Der hydraulische Abgleich, lange Zeit ein Stiefkind der Heizungstechnik, ist seit dem 1. Oktober 2022 erstmals bundesweit Pflicht.
„Oberster Grundsatz: Kein falscher Ehrgeiz!“
Interview mit Bernd Scheithauer, Danfoss, zur EnSimiMaV-Debatte
Mittwoch, 27.09.2023
Mit Inkrafttreten der „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über mittelfristig wirksame Maßnahmen“ (EnSimiMaV) steht fest, dass Gas-Zentralheizungen von Wohnbauten ab sechs Wohneinheiten binnen zwei Jahren hydraulisch abgeglichen werden müssen. Sind mindestens zehn Wohneinheiten bzw. bei Zweckbauten mehr als 1.000 m2 beheizte Fläche vorhanden, liegt der Stichtag sogar schon ein Jahr früher – sprich: am 30. September 2023. Die Heizungsbranche hält diesen Zeitplan bisher überwiegend für utopisch. Bernd Scheithauer, Portfoliomanager bei Danfoss, ist indes anderer Ansicht. Im folgenden Interview erläutert er, warum er die Verordnung für sinnvoll hält und wie sie sich zügig umsetzen lässt.
Herr Scheithauer, Sie gelten seit vielen Jahren als einer der führenden deutschen Spezialisten für den hydraulischen Abgleich von Heizungssystemen. Als im letzten Herbst gleichsam im „Hauruck-Verfahren“ die neue EnSimiMaV formuliert und in Kraft gesetzt wurde – was haben Sie da spontan gedacht?
Als jemand, der sich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt, habe ich die neue Verordnung natürlich prinzipiell begrüßt. Wer um die Bedeutung des hydraulischen Abgleichs weiß, wird sich kaum beschweren, dass der Stellenwert dieser Maßnahme endlich auch in der Politik angekommen ist. Dass der Abgleich 2020 in der BEG zur Fördervoraussetzung erklärt wurde – damals noch unter Federführung der „Großen Koalition“ – war ein erster, sehr wichtiger Schritt. Spätestens ab da war klar, dass ein Heiztechniker das Thema nicht mehr umgehen konnte, wenn sein Auftraggeber – der Immobilienbesitzer – nicht Fördersummen in großer Höhe verlieren sollte.
Gleichwohl blieb die Maßnahme grundsätzlich freiwillig. Mit der EnSimiMaV ist die Ampelregierung nun sehr schnell einen Schritt weiter gegangen und hat für größere Wohn- und Zweckbauten mit Gas-Zentralheizung das Prinzip „Fördern“ durch das Prinzip „Fordern“ ersetzt. Das ist zunächst einmal absolut vernünftig, denn die betroffenen Gebäude weisen aufgrund ihrer Größe meist den höchsten Energieverbrauch auf – und aufgrund ihrer fossilen Heizsysteme auch zumeist die schlechteste CO2-Bilanz. Der Zeitplan der Verordnung ist aber natürlich sehr ambitioniert, das ist schon sportlich.
Sie sagen: „sehr ambitioniert“. Viele in der Heizungsbranche sagen: „völlig utopisch“. Hand aufs Herz – hat man hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet?
Wir sollten uns an dieser Stelle ehrlich machen: Wäre es der Politik nicht mit viel Einsatz und ein wenig Glück gelungen, die drohende Gasmangellage zu verhindern, würde kein Mensch kritisieren, dass alles versucht wurde, um durch die Steigerung der Energieeffizienz von Heizanlagen – genau darum geht es ja beim hydraulischen Abgleich – jeden Kubikmeter Gas einzusparen, der irgendwie eingespart werden kann. Denn diesen Einspareffekt so schnell wie möglich zu aktivieren, war ja das Ziel der Verordnung. Als sie erlassen wurde, waren die Gaspreise explodiert, und es wusste niemand, ob in der Heizperiode überhaupt genügend Gas zur Verfügung stehen würde. Vielerorts lagen schon die Notfallpläne in der Schublade.
Da sich die Lage auf dem Gasmarkt dann aber recht schnell entspannt hat, die Verfügbarkeit gegeben war und die Preise wieder gefallen sind, standen sehr bald wieder die Zumutungen der Verordnung im Fokus. Die sind tatsächlich nicht unerheblich. Aber wir dürfen jetzt nicht erneut in die alte Bequemlichkeit verfallen. Die politische Großwetterlage gilt nach wie vor als äußerst angespannt – niemand weiß, ob über den Ukraine-Krieg hinaus nicht noch weitere Konfliktherde aufbrechen und die Rohstoffmärkte erneut durcheinanderbringen werden. Und auch beim Klimaschutz drängt die Zeit, das sollten wir bei alledem nie vergessen. Hinzu kommt: Durch die steigende CO2-Bepreisung wird das Heizen mit Gas künftig immer teurer. Entsprechende Einsparpotentiale zu erschließen, ist deshalb auch wirtschaftlich zwingend.
Gleichwohl scheint niemand in der Branche so recht zu wissen, wie die EnSimiMaV innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens umgesetzt werden soll. Ist die Kritik am Zeitplan denn wirklich unberechtigt? Und haben wir gegenwärtig nicht das generelle Problem, dass die Politik dazu neigt, Notwendiges übereilt und ohne angemessene Vorbereitung anzugehen? Passt die Verordnung da nicht ein Stück weit ins Bild?
Tatsächlich müssen wir uns an der einen oder anderen Stelle fragen, ob der richtige Weg nicht mit etwas mehr Bedacht eingeschlagen werden sollte. Dem Klimaschutz ist jedenfalls ganz sicher nicht gedient, wenn wir die Unterstützung der Menschen verlieren. Was die EnSimiMav angeht, sehe ich das Ganze allerdings gar nicht so kritisch.
Denn dass der Zeitplan ambitioniert ist, heißt für mich nicht, dass er unrealistisch ist. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt unbeliebt mache: Ich bin der Meinung, dass das Vorgeschriebene durchaus umsetzbar ist – vorausgesetzt, der Heiztechniker geht strukturiert und pragmatisch vor und weiß, was zu tun ist und welche Mittel er sinnvollerweise einsetzen sollte.
Dieser Optimismus wird jetzt viele überraschen. Wie soll denn der Weg zu einer zügigen Umsetzung aussehen?
Oberster Grundsatz aller Maßnahmen muss zunächst sein: Kein falscher Ehrgeiz! Ein nicht unerheblicher Teil der Kritik entzündet sich daran, dass viele Fachleute mit der EnSimiMaV eine Nachplanung auf Neubauniveau verbinden. Wer das anstrebt, fährt aber unweigerlich gegen die Wand – denn das ist innerhalb des vorgeschriebenen Zeitrahmens wirklich nicht machbar. Für so etwas haben unsere Handwerksbetriebe meist weder das nötige Personal noch die nötige Zeit – und von Großbetrieben abgesehen, haben sie im Normalfall auch nicht die CAD-Software, die erforderlich wäre, um größere Gebäude rechnerisch auf Neubaulevel zu bewerten.
Tatsächlich ist das aber auch gar nicht notwendig. Um die Vorgaben der Verordnung zu erfüllen und die gewünschten energetischen Einsparungen zu erzielen, reicht ein „handelsüblicher“ hydraulischer Abgleich nach Verfahren B völlig aus. Dafür braucht es auch bei größeren Gebäuden nicht viel: Schon mit frei verfügbaren Softwaretools, wie beispielsweise unserer Danfoss „DanBasic 7“, sowie ein paar Tricks zur Abkürzung des Rechenweges kann jeder Fachmann die erforderlichen Berechnungen umsetzen.
„Tricks zur Abkürzung des Rechenweges“ – das ist für viele SHK-Fachhandwerker wahrscheinlich Musik in den Ohren. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Schlüssel zur Berechnung des hydraulischen Abgleichs ist ja die Ermittlung der raumweisen Heizlast sowie die Bewertung der vorhandenen Wärmeübertragungsflächen. Die EnSimiMaV verlangt das auch explizit.
Bei großen Gebäuden scheint das zunächst eine Mammutaufgabe, die selbst mit einer Hochleistungssoftware mindestens einen Manntag Arbeit erfordert. Doch es geht auch anders! Und der Grundgedanke ist dabei ganz einfach: Im herkömmlichen Geschosswohnungsbau, aber auch in sehr vielen Zweckbauten – wie etwa in Bürogebäuden – sind die Räume auf jeder Etage identisch angeordnet und geschnitten. Dementsprechend ist dann auch die Verteilung der Wärmeübertragungsflächen – der Heizkörper oder Heizkreise – überall gleich.
Das macht es möglich, Raumtypen zu definieren und Heizlast sowie Heizflächenleistung für jeden dieser Raumtypen nur einmal zu ermitteln. Diese Werte werden dann einfach multipliziert bzw. addiert und allenfalls noch ein wenig nachkorrigiert, um auch die Besonderheiten von EG, Souterrain oder oberstem OG zu berücksichtigen. Auch die Ermittlung der Gebäudeheizlast – maßgeblich für die Dimensionierung des Wärmeerzeugers und in der EnSimiMaV ebenfalls zwingend vorgeschrieben – lässt sich auf Basis dieser Teilwerte ganz einfach ermitteln.
Das wird so manchen dennoch nur bedingt beruhigen, da noch immer viel Rechnerei übrig bleibt und im Bestand auch oft verlässliche Werte fehlen. Wie soll die Branche unter diesen Voraussetzungen das nötige Tempo aufnehmen können?
Indem sie die Möglichkeiten nutzt, die ihnen schon eine vergleichsweise einfache, aber dennoch leistungsstarke Software wie die „DanBasic 7“ bietet. Sind etwa die U-Werte von Fenstern, Türen, Außenwänden oder Dächern unbekannt, was im Bestand ja tatsächlich nicht selten vorkommt, schlägt die Schätzfunktion der Software für jedes Bauteil einen vom Baualter abhängigen Wert vor.
Diese Schätzfunktion kann der Heiztechniker aber auch von vornherein nutzen, um sich unnötige Suchen nach alten Unterlagen zu ersparen. Auf dieser Grundlage kommt er dann sehr schnell zu Ergebnissen bei Heizlast und Heizflächen und kann mit Hilfe der Software auch rasch die erforderlichen Massenströme und Rücklauftemperaturen sowie Pumpen- und Reglereinstellungen ermitteln.
Machen wir es gerne noch etwas konkreter: Welche Schritte sind letztlich im Einzelnen nötig, um zu einer schnellen und effektiven Umsetzung der EnSimiMaV zu gelangen?
Wer sich hier detailliert informieren will, dem kann ich unser Whitepaper „Sieben auf einen Streich – Wege zur schnellen Umsetzung der EnSimiMaV“ empfehlen (Anm. d. Red.: Download unter https://tga.li/ceyw). Hier haben wir sieben Schritte definiert, aufgeschlüsselt und begründet, die im Interesse einer zügigen Umsetzung gegangen werden sollten.
Schritt eins bis drei sind dabei die Definition der Raumtypen, die Berechnung der Heizlast und die Bewertung der Heizflächen. Danach sollte eine Zonierung der Heizanlage in hydraulisch voneinander unabhängige Einheiten erfolgen, da dadurch eine bessere, übersichtlichere und feingliedrigere Regulierung möglich wird. Schritt fünf und sechs sind dann die Ermittlung von Massenströmen und Rücklauftemperaturen sowie eine Systemoptimierung im laufenden Betrieb, die unter anderem zur Ermittlung der finalen Einstellungen von Umwälzpumpe und Differenzdruckreglern führt. Den Schlussstein bildet die Ergänzung der Maßnahmen durch temperaturbasierte, automatisierte Abgleichverfahren. Wie das im Einzelnen funktioniert und welche Hilfsmittel und Komponenten hierfür eingesetzt werden sollten – darüber gibt unser Whitepaper umfassend Auskunft.
Was für Tipps können Sie den Praktikern darüber hinaus noch mit auf den Weg geben?
Ich kann nur jedem empfehlen, sein Wissen in Schulungen aufzufrischen. Softwarelösungen und schriftliche Handreichungen sind das eine – aber es ist genauso unerlässlich, sich durch ausgewiesene Experten aus dem Umfeld von Herstellern und Verbänden informieren zu lassen und nicht zuletzt den persönlichen Austausch mit den eigenen Handwerkskollegen zu suchen. Denn die praktischen Erfahrungen im Heizungskeller lassen sich durch kein Lehrbuch ersetzen! Schulungen zum hydraulischen Abgleich, die selbstverständlich auch wir von Danfoss anbieten – die meisten davon leite ich selbst –, sind eine sehr gute Plattform, um hier miteinander ins Gespräch zu kommen, und sie bringen erfahrungsgemäß auch ausgefuchste Fachleute immer einen Schritt weiter.
Und dann möchte ich zum Schluss wirklich jeden Fachhandwerker ermutigen, sich der Herausforderung des hydraulischen Abgleichs anzunehmen – auch jenseits des Einzugsbereichs der EnSimiMaV. Ja, die Branche steht vor großen Herausforderungen, und ja, sie soll derzeit alle Probleme gleichzeitig lösen, während überall Fachkräfte fehlen. Und dennoch führt kein Weg daran vorbei, den hydraulischen Abgleich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit einzuplanen und umzusetzen, und sei es als Zwischenstufe der Sanierung. Denn bis alle fossilen Heizanlagen ausgetauscht werden können, vergehen Jahrzehnte – und wir können es uns bis dahin weder ökologisch noch ökonomisch leisten, Energiesparpotentiale zu verschwenden.
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