Erneuerbare Energien

Wirtschaftliche Gründe hemmen Wasserstoff

Dienstag, 26.05.2020

Nachgefragt bei Matthias von Bechtolsheim, Director bei der Strategie- und Innovationsberatung Arthur D. Little.

Wasserstoff erfährt derzeit eine Wiederbelebung. Er wird als Energieträger der Zukunft gefeiert, als ein unverzichtbarer Baustein für das Gelingen der Energiewende. Doch der Erfolg des Energieträgers Wasserstoff hängt sehr von der Wirtschaftlichkeit, der Wettbewerbssituation und der Art der Anwendung ab, ob im Wärmemarkt, dem Strommarkt oder im Verkehr. Oft stehen dem breiten Einsatz wirtschaftliche Gründe entgegen, erläutert Matthias von Bechtolsheim, Director bei der Strategie- und Innovationsberatung Arthur D. Little, im Interview mit dem HeizungsJournal. Wichtig sei eine gesamtheitliche Betrachtung.

Porträt von Matthias von Bechtolsheim.
Quelle: Arthur D. Little
Matthias von Bechtolsheim, Director bei der Strategie- und Innovationsberatung Arthur D. Little.

Herr von Bechtolsheim, wenn sich in wenigen Tagen auf der Messe SHK in Essen die Heiztechnikbranche trifft, wird Wasserstoff ein neues Gesprächsthema sein. Grüner Wasserstoff, das heißt, aus erneuerbarer Energie ohne Anfall von Kohlendioxid erzeugter Wasserstoff, soll entscheidend zum Gelingen der Energiewende beitragen. Wie schätzen Sie das Potential dieses eigentlich altbekannten Energieträgers ein?

Wasserstoff sowie die daraus erzeugten e-Fuels können in vielen Bereichen fossile Energieträger, Kraftstoffe und chemische Grundstoffe ersetzen. Die Bereiche Industrie, Mobilität und Gebäude können davon profitieren – insbesondere aus regulatorischer und ökologischer Sicht. Allerdings stehen dem breiten Einsatz oft wirtschaftliche Gründe entgegen. Die Gewinnung von Wasserstoff durch Elektrolyse benötigt Elektrizität, ebenso wie die Herstellung von e-Fuels, bei der mit viel Energieeinsatz Kohlendioxid aus der Atmosphäre extrahiert werden muss und dann durch Synthese der Kraftstoff oder Grundstoff hergestellt wird. Um Kohlendioxid einzusparen, gibt es oft wirtschaftlichere Ansätze: Zunächst sollte die Effizienz bestehender Anwendungen verbessert werden, dann sollte die Elektrifizierung in Betracht gezogen werden, und dann der Einsatz von Wasserstoff oder e-Fuels. Die Stärken des Wasserstoffs liegen in seiner guten Speicherbarkeit, der universellen Weiterverarbeitung in Folgeprodukte und der einfachen Rückverstromung.

Wieweit wird hierzulande der Bedarf an grünem Wasserstoff technisch und wirtschaftlich abdeckbar sein?

Der Bedarf an grünem Wasserstoff sowie e-Fuels richtet sich vor allem nach den Kosten im Vergleich zu anderen Möglichkeiten der Dekarbonisierung. Daher wird er vorrangig in der Industrie (Stahlerzeugung, Chemie) und im Verkehr (Flugzeuge, Schwerlast-LKW) benötigt, wohingegen der Sektor Gebäude einen geringen Anteil haben dürfte. Langfristig lässt sich der Bedarf an Wasserstoff und e-Fuels in Deutschland, aber auch in Kontinentaleuropa, nur begrenzt abdecken. Der zur Herstellung erforderliche Strom ist im Vergleich zu anderen Kontinenten teurer und zudem noch mengenmäßig beschränkt. Wind- und Sonnenstunden sind kürzer, was den Strom teuer macht. Auch fehlt es an der Akzeptanz für einen massiven Windausbau an Land. Die Kapazitäten an Offshore-Wind in Deutschland sind ebenso beschränkt. Die Wasserstoffproduktion konkurriert zudem mit dem stark ansteigenden Strombedarf durch Wärmepumpen und Elektromobilität. Daher werden Importe von Wasserstoff und e-Fuels langfristig eine Schlüsselrolle in der deutschen Energieversorgung spielen.

Die Graphik zeigt Wasserstoff im Periodensystem.
Quelle: Armtuk, lizensiert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported / https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Oft stehen dem breiten Einsatz von Wasserstoff wirtschaftliche Gründe entgegen, erläutert Matthias von Bechtolsheim.

Wird der Rolle von Wasserstoff als Energiespeicher von sehr teurem überschüssigem Ökostrom genügend Beachtung geschenkt?

Der Bedarf an Flexibilität zum Abfangen von Erzeugungsspitzen wird in Zukunft zunehmen, auch wenn die Netzengpässe beseitigt werden. Zudem muss gesicherte Leistung an Strom für Dunkelflauten vor allem im Winter bereitstehen. Wasserstoff ist nur eine Möglichkeit für Flexibilität und gesicherte Leistung. Er steht allerdings im Wettbewerb mit anderen Flexibilitäten wie Batterien, Wärmepumpen und auch Gaskraftwerken – letztere wird es als Back-up noch lange geben. Wasserstoff per se ist noch kein Speicher, er braucht vielmehr Speicher. Als Langzeitlösung werden vor allem die vorhandenen Gaskavernen in Frage kommen, die synthetisches Erdgas aber auch Wasserstoff speichern können. In diversen Pilotprojekten in Deutschland werden diese erprobt.

Der Energieträger Wasserstoff ist vielseitig einsetzbar. In welchen Sektoren, Wärmemarkt, Strommarkt oder Mobilität, sehen Sie die größten Chancen?

Man muss die Vorteile, aber auch die Besonderheiten des Wasserstoffs gesamtheitlich betrachten, um die kostengünstigste und wirksamste Kohlendioxid-Vermeidung zu erreichen. Die Erzeugung von Wasserstoff beruht auf der Elektrolyse, bei der Wasser mittels Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Dabei entsteht auch Wärme, die zu einem Wirkungsgradverlust führt. Zudem fallen Investitionen und Betriebskosten an, die auf die Kosten des Stroms aufgeschlagen werden. Bevor man also Wasserstoff betrachtet, sollten Möglichkeiten der Dekarbonisierung durch Strom geprüft werden, zum Beispiel Wärmeerzeugung. In vielen Fällen ist die Wärmepumpe die wirtschaftlichere Lösung, um die Heizung Kohlendioxid-neutral zu machen. Oftmals noch in Kombination mit Wärmedämmung und gegebenenfalls Solarthermie. Seine Stärke dürfte Wasserstoff in der Wärmeversorgung von Alt-bauten ausspielen, bei denen eine umfassende Wärmedämmung nicht möglich bzw. erwünscht ist. Auch in Fällen einer autarken Wärmeversorgung, zum Beispiel auf dem Land oder auf Inseln, kommen integrierte technische Lösungen aus Photovoltaik, Elektrolyseur, Wasserstoffspeicher und Brennstoffzelle ins Spiel. Ob Wasserstoff eine sinnvolle Lösung für die Wärmeversorgung ist, muss für jeden Einzelfall gesamthaft betrachtet werden.

Im Strommarkt kann der Wasserstoff von seiner Rolle als Flexibilität im Spotmarkt und im Regelenergiemarkt profitieren. Elektrolyseure und Großspeicher können in Zeiten niedriger oder sogar negativer Strompreise sehr günstig Wasserstoff produzieren und speichern bzw. mit der Regelleistung Zusatzeinnahmen erzielen. Derartige Projekte existieren schon. Gleiches gilt natürlich auch für weitere Power-to-X-Technologien wie Kohlendioxid-Extraktion oder e-Fuel-Synthese. Auch die Rückverstromung über Brennstoffzellen (z.B. bei einem Notstromaggregat) kann bei sehr hohen Preisen im Spotmarkt interessant sein. Weniger geeignet, vor allem wegen der vergleichsweisen hohen Kosten, ist die Rückverstromung von Wasserstoff zu Grundlastpreisen im Stromgroßhandelsmarkt.

In der Mobilität hat Wasserstoff gegenüber Batterien Vorteile bezüglich der Reichweite und bei der Betankungs- bzw. Ladedauer. Angesichts der bei Batterien erwarteten Reichweitenverbesserungen und dem Kostenverfall durch die Massenproduktion von Batterien sehen wir die Chancen des Wasserstoffs insbesondere bei Schwerlastwagen, Schleppern und ähnlichen Anwendungen. Bei Lang- und Mittelstreckenflugzeugen sowie Hochseeschiffen haben e-Fuels unschlagbare Vorteile bei der Reichweite und Speicherbarkeit.

Sollte der aus überschüssigem Ökostrom per Power-to-X erzeugte Wasserstoff idealerweise nicht direkt verwendet werden, sprich ohne Umwandlung beispielsweise zu Methan – beispielsweise durch puren Einsatz in Brennstoffzellen sowohl im Verkehrssektor als auch zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) im Wärmemarkt und in der Industrie oder durch direkte Beimischung ins Erdgasnetz, wo es die Klimabilanz des Erdgases für Anwendungen im Heizungsmarkt verbessern kann?

Die Umwandlung von Wasserstoff in e-Fuels (z.B. Methan, Methanol, Benzin, Diesel usw.) ist mit einem zusätzlichen Energieeinsatz verbunden. Für die Erzeugung von e-Fuels wird neben dem Wasserstoff auch Kohlendioxid sowie Energie für den Umwandlungsprozess benötigt. Sofern nicht "graues" Kohlendioxid aus fossilen Verbrennungsprozessen eingesetzt wird, muss Kohlendioxid aus der Umgebungsluft extrahiert werden. In der Tat geht dabei viel Energie "verloren", der Gesamtwirkungsgrad der e-Fuels ist, bezogen auf den grünen Strom, gering. Daher spricht viel für ein hybrides Wasserstoffmodell: e-Fuels dort, wo kein Wasserstoff verwendet werden kann (Flugzeuge, "Feedstock" für die Chemieproduktion), für andere Zwecke reicht Wasserstoff pur oder als Beimischung zum Erd-gas.

Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf für einen raschen Erfolg von grünem Wasserstoff – bei der technologi-schen Anwendung, bei der Akzeptanz der Verbraucher oder bei den politischen Rahmenbedingungen?

Die Herstellung von Wasserstoff wie auch seine direkte Anwendung sind heute ausgereift. Es fehlt noch an der industriellen Skalierung, also an hohen Stückzahlen, um die Kosten zu senken. Was dem breiten Wasserstoffeinsatz – dort wo er sinnvoll ist – im Wege steht, sind insbesondere die hohen Erzeugungskosten: Erneuerbarer Strom, Netzentgelte, EEG-Umlage usw. machen ihn teuer. Die Verbraucherakzeptanz kann heute kaum erprobt werden, weil es sich um Luxusprodukte handelt, für den Normalverbraucher sind sie zu teuer. Unternehmen als Anwender müssen noch genauer auf die Kosten achten. Ob Auto- bzw. Lastwagenkäufer oder Hauseigentümer mit Heizungsanlage, ob Hersteller oder Handwerker: Alle brauchen Planungssicherheit. Die Politik muss die Rahmenbedingungen für technologieoffene Innovationen schaffen. Als erster Schritt wäre eine klare Perspektive für den Kohlendioxid-Preis 2030 notwendig. Der muss so hoch liegen, dass sich eine Kohlendioxid-Vermeidung mit Wasserstoff lohnt. Dann sind Anreize für eine Versorgungsinfrastruktur – Elektrolyseure, Tankstellen, Speicher – zu schaffen.

Von Robert Donnerbauer
Redaktion, Heizungs-Journal Verlags-GmbH
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