Fluktuierenden, erneuerbaren Strom nutz-, transportier- und speicherbar machen.
Grüner Wasserstoff – Status quo und Zukunft
Dienstag, 07.04.2020
Aus erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer klimaneutralen Industriegesellschaft. Um den steigenden Bedarf an sogenanntem Grünen Wasserstoff zu decken, gilt es, Lösungen mit Potential für die industrielle Nutzung voranzubringen. Die Weichen sind bereits gestellt: Mit der PEM-Elektrolyse existiert eine Technologie, die in Zukunft eine wirtschaftliche Herstellung im großen Maßstab ermöglichen kann. In Reallaboren werden jetzt erstmals entsprechende Anlagen mit einer Leistung von bis zu 100 MW geplant.
Bis zur Mitte des Jahrhunderts soll Deutschland weitgehend treibhausgasneutral werden – so sieht es der Klimaschutzplan 2050 vor. Dabei spielt Wasserstoff als Energieträger der Zukunft eine Schlüsselrolle.
Er bietet die Möglichkeit, große Energiemengen zu speichern und zu transportieren. Vor allem aber kann Wasserstoff klimaneutral aus regenerativen Quellen hergestellt werden und so einen entscheidenden Beitrag zur CO2-Reduktion leisten. Denn die Anwendungsmöglichkeiten sind breit gefächert.
Grüner Wasserstoff ist überall dort einsetzbar, wo heute konventionell produzierter Wasserstoff verwendet wird: Ob Raffinerien, Metallurgie, Stahl-, Chemieproduktion oder Chipherstellung – in der Industrie ist das Gas in vielen Prozessen unentbehrlich. Im Verkehrssektor kann Wasserstoff als emissionsfreier Treibstoff dienen – und das nicht nur bei Autos mit Brennstoffzelle. Erste Busse und sogar Züge sind im Nahverkehr mit Wasserstoff unterwegs. Und auch für den Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr ist der Einsatz von klimaneutral produziertem Wasserstoff oder auf Basis von Wasserstoff erzeugte synthetische Treibstoffe in Zukunft eine denkbare Alternative.
Denn auf der Grundlage von grünem Wasserstoff ist eine umweltschonende Herstellung sogenannter E-Fuels oder von synthetischem Methan, kurz E-Gas, möglich. Die Herstellung von E-Gas erfolgt, indem regenerativ erzeugter Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid mit dem Sabatier-Prozess zu Methan umgewandelt werden. Mit der Fischer-Tropsch-Synthese, einem anderen Verfahren, können auf Basis von Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff flüssige synthetische Kraftstoffe wie E-Diesel, E-Benzin oder E-Kerosin hergestellt werden. Dem Nachteil der aufwendigen Produktion stehen unbestreitbare Vorteile gegenüber: E-Fuels bieten, wie auch Wasserstoff, eine Möglichkeit, Energie in großen Mengen saisonunabhängig zu speichern und zu transportieren. Sie können von den aktuellen Verbrennungsmotoren schon jetzt ohne Umbauten genutzt werden, wobei die notwendige Infrastruktur mit dem derzeitigen Tankstellennetz bereits besteht. Außerdem lassen sich die synthetischen Treibstoffe auch dort einsetzen, wo die Elektrifizierung an ihre Grenzen stößt – wie im Schiffs- und Luftverkehr.
PEM-Elektrolyse zur Herstellung von Wasserstoff
Der Anteil erneuerbarer Energien an der weltweiten Stromerzeugung wächst täglich. Doch damit die Transformation zu einer klimafreundlichen Versorgung gelingt, müssen fluktuierende Energiequellen, wie Sonne und Wind, in bestehende Netze, kontinuierliche Industrieprozesse und in eine flexible und individuelle Mobilität integriert werden – und das zu wirtschaftlichen Konditionen.
Ein möglicher Weg dorthin ist die PEM-Elektrolyse. Die Bezeichnung PEM leitet sich von der protonenleitenden Membran, der sogenannten Proton-Exchange-Membrane, ab. Ihre spezielle Eigenschaft: Sie ist durchlässig für Protonen, aber nicht für Gase wie Wasserstoff oder Sauerstoff. Damit übernimmt sie in einem elektrolytischen Prozess unter anderem die Funktion des Separators, der die Vermischung der Produktgase verhindert.
Die PEM-Technologie, die eine relativ geringe Stellfläche benötigt, ist ideal geeignet, um volatil erzeugten Wind- und Sonnenstrom aufzunehmen. Die hochdynamische Betriebsweise der Anlagen erlaubt es, auf die Anforderungen durch das schnell schwankende Stromnetz zu reagieren. Außerdem ist ein Kaltstart binnen Minuten möglich. Stromüberschüsse können so unmittelbar in umweltfreundlichen Wasserstoff umgewandelt und über Wochen und Monate gespeichert werden.
Wasserstoff-Produktion in neuer Dimension
Siemens beschäftigt sich bereits seit Jahrzehnten mit dem Thema Wasserstoff und Brennstoffzelle. Doch mit dem Wandel in der Energieversorgung hat die nachhaltige Wasserstofferzeugung noch einmal an Bedeutung gewonnen. Bereits seit einigen Jahren sind PEM-Elektrolyse-Anlagen von Siemens in Deutschland erfolgreich in Betrieb.
Im "Energiepark Mainz", der 2015 als vielbeachtetes Innovationsprojekt und mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung startete, wandeln Elektrolyseure von Siemens überschüssige Windkraft in Wasserstoff um. Die Power-to-Gas-Anlage, die inzwischen im Regelbetrieb arbeitet, verfügt über eine Maximalleistung von rund 6 MW. Der hier produzierte, hochreine Wasserstoff wird zum einen per Trailer zu Abnehmern in der Industrie sowie zu öffentlichen Wasserstoff-Tankstellen transportiert. Zum anderen wird er aber auch direkt vor Ort genutzt: Ein Teil des Wasserstoffs wird in eine nahegelegene Erdgasleitung eingespeist, die den Mainzer Stadtteil Ebersheim versorgt. So lässt sich die CO2-Bilanz von Erdgas mittels Wasserstoff verbessern. Nachdem dem Erdgas in Mainz anfangs lediglich ein bis zwei Prozent Wasserstoff beigemischt wurden, konnte der Wasserstoff-Anteil inzwischen auf bis zu zehn Prozent erhöht werden.
Herzstück der Power-to-Gas-Anlage im unterfränkischen Haßfurt ist ein reaktionsschneller 1,25 MW-Elektrolyseur von Siemens. Pro Stunde erzeugt er etwa 20 kg Wasserstoff bei Vollbetrieb, eine Menge, die ausreicht, um vier bis fünf Brennstoffzellenautos zu betanken. Ein Teil des Wasserstoffs wird in das Erdgasnetz der Kommune eingespeist. Ein weiterer Teil wird dem Erdgas zugesetzt, das eine Haßfurter Mälzerei nutzt, um in ihren Blockheizkraftwerken (BHKW) Strom und Wärme zu erzeugen. So soll erprobt werden, wie hoch der Wasserstoffanteil im Gasnetz sein kann. Seit Juni 2019 wird in Haßfurt zudem ein hochinnovatives Wasserstoff-BHKW zur Rückverstromung von regenerativ gewonnenem Wasserstoff eingesetzt.
Damit der steigende Bedarf an Grünem Wasserstoff gedeckt werden kann, sind jedoch in Zukunft deutlich größere Dimensionen gefragt. In sogenannten "Reallaboren der Energiewende" sollen daher mit Förderung der Bundesregierung künftig neue Wasserstofftechnologien im industriellen Maßstab und in realer Umgebung getestet werden.
Eine der bundesweit 20 ausgewählten Projektskizzen unter der Beteiligung von Siemens wird aktuell in Leuna geplant. Das Projekt "GreenHydroChem", das bis 2024 realisiert werden soll, umfasst die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette von der Herstellung über den Transport und die Speicherung bis hin zur Verwendung des Wasserstoffs durch Großabnehmer. Bei der geplanten Großelektrolyseanlage der 100-MW-Klasse handelt es sich um das bislang weltweit größte Elektrolyseanlage-Projekt. Ziel ist es, die Region "Mitteldeutsches Chemiedreieck" im industriellen Maßstab mit Grünem Wasserstoff zu versorgen. Damit rückt die Dekarbonisierung der Energieerzeugung ein großes Stück näher.
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