„Klimaschutz wird auch in der nächsten Legislaturperiode eines der ganz großen Themen sein. Um die Ziele von Paris zu erreichen, sind technologieoffene Ansätze besonders Erfolg versprechend. Technologische Vorfestlegungen sind dagegen eher kontraproduktiv, denn sie schränken die Handlungsoptionen der Menschen ein. […] Klimaschutz braucht Vielfalt“, betont Adrian Willig, Geschäftsführer des Instituts für Wärme und Mobilität e.V. (IWO), im Exklusiv-Interview mit dem HeizungsJournal und erklärt unter anderem die Beweggründe für die kommende Neuausrichtung bzw. Neuorganisation des Verbands im Herbst 2021.
Technologieoffenheit ist mehr als eine Floskel
Interview mit Adrian Willig, Geschäftsführer des Instituts für Wärme und Mobilität e.V. (IWO)
Dienstag, 19.10.2021
Herr Willig, unser letztes Interview (https://tga.li/LfO) konnten wir vor gut zwei Jahren führen. Seitdem hat sich, nicht nur gesellschaftlich, sehr viel getan. Das IWO wird organisatorisch neue Wege gehen. Was können Sie dazu schon verraten?
Mit Blick auf das Erreichen der Klimaziele stellt sich die deutsche Mineralölwirtschaft neu auf. Dafür wurde die Gründung eines neuen Verbands, dem en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie e.V., mit Sitz in Berlin, beschlossen. Dieser löst das IWO und den Mineralölwirtschaftsverband (MWV) ab. Der neue Verband unterstützt seine Mitgliedsunternehmen bei der Transformation – weg von heute überwiegend fossilen Erzeugnissen hin zu klimaneutralen Energien. Die Branche will ihren Kunden künftig zunehmend neue Produkte anbieten: von grünem Wasserstoff über moderne Biokraftstoffe und E-Fuels bis hin zu Ökostrom. Ziel ist Klimaneutralität 2045. Mehr dazu werden wir voraussichtlich noch in diesem Herbst mitteilen können, wenn en2x seine Arbeit aufgenommen hat.
Der Heizungsmarkt konnte 2020, im ersten „Corona-Jahr“, bekanntlich um stolze 13 Prozent wachsen (https://tga.li/cDI8): Alle Technologien verzeichneten ein gutes Plus, überproportional zugelegt hat das Spektrum der erneuerbaren Wärme. Lediglich der Bereich Öl-Heizgeräte/-Kessel schrumpfte. Sind das Zeichen eines deutlichen technologischen Wandels im Heizungskeller?
Die Fördermittelpolitik der Bundesregierung hat hier sicherlich Wirkung gezeigt. Hinzu kommt eine gewisse Verunsicherung bei Hauseigentümern, für die eine Modernisierung mit Öl-Brennwerttechnik eine Option ist. Manche Meldungen in den Medien haben ja den Eindruck erweckt, Ölheizungen müssten 2026 abgeschafft werden – was nicht stimmt. Ölheizungen dürfen laut dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) weiter betrieben und auch modernisiert werden. Bis einschließlich 2025 können bestehende Heizkessel wie gewohnt gegen moderne Öl-Brennwertgeräte ausgetauscht werden. Nur für Hausbesitzer in Baden-Württemberg und Hamburg gelten landesspezifische Regeln. Hauseigentümer, die nach 2025 eine neue Ölheizung einbauen wollen, müssen dann in der Regel zusätzlich auf erneuerbare Energien, wie zum Beispiel Solaranlagen, setzen.
Offensichtlich kommt der „schlafende Riese Wärmemarkt“ in Bewegung und die thermische Nutzung der einzelnen Energieträger verschiebt sich deutlich – „getrieben“ durch Fridays for Future, Corona-Lockdowns, CO2-Bepreisung, finanzielle Förderanreize, Klimaschutzgesetz & Co. Oder wie beurteilen Sie diese Situation? Welche Strategien verfolgt das IWO?
Entscheidend ist ganz klar, dass die Klimaziele erreicht werden. Darum ist der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energie absolut zu begrüßen. Gerade im Gebäudesektor sind die Voraussetzungen aber höchst unterschiedlich. Darum ist gerade auch dort wichtig, in Sachen Klimaschutz auf einen möglichst vielfältigen Einsatz von Lösungsoptionen zu setzen. Gerade weil die angestrebte Reduktion des CO2-Ausstoßes eine riesige Herausforderung ist, macht es Sinn, Hauseigentümern möglichst zahlreiche Optionen für das Erreichen der Klimaziele zu ermöglichen – vor allem bei Bestandsimmobilien. Es geht nicht um ein „Entweder-oder“, sondern um ein „Sowohl-als auch“. Das zeigt sich zum Beispiel auch bei Hybridheizungen: Die Einbindung erneuerbarer Energien in Ölheizungen hilft, unabhängig von den ab 2026 geltenden Vorgaben, grundsätzlich, die CO2-Emissionen eines Hauses zu verringern und ist daher eine sinnvolle Maßnahme.
Apropos „Bestand“: Ein Viertel der 42,6 Mio. bestehenden Wohnungen in Deutschland (Quelle: BDEW, Stand 2020) wird mit Heizöl beheizt. Wie werden diese fast elf Millionen Wohnungen „klimaneutral“ bis 2045?
In Deutschland gibt es mehr als fünf Millionen Ölheizungen. Die meisten stehen in Ein- und Zweifamilienhäusern im außerstädtischen Raum. Keineswegs jedes dieser Gebäude lässt sich ohne weiteres sofort auf eine rein erneuerbare Wärmeversorgung umstellen. Dennoch können auch diese Gebäude die Klimaziele erreichen: schrittweise und unter Beibehaltung eines flüssigen Energieträgers. Das hat bereits 2019 eine Studie des ITG Instituts für Technische Gebäudeausrüstung Dresden gezeigt und geht auch aus zahlreichen Modellvorhaben hervor, die das IWO in den vergangenen Jahren initiiert und begleitet hat. Ermöglicht wird das zunächst durch Effizienzmaßnahmen an der Gebäudehülle und durch Heizungsmodernisierungen mit Brennwerttechnik. Ein weiterer Schritt ist die direkte Einbindung erneuerbarer Energien in Form von Hybridheizungen, zum Beispiel durch eine Solaranlage auf dem Dach. So lässt sich der Brennstoffbedarf bereits deutlich reduzieren. Für die Restmengen könnten dann alternative Brennstoffe genutzt werden. Wir haben dieses Thema auch auf der diesjährigen ISH herausgestellt.
Zu Ihrer Verbandsarbeit: Wie gestalten sich die Berührungspunkte zwischen dem Wärmemarkt und dem Mobilitätsbereich heute aus Ihrer Sicht?
Für beide Bereiche gilt, dass wir in den kommenden Jahren eine verstärkte Elektrifizierung erleben werden. Das ist in vielen Fällen auch absolut sinnvoll. Für beide Bereiche gilt jedoch auch: Die Anwendungstechnologie selbst ist nicht die entscheidende Herausforderung, denn die Emissionen kommen aus den Energieträgern – aus dem aktuellen Strommix ebenso wie aus heutigen Kraft- und Brennstoffen. Deshalb müssen diese Energieträger CO2-neutral werden. Erneuerbaren Strom können und sollten wir daher vielseitig einsetzen. Das gleiche gilt für alternative Fuels. Hier sollten die Einsatzbereiche nicht im Vorfeld festgelegt werden. Insofern gibt es Lösungen, die in beiden Sektoren den Klimaschutz voranbringen können.
Wo stehen die „E-Fuels“, „Bio Fuels“, „Green Fuels“ – also die alternativen flüssigen Brenn- und Kraftstoffe – im Wettbewerb der Energieträger bzw. erneuerbaren Energien?
All diese alternativen Fuels sind nicht als Konkurrenz zu einer verstärkten Elektrifizierung zu sehen, sondern als Ergänzung. Stromanwendungen, wie Wärmepumpen oder Batteriefahrzeuge, werden künftig eine zunehmend größere Rolle für den Klimaschutz spielen. Doch sie können nicht sofort und überall zum Einsatz kommen – gerade dort, wo dem technische oder finanzielle Hürden entgegenstehen, ist der Einsatz alternativer Fuels eine Lösungsmöglichkeit im Sinne des Klimaschutzes. Hinzu kommt: Flüssige Energieträger verfügen über eine besonders hohe Energiedichte. Aus diesem Grund lassen sie sich auch ausgezeichnet transportieren und speichern. Dies ist im Hinblick auf das Erreichen der Klimaziele ein wichtiger, derzeit noch oft vernachlässigter Aspekt: Deutschland importiert derzeit rund 70 Prozent seiner Energie. Der notwendige Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen hierzulande wird nicht dazu führen, dass Deutschland energieautark wird. Deswegen wird auch eine zunehmend klimaneutrale Gesellschaft weiter auf Energie-Importe angewiesen sein. Dafür kommen vor allem alternative flüssige Energieträger und grüner Wasserstoff in Betracht.
Wie nehmen Sie die Diskussionen rund um das Meta-Thema „Wasserstoff“ wahr?
Alternative Fuels bieten die Möglichkeit, erneuerbare Energie aus Ländern einzuführen, in denen diese deutlich leichter als hierzulande erzeugt werden kann. Das gilt nicht nur für grünen Wasserstoff, sondern auch für seine Folgeprodukte. So zeigt zum Beispiel der aktuelle „Power-to-X-Atlas“ des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE, welche großen Potentiale sich erschließen lassen, wenn weltweit sonnen- bzw. windreiche Regionen genutzt werden, um alternative Kraft- und Brennstoffe zu erzeugen. Bereits frühere Studien haben gezeigt, dass ein globaler Power-to-X-Markt zu einer internationalen Win-win-Situation führen würde. Alternative Kraftstoffe sind notwendig, um die Klimaziele in der Luftfahrt und im Schiffsverkehr zu erreichen. Doch wie bereits erwähnt: Ihr Einsatz sollte nicht von vornherein auf diese Bereiche beschränkt werden. Denn auch wenn zum Beispiel der Anteil batteriebetriebener Autos immer weiter steigt, wird es im Jahr 2030 voraussichtlich allein hierzulande noch einen Bestand von 35 Millionen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor geben. Daher werden auch alternative Kraftstoffe einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten müssen. Zugleich würde der Einsatz im Straßenverkehr schneller Skalierungseffekte herbeiführen, die die Kosten für alle Einsatzbereiche schneller senken. Davon würde auch der Wärmemarkt profitieren.
Der Einsatz von grünem Wasserstoff im Wärmemarkt, konkret für die Gebäudewärme, wird vielfach als „zu teuer“ kategorisiert. Wie sehen Sie das; auch in Bezug auf „E-Fuels“?
Es stimmt, dass die Kosten derzeit noch hoch sind. Doch Erfahrungen mit anderen erneuerbaren Energien zeigen, dass das nicht so bleiben muss. Gerade deshalb ist es wichtig, jetzt geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, um einen Markthochlauf und Skalierungseffekte zu forcieren, die dann wiederum zu Preissenkungen führen. Das gilt für alternative Fuels aus inländischer Herstellung wie auch für Importe. Und das gilt auch nicht nur für E-Fuels, sondern auch für fortschrittliche BioFuels, die nicht in Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau stehen. Hinsichtlich solcher Rahmenbedingungen plädieren wir mit Blick auf den Straßenverkehr unter anderem für eine reformierte Energiesteuer, die erneuerbare Kraftstoffe nicht oder nur deutlich geringer gegenüber fossilen Kraftstoffen besteuert, zum Beispiel indem die fossilen CO2-Emissionen von Kraftstoffen zur Bemessungsgrundlage gemacht werden. Auch die EU-Flottenregulierung für Pkw und Nutzfahrzeuge sollte eine Anrechenbarkeit von PtL-Kraftstoffen ermöglichen (Anm. d. Red.: PtL = Power-to-Liquid).
Zur „Sektorenkopplung“: Sie haben kürzlich gemeinsam mit Partnern die Ergebnisse der Wind-und-Wärme-Modellregion im Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog vorgestellt. Worum ging es da und wie fielen die Ergebnisse aus?
Der Ausbau der Windkraft ist eine wichtige Säule der Energiewende. Doch Wind weht mit schwankender Stärke. Wird besonders viel Strom produziert, können die überregionalen Übertragungsnetze diesen nicht immer aufnehmen. Die Folge sind Abregelungen der Windenergieanlagen. Es muss auf die an sich mögliche Produktion von erneuerbarem Strom verzichtet werden. Dieser nicht erzeugte Strom wird auch als „EinsMan“-Strom bezeichnet. „EinsMan“ steht als Abkürzung für Einspeisemanagement. Zuschaltbare Lasten vor einem Netzengpass wie die elektrischen Wärmeerzeuger in Hybridheizsystemen können helfen, diese Herausforderung zu meistern. Das haben wir gemeinsam mit unseren Partnern, der Erneuerbaren-Unternehmensgruppe ARGE Netz, dem Bürger-Windpark Lübke-Koog Infrastruktur und der Gemeinde Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog, im Rahmen der Modellregion gezeigt. Dafür wurden in 13 Gebäuden effiziente Öl-Hybridheizungen mit einem virtuellen Kraftwerk verbunden. Durch die Kombination aller im Projektverlauf durchgeführten Maßnahmen, wozu auch die Beimischung treibhausgasreduzierter flüssiger Energieträger aus Reststoffen zum klassischen Heizöl zählte, konnten die kumulierten CO2-Emissionen der 13 Gebäude insgesamt um 34 Prozent reduziert werden. Einzelne Gebäude erreichten sogar Einsparungen von bis zu 49 Prozent. Im Jahr 2020 konnten durchschnittlich zehn Prozent des Wärmebedarfs mit „EinsMan“-Strom gedeckt werden.
Ende des vergangenen Jahres stellten Sie dem Fachpublikum das Vorhaben „future:fuels @work“ vor. Welche Resonanz hat das Thema entfaltet? Gibt es schon erste Impulse aus der Praxis?
Wir haben die Pilotinitiative „future:fuels@work“ ins Leben gerufen, um im praktischen Einsatz zu zeigen, dass eine klimaschonende Wärmeversorgung mit flüssigen Energieträgern möglich ist. Dabei suchen wir nach Haushalten, die eine Modernisierung mit Öl-Brennwerttechnik planen und im Anschluss an diese einen innovativen treibhausgasreduzierten Brennstoff nutzen möchten. Die nahezu klimaneutrale Komponente des Brennstoffs wird aus biobasierten Reststoffen, wie Altfetten oder Pflanzen- und Holzabfällen, gewonnen. Darüber hinaus ist auch eine testweise Beimischung von E-Fuels geplant. Zuspruch und Interesse in der Branche sind groß. Wir haben zahlreiche Bewerbungen erhalten und die ersten Modernisierungen und Betankungen im Rahmen der Pilotinitiative „future:fuels@work“ sind bereits erfolgt. Insgesamt wurden bei Praxistests, die das IWO begleitet hat – also auch jenen, die „future:fuels@work“ vorangegangen sind –, von 2017 bis Juli 2021 bereits 133.000 Liter treibhausgasreduziertes Heizöl an fast 40 Ein- und Zweifamilienhäuser ausgeliefert und dabei unterschiedliche Mischungsverhältnisse geprüft. Der Betrieb erwies sich dabei als ebenso zuverlässig wie mit klassischem Heizöl.
Zu guter Letzt: In ein paar Tagen ist Bundestagswahl. Welche Erwartungen bzw. welche Hoffnungen setzen Sie in die neue Bundesregierung?
Der Klimaschutz wird auch in der nächsten Legislaturperiode eines der ganz großen Themen sein. Um die Ziele von Paris zu erreichen, sind technologieoffene Ansätze besonders Erfolg versprechend. Technologische Vorfestlegungen sind dagegen eher kontraproduktiv, denn sie schränken die Handlungsoptionen der Menschen ein. Maßstab sollte die Minderung von CO2-Emissionen sein. Diesbezüglich wäre es eine Erwartung an die neue Bundesregierung, dass sie die Beimischungen erneuerbarer flüssiger Brennstoffe ausdrücklich anerkennt – gleichberechtigt zu anderen Klimaschutzoptionen. Insgesamt sollte eine neue Bundesregierung geeignete Rahmenbedingungen setzen, die den Markthochlauf alternativer Kraft- und Brennstoffe unterstützen – ohne Vorfestlegung der Einsatzbereiche. Klimaschutz braucht Vielfalt!
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