Das Jahr 2018 war für Deutschland das wärmste und sonnenreichste seit 1881, dem Beginn systematischer Wetteraufzeichnungen.
Solarpioniere als Gewinner in Zeiten des Klimawandels
2018 – ein Jahr der Rekorde
Montag, 23.09.2019
Am Beispiel der bislang größten thermischen Solaranlage Deutschlands in Senftenberg wird gezeigt, wie Investoren, die auf klimafreundliche Solarenergie setzten, mit einer außergewöhnlichen Dividende belohnt wurden.
Diese Solarthermieanlage ging im August 2016 auf einer ehemaligen Deponie nach etwa 5-monatiger Bauzeit in Betrieb und unterstützt seitdem mit 8.300 m² Vakuumröhrenkollektoren ein städtisches Fernwärmenetz. Im Rekordjahr 2018 lieferte sie 1/4 mehr Fernwärme als durchschnittlich erwartet wird und 1/3 mehr als dem Energieversorger von den Erbauern der Anlage garantiert wurde. Doch dieser Mehrgewinn übersteigt weit die Abweichung der Jahreseinstrahlung vom Mittel. Ist das noch plausibel?
Am 15. August 2016 wurde die Solaranlage in Betrieb genommen. Vom 16. bis 18. August wurden unter Aufsicht eines Sicherheitsbeauftragten thermische Stagnationen bei wechselhaftem Wetter und bei voller Einstrahlung von etwa 1.000 W/m² getestet. Bis Ende 2018 speiste die Anlage dann 9,66 GWh in das Fernwärmenetz, wobei es über 29 Monate nur zwei weitere Stagnationen als Folge von Netzarbeiten gab, die letzte im August 2018. Die Einspeisung der Solarwärme erfolgt wie im Heizwerk in den Vorlauf mit jahreszeitlich gleitenden Kollektortemperaturen zwischen 90 und 105 °C. Nur bei sehr schwacher Einstrahlung, vor allem morgens beim Anfahren und abends zur "Resternte", schaltet die Solaranlage auf Rücklauftemperaturanhebung um. Der Übersichtlichkeit halber werden im Folgenden die beiden Kalenderjahre 2017 und 2018 ausgewertet. 2017 brachte 0,6 Prozent weniger Einstrahlung als im Durchschnitt erwartet, wobei die monatlichen Ist-Soll-Differenzen von -17 Prozent (April) bis +18 Prozent (August) reichten. Dank konservativer Planung wurde der Wärmegewinn ins Netz mit knapp 4 GWh um etwa vier Prozent überschritten. Von der gesamten Einstrahlung auf die Bruttofläche des Kollektorfelds kamen 41,8 Prozent dem Wärmenetz zugute.
Dagegen war 2018 mit 14,4 Prozent Einstrahlung über dem Durchschnitt spektakulär, ebenso mit monatlichen Ist-Soll-Differenzen von +89,3 Prozent (Februar) bis -38,7 Prozent (Dezember). Sieben Monate waren weit über Soll, nur der März, Juni und September waren halbwegs normal. Der Wärmegewinn ins Netz wurde mit 4,72 GWh um etwa 24 Prozent überschritten. Von der gesamten Einstrahlung auf die Bruttofläche des Kollektorfelds kamen 43,2 Prozent dem Wärmenetz zugute – ein noch höherer Jahresnutzungsgrad als 2017, weil der Mehrertrag überwiegend an Sommertagen mit höheren Tagesnutzungsgraden erwirtschaftet wurde.
Abb. 4 zeigt für die ersten 865 Betriebstage die Tagesnutzungsgrade (rote Punkte und linke y-Achse) als Funktion der Tageseinstrahlung und die entsprechenden Tagesnetzerträge (blaue Punkte und rechte y-Achse):
Der Ertrag stellt sich proportional zur Einstrahlung ein, der Tagesnutzungsgrad nimmt hingegen bei kurzen Tagen und schlechtem Wetter überproportional ab. Der Breakeven-Point, ab dem die Anlage überhaupt etwas bringt, liegt dank der hohen Kollektoreffizienz bei nur etwa 1 kWh/m² Tageseinstrahlung. Um täglich mindestens 10 MWh ins Netz einspeisen zu können, was im Mittel von der Anlage erwartet wird, sind Tageseinstrahlungen von mindestens 3 kWh/m² notwendig.
Die mit stets über 42 Prozent hohen Jahresnutzungsgrade sind ebenfalls Ausdruck einer hohen Kollektorflächeneffizienz, welche aktuelle PV- um Faktor 3 und Flachkollektoren bei den Senftenberger Netztemperaturen um Faktor 1,5 übertrifft. Sie zeigen nebenbei, dass vor allem die Tage mit einer Einstrahlung über 2,5 kWh/m² für den Solarertrag maßgebend sind.
Der Wärmebedarf für den Frostschutz wird, wie auch die Anfahrverluste, immer mitgemessen und spielt offensichtlich so gut wie keine Rolle. Der Frostschutzbedarf von etwa 1,3 Prozent des Netzwärmeertrags entsteht jährlich von Oktober bis April. Davon wurden bisher erst 5,9 MWh, also nur 0,06 Prozent des Netzwärmegewinns, wieder aus dem Fernwärmenetz geholt. Zu > 99,94 Prozent genügte dazu in Senftenberg die ungenutzte Restwärme, die bei Vakuumkollektoren auch bei wenig Strahlung noch übrig bleibt.
Die Anfahrverluste bestehen aus der erforderlichen Wärme zum Aufwärmen der Anlage, vor allem am Morgen, sowie aus den Verlusten nach dem Abschalten, vor allem nachts. Sie verteilten sich übers Jahr fast gleichmäßig. Dabei gleicht es sich aus, dass sie an Wintertagen natürlich viel höher sind, die Anlage dafür dann aber seltener startet. Insgesamt sind die Anfahrverluste umso geringer, je geringer die Speicherkapazität des Kollektorfeldes ist, weshalb dabei flinke Vakuumkollektoren mit Wasser als Wärmeträger besonders gut abschneiden, weil Wasser mit den geringsten Rohrquerschnitten und damit insgesamt mit dem geringsten Kollektorfeld-Wärmeträgerinhalt auskommt. Die Theorie und eine weltweite etwa 40-jährige Solarthermiepraxis zeigten bisher, dass nur Hochleistungskollektoren dank ihrer Vakuumdämmung auch bei Wintern wie in Mitteleuropa einen ganzjährigen Betrieb mit Wasser sinnvoll ermöglichen.
Abb. 6 zeigt für die ersten 865 Tagesergebnisse den Gesamtertrag (rot), den Tagesertrag (blau) und den Tagesnutzungsgrad (grün). Zwischen März und September gibt es so gut wie keinen Tag ohne Solarernte und es werden etwa 6/7 des Wärmeertrags gewonnen. Doch auch im finsteren Dezember und Januar gab es bisher jedes Jahr Tage mit für die erforderlichen Netztemperaturen sensationellen Tagesnutzungsgraden von 20 Prozent.
Trotzdem ist Solarthermie offensichtlich eine Energiequelle für lange Tage mit nicht allzu niedrigem Sonnenstand. Jahreszeitlich bedingte niedrigere Außentemperaturen können hingegen die Solarernte von Vakuumkollektoren auch bei hohen Wärmenetztemperaturen kaum reduzieren, im Gegensatz zu Flachkollektoren, Luftkollektoren oder Schwimmbadabsorbern.
Die Tabellen fassen die Ergebnisse der ersten beiden Betriebs-Kalenderjahre zusammen – die erste Tabelle jahresweise und die zweite über beide Jahre.
Für 90 Prozent der erwarteten ins Netz zu speisenden Solarwärme bekamen die Stadtwerke Senftenberg eine pönalisierte Garantie als Grundlage einer seriösen garantierten Wirtschaftlichkeit, denn die Solaranlage entstand als unternehmerische Pionierleistung ohne Forschungsmittel. Da die gemessenen Erträge die erwarteten um 4,2 Prozent im ersten Jahr und 24,1 Prozent im zweiten bzw. um 14,2 Prozent über beide Jahre übertrafen, wurden die garantierten Werte 2017 um 15,8 Prozent, 2018 um 37,9 Prozent und über beide Jahre um 26,9 Prozent übertroffen. Ein Überschuss an Einstrahlung schlägt sich offenbar in einem prozentual viel höheren Überschuss an Gewinn nieder, weil sich die anlagenspezifischen Wärmeverluste, insbesondere die täglichen Anfahrverluste, bei mehr oder weniger Einstrahlung kaum ändern, denn vor allem verlängern sich bei mehr Sonnenschein die Betriebsstunden mit überdurchschnittlichem Nutzungsgrad. Dann wird "überschüssiger" Kollektorertrag weitgehend, das heißt bis auf Wärmeverluste, die nicht den Anfahrverlusten zuzuordnen sind, in Systemertrag überführt. Von dieser Verstärkung profitieren thermische Kollektoren absolut (d.h. in Mehrsystemertrag pro Mehreinstrahlung) umso mehr, je größer ihr Kollektorertrag überhaupt ist. Etwas salopp ausgedrückt werden dabei Klimaschwankungen bzw. "der Klimawandel" vorteilhaft verstärkt. Andererseits fällt in einem unterdurchschnittlichen Jahr der Systemertrag ebenfalls prozentual noch schwächer aus als die Einstrahlung. Da sich in Mittel- und Nordeuropa (mit wechselhaftem Wetter und im Weltmaßstab eher wenigen Sonnenstunden) Minderungen der Jahreseinstrahlung rasch negativ auf die Anfahrverluste auswirken, ist die Verstärkung in diese Richtung jedoch schwächer. Allgemeiner ausgedrückt nimmt der "Klimawandel-Verstärkungseffekt" mit zunehmend strahlungsreicherem Wetter und mit der Effizienz von Kollektoren zu.
Solarthermie zur Fernwärmeunterstützung ist ein zunehmend aktuelles Thema für viele Netzbetreiber, seit KWK-Strom aufgrund der anwachsenden PV-Stromanteile im Sommer immer unrentabler wird. Vor allem aber ist Sonnenwärme im Wärmesektor diejenige Energie, die am deutlichsten und am nachhaltigsten zur CO2-Einsparung beitragen kann. Wenn man nur mit 275 g CO2/kWh rechnet, sparte die Anlage Senftenberg letztes Jahr 1.300 Tonnen CO2. Könnte eine solche CO2-freie Energiequelle am Emissionszertifikate-Handel teilnehmen, dann würde sich die Wirtschaftlichkeit von Solarwärme enorm verbessern. Bei 25 Euro/ Tonne CO2, dem ungefähren Marktpreis Anfang 2019, wäre die Auswirkung einer "CO2-Gutschrift" in Senftenberg in der Lebenszeit der Anlage von 25 Jahren bereits äquivalent zu weit mehr als der Hälfte der aktuellen MAP-Förderung einer solchen Anlage. Wüchse der CO2-Preis nur erst einmal auf 50 Euro/Tonne CO2, dann könnte man die MAP-Förderung solcher Anlagen sofort einstellen und nebenbei wäre der CO2-zertifikatehandelsbasierte Marktanreiz unendlich viel einfacher, transparenter und gerechter als alle Förderungen zuvor. Der wachsende CO2-Preis bewirkt bereits, dass sich EVUs zunehmend nach Solarthermie erkundigen.
Fazit
Die Ergebnisse von Senftenberg beweisen, dass die Technik für den Markt solarthermischer Unterstützungen deutscher Fernwärmeversorgungen mit hohen Vor- und Rücklauftemperaturen zu wettbewerbsfähigen Wärmepreisen reif ist. Wo sich der Klimawandel in mehr Sonnenscheindauer niederschlägt, werden davon Solarthermieanlagen überproportional profitieren. Von allen erneuerbaren Optionen ist die Hochleistungs-Solarthermie eine der naheliegendsten, ausgereiftesten und umweltschonendsten. Dürfte sie als gleichberechtigter Wärmeerzeuger am CO2-Zertifikatehandel teilnehmen, wäre sie sehr bald unabhängig von Subventionen.
Ergänzung
Das Vorbild Senftenberg sowie ähnliche, aber kleinere Solaranlagen für Bioenergie-Solardörfer motivierte bereits einige Nachahmer. Seit der öffentlichen Bekanntmachung des Baus dieser Anlage entstanden einige weitere Projekte mit dieser Technologie, unter anderem in den Städten Jena, Berlin, Dresden und Erfurt und im ländlichen Raum im fränkischen Hallerndorf, in den Gemeinden Neuerkirch und Külz sowie in Ellern im Hunsrück, in Randegg nahe dem Bodensee und im schleswig-holsteinischem Breklum.
Literatur
[1] Detlev Moschke, Rolf Meißner: MW-Solarthermie-Anlage Senftenberg – Ergebnisse des ersten Betriebsjahres (Fachbeitrag)
[2] Rolf Meißner: Thermische Solaranlagen für Wärmenetze (Fachbeitrag: Teil 1, Teil 2, Teil 3)
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