser intelligent vernetzt sein (rund 15 Prozent aller Haushalte) und das Marktvolumen soll auf 250 Milliarden US-Dollar wachsen.
Gigantische Zahlen – nur logisch, dass jedes umsatz- und gewinnorientierte Unternehmen hier partizipieren möchte. Und da liegt auch schon der berühmte "Hase im Pfeffer". In das Smart Home, definitionsgemäß (Bitkom) sind das "steuerbare Geräte der Hausautomation, Haushaltstechnik, Konsumelektronik und Kommunikationseinrichtungen, welche intelligent miteinander vernetzt und aus der Ferne gesteuert werden können", wird nämlich derzeit alles hineinprojiziert, was in irgendeiner Form mit einem Haus bzw. Haushalt in (fester wie loser) Verbindung steht. Von A wie Auto bis Z wie Zimmerleuchte.
Eine treffende Einschätzung des aktuellen Marktgeschehens gibt Peter Kellendonk, 1. Vorsitzender beim EEBus Initiative e.V.: "Smart Home ist Energiemanagement im besten Sinne, da die Energieerzeugung, -verteilung und -nutzung einen sehr wertvollen »use case« (Anwendungsfall – Anm. d. Red.) darstellt. Aktuell ist das Smart Home aber ein Gag-Set – eine Spielerei."
In diese Kerbe haut auch Andreas Jahrstorfer, Product Account Manager Wärmepumpe + Smart Home bei Kermi: "Durch Smart Home-Anwendungen wollen Nutzer doch vor allem die Energie in der Wohnung, im Haus, im Gebäude verwalten. Was also benötigt wird, ist ein durchgängig optimiertes und entsprechend vernetztes System aus Wärmeerzeugung, -speicherung, -übergabe und Wärmerückgewinnung."
"Der Markt für Smart Home-Produkte, -Systeme und -Anwendungen ist mittlerweile sehr unübersichtlich. Immer mehr Anbieter tummeln sich und kämpfen um die Gunst der Kunden, da diese mit ihren Lifestyle- und Komfort-Ansprüchen die Investitionen eben auslösen", unterstreicht Bernd Gercken den wahren "point of sale".
Dominik Greiwe bringt hier eine weitere Perspektive ins Spiel: "Wir sollten uns vom Begriff Smart Home verabschieden und anstreben, auf offenen Plattformen zu arbeiten und hinsichtlich der Kommunikationsstandards auf Flexibilität setzen, im Bestand wie im Neubau. Nur so wird der vernetzte Energie- und Wärmemarkt langfristig auf Nutzer-Akzeptanz stoßen und vielfältig bleiben!"
"Digitale Heizung", ist das alles neu...?
Am intensivsten wird in der Branche aktuell zweifelsohne die Facette "Digitale Heizung" betrachtet, welche laut Informationen des Bundesverbands der Deutschen Heizungsindustrie e.V. (BDH) für eine Heizung steht, bei welcher der Nutzer mit der Anlage interagiert und mit einfachen Anwendungen individuell über das Smartphone steuern oder sogar aus der Ferne betreuen kann; es werden wichtige Parameter sekundengenau visualisiert (s. BDH-Infoblatt 64, März 2016).
Funktionen seien beispielsweise (s. BDH-Infoblatt 69, März 2017):
- Einfaches Anlegen und Verwalten von Dateien über die Heizungsanlagen der Endkunden.
- Genauer Überblick über den Betriebsstatus der Heizungsanlagen zur permanenten Abrufung von aktuellen Parametern und Einstellwerten.
- Optische Unterstützung zur optimalen Heizkennlinieneinstellung und weiteren anlagentechnischen Parametern.
- Anzeigen und Weiterleiten von Störmeldungen.
- Anzeigen empfohlener Maßnahmen bei Störungen und Anbindung einer App zur direkten Bestellung von Ersatzteilen.
Um bis zu 15 Prozent könne der Energieverbrauch durch die Digitalisierung der Heiztechnik reduziert werden, lautet weiter ein Ergebnis der aktuellen "Kurzstudie Energieeinsparungen Digitale Heizung", die das Institut für Technische Gebäudeausrüstung Dresden Forschung und Anwendung GmbH (ITG) im Auftrag des BDH erarbeitet hat. Denn mit einer intelligenten Steuerung laufe die Heizung stets im optimalen Bereich und auch für das Fachhandwerk eröffneten sich neue Chancen. Viele Bestandsheizungen würden sich mit einfachen "Plug-and-Play"-Lösungen nachrüsten lassen.
Laut dieser Studie führten Optimierungsfunktionen an der Heizung durch Informations- und Steuersysteme nicht nur zu einer Einsparung von Energie, sondern vor allem auch zu einer Verbesserung des thermischen Komforts. Mögliche digitale Optimierungsfunktionen seien (s. ITG-Endbericht v. 12. Januar 2017, Kapitel 2.9, Tab. 14):
-
selbstadaptierende Heizkurveneinstellung: Bedarfsgeführte Wärmebereitstellung in Abhängigkeit vom tatsächlichen Raumwärmebedarf. Auswertung der Lastanforderungen der Räume auf Basis der aktuellen Ventileinstellungen oder messtechnische Erfassung der Oberflächentemperaturen der Heizflächen.
-
Präsenzkontrolle: Erfassung der Belegung des Hauses (Erfassung der Geo-Positionen der Bewohner) bzw. der Belegung der einzelnen Räume und Unterbrechung der Heizung (intermittierender Heizbetrieb).
-
Wetterprognose: Zugriff auf lokale Online-Wettervorhersage und Einstellung der Vorlauftemperatur bzw. Heizzeit.
-
Vereinfachung hydraulischer Abgleich: Kenntnis des tatsächlichen Wärmebedarfs der einzelnen Räume.
-
zeitliche Optimierung der Warmwasserzirkulation: Zirkulation im Warmwassernetz in Abhängigkeit von der Belegung des Hauses bzw. zeitabhängig.
-
Visualisierung der Verbrauchsdaten: Einfluss auf das Nutzerverhalten durch Visualisierung von Verbrauchsdaten, wie Wärme- und Warmwasserverbrauch, über Display oder webbasiert.
Die Macher der "Kurzstudie Energieeinsparungen Digitale Heizung" folgern auf Seite 15 (Kap. 2.9), dass das mögliche Einsparpotential der jeweiligen Maßnahme sowohl vom baulichen Wärmeschutz als auch von der vorhandenen Anlagentechnik abhänge: "Bereits sparsames Nutzerverhalten hat geringere Einsparungen zur Folge, bei einem Nutzer mit sehr hohem Verbrauch können durch eine Digitalisierung der Heizung die Einsparungen u.U. höher sein."
Was muss (eigentlich) her...?
Auch an dieser Stelle muss man als geneigter Leser zunächst einmal tief durchatmen und seine Gedanken sortieren. Warum? Na, ganz einfach darum, weil das alles (schon lange) am Markt verfügbar ist. Neuer Wein in alten Schläuchen? Des Weiteren erschließt es sich nicht jedem in der Fachwelt sofort, warum ein vernetztes/vernetzbares Heizgerät (sei es fossil oder regenerativ gespeist), welches über diverse Möglichkeiten der MSR-Technik verfügt, nun ausgerechnet der "mächtige Hebel" bzw. der "missing link" für den Erfolg der Wärme- und Energiewende sein soll.
Deutlich zielführender ist es doch, interdisziplinär und jenseits von isolierten Teilsystemen zu arbeiten. Oder – ganz einfach ausgedrückt: Was in der vernetzten Energie- und Gebäudetechnik erfolgreich zusammenspielen soll, muss zunächst einmal zusammen spielen (respektive: diskutieren). Wie immer im Leben gilt: Dialog ist Trumpf!
So lautete denn auch ein Fazit des interdisziplinären HeizungsJournal-Expertentreffs "Wärmemarkt – vielfältig, vernetzt". Es gelte, die limitierenden Grenzen des Heizungskellers bzw. häuslichen Technikraums zu verlassen – ja: zu sprengen! Streng nach dem (politisch gewollten) Motto: "Integrierte Energiewende" und "Sektorenkopplung" wir kommen!
Wobei die teilnehmenden Experten von der EEBus Initiative e.V., Kermi GmbH, SenerTec Kraft-Wärme-Energiesysteme GmbH und wibutler GmbH allein schon beim "Wording" – sprich: bei der Namensgebung – wieder schmunzeln müssen. Klar, "Sektorenkopplung", das höre sich fein und richtig wichtig an. Was jedoch bleibe, das seien vor allen Dingen die installierenden Fachhandwerker, welche in der täglichen Praxis, in der konkreten Umsetzung im Projekt entlastet werden müssten.
"Der Heizungsbauer benötigt vernetzte Systeme, die einfach funktionieren. Er ist es nämlich, der beim investierenden Kunden den Überblick behalten muss", betont Andreas Jahrstorfer. Dass das Fachhandwerk dringend mit ins Boot muss, davon zeigt sich auch Peter Kellendonk überzeugt: "Ich kann nur allen Marktteilnehmern dazu raten, im kleinen Maßstab zu starten und die ersten Anwendungs-Beispiele bewusst im engen Kontakt auch mit dem Handwerk anzugehen!"
Exakt, denn "wer hohe Türme bauen will, muss eben lange beim Fundament verweilen!"
Der HeizungsJournal-Verlag bedankt sich bei den Experten für Ihre Teilnahme und die engagierte Diskussion!
* Anm.: Vertreter weiterer führender Hersteller bzw. Anbieter von Heizungs- und Lüftungssystemtechnik wurden ebenfalls eingeladen, waren jedoch zu diesem Termin leider verhindert. Ebenso zwei maßgebliche Energieversorgungsunternehmen.
Sie haben eine Frage zu diesem Artikel? Dann stellen Sie der Redaktion hier Ihre Fachfrage!