Sie, die Erneuerbaren, Herr Priggen, sind doch auch eine Lobby, aber ohne Stimme?
Doch, wir haben eine Stimme, nur müssen wir verschiedene Ansätze zu einer einzigen Stimme vereinen. Wir sind dabei. Darum bemüht sich der Landesverband Erneuerbare Energien NRW e.V. (LEE NRW), die Sparten Sonne, Wind, Wasser, Biomasse zusammenzuführen. Jedes Thema hat seinen eigenen Verband oder mehrere Verbände, die ihre Interessen in Berlin vertreten. Die Erneuerbaren stellen insgesamt mittlerweile mehr Arbeitsplätze als die alte Energiewirtschaft, das muss man jetzt zu einer Stimme bündeln, die sich laut meldet.
Die Kraftwerksvertreter sind die einen auf der anderen Seite, dazu kommen die Immobilienwirtschaft und die Hauseigentümerverbände, mit denen sich die Erneuerbaren auseinandersetzen müssen. Die Bundesregierung hatte ja in der vergangenen zweiten Jahreshälfte zum Wohnraumgipfel eingeladen, da kam auch der Wärmemarkt zur Sprache, direkt und indirekt. Der Ergebnisbericht liegt vor: Es wird ausschließlich auf Freiwilligkeit gesetzt und, Zitat, "die aktuellen energetischen Anforderungen werden dabei für Bestand und Neubau fortgelten". Heißt, es wird nichts im Hinblick auf Klimaschutz und Energiewende verschärft. Es steht hier weiter, die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit sollen natürlich gelten und die Beibehaltung der Technologieoffenheit: Öl, Erdgas, Erneuerbare. Damit tut sich also gar nichts im Bestand und im Neubau tut sich nur das Notdürftigste, das EnEV-Konforme.
Keine Ambitionen
Ja, genau das. Sie haben es richtig zusammengefasst. Die Bundesregierung hat im Gebäudebestand und auch im Neubaubereich keine Ambitionen. Das ist schade, weil wir technisch viel weiter wären. Im Wohnbereich und vor allem im Einfamilienhaus-Bereich ist eine elektrische Wärmepumpe, am besten mit erneuerbarem Strom angetrieben, doch heute Stand der Technik. Das Mindeste wäre ein Verbot von Ölheizungen im Neubau. Das macht Dänemark, das macht Holland.
Bei uns fehlt der Politik jeglicher Mut – das war ja schon gerade unser Thema –, irgendeiner Lobby mal zu sagen, so, das ist nach einer Übergangsfrist das Ende für euer Geschäft. Das würde die Wärmepumpen vorantreiben. Und in Ballungsräumen, so wie die Düsseldorfer das exerzieren, kommen modernste KWK-Gasanlagen mit großem Wärmespeicher und industrieller Abwärmeeinspeisung für das Fernwärmenetz zum Einsatz. Die Abwärmeeinspeisung drückt den Primärenergiefaktor nach unten. Die großen Immobiliengesellschaften fragen danach.
Insofern ist die Wärmepumpe das eine, aber nicht das Einzige, für die Fläche. Das andere sind große Nah- und Fernwärmenetze nach dem Düsseldorfer Muster – inklusive Abwärmeeinspeisung aus der Industrie und aus der Strom erzeugenden Müllverbrennung – in unseren Ballungszentren.
Sie sagten "nicht das Einzige in der Fläche". Sie sitzen ja im Vorstand des Landesverbands Erneuerbare Energien. Um Pellets ist es still geworden. Wir verbinden mit den Erneuerbaren immer nur Wind, PV, Biogas und Wasserkraft.
Auch großes Pelletpotential
Das scheint nur so. Weil im Moment die ganze Diskussion auf den Strombereich fokussiert ist. Aber wir haben das Potential, 30 Prozent der Heizungen in Deutschland mit Pellets zu betreiben. Ich selbst habe eine Anlage im Keller stehen, die läuft jetzt zwölf Jahre und sie läuft gut. Der Pelletpreis ist niedrig geblieben. Ich würde mit dem Kessel auch gerne Strom generieren, was aber angeboten wird, hat vielleicht 1,5 kW elektrisch. Das ist für dieses große Haus mit einem 20-kW-Kessel zu wenig.
Wie sehr bedrückt es Sie, Herr Priggen, dass wir in Bezug auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz erst da stehen, wo wir stehen und noch nicht weitergekommen sind, trotz unserer technischen Möglichkeiten?
Jammern nützt nichts. Ich bin jetzt seit 34 Jahren aktiver Grüner und ich weiß, wie dick die Bretter sind, die wir bohren. Ich bin Grüner geworden im Widerstand zur Atomkraft. Ich werde jetzt in den nächsten zwei, drei Jahren erleben, wie die Bundesrepublik Deutschland die Atomkraft beendet. Ich bin als Kläger vor dem Verfassungsgericht in Münster gewesen wegen der Steinkohlefinanzierung in NRW, und dieses Jahr 2018 beenden wir die Steinkohleförderung in Deutschland, auch das war ein Ziel. Und jetzt diskutieren wir über ein Auslaufen der Kohleverstromung.
Das dauert alles zu lange. Wir könnten viel mehr positive Sachen in Gang bringen. Aber das nützt nun mal nichts. Wir sind zum Glück eine Demokratie, da gibt es einen politischen Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen, da muss man ringen, und trotzdem sage ich, es lohnt sich, wir kommen Meter um Meter voran.
Meter um Meter
Die Entwicklung der Photovoltaik hatte hier in Aachen politisch ihren Anfang genommen, als der Rat der Stadt eine kostendeckende Vergütung durch unsere Stadtwerke in Höhe von 2 DM pro 1 kWh trotz massiver Widerstände beschloss. So ist das kostendeckende Vergütungsmodell entstanden, das später ins EEG einging. Seitdem haben wir in der Photovoltaik eine Preisreduktion um 95 Prozent. Diese Reduktion ist die größte Entwicklungshilfe, die Deutschland jemals für die Welt geleistet hat. Sie können jetzt in allen Ländern ohne öffentliche Stromversorgung in Asien, in Afrika auf ganz niedrigem Preisniveau den Leuten Strom bringen.
Aber mit chinesischen Kollektoren.
Mit chinesischen Solarzellen, weil die die Fertigung in sehr viel größerem Stil angepackt haben. Aber für das Technologieland Deutschland gibt es auch in der Photovoltaik noch genug zu tun. Das müssen wir anpacken. Das Ganze steuern, das Ganze regeln. Wie schaffe ich es mit der Sonne und den Speichern, dass ich den Strom auch transferieren kann in die Zeiten, wo die Sonne weniger bringt?
Dann die Themen Hochtemperaturspeicher, kristalline Speicher, Batteriespeicher, Power to Gas, Lastmanagement, virtuelle Kraftwerke – wir haben so viel zu tun, wir können noch sehr viel Technik verkaufen. Das Faszinierende ist jetzt die Verknüpfung Erneuerbare Energien und digitale Technik, die eröffnet uns neue Möglichkeiten. Es war nie spannender, sich mit diesen Techniken zu beschäftigen.
Mittelstand zu bescheiden
Dazu muss aber auch die Substruktur in den fördernden Institutionen personell stark genug aufgestellt sein. Konkret in den Ministerien. Das hört man ja immer wieder hinter vorgehaltener Hand, dass es leichter ist, 1 Mio. Euro aus einem ministeriellen Topf zu bekommen als 100.000 Euro. Da hat nun mal im Ministerium ein Ein-Mann-Referat soundso viel Millionen Euro in der Verantwortung. Die kann es nicht auf 200 Forschungsvorhaben à 100.000 Euro aufteilen, wie der Mittelstand im Energiebereich bescheiden beantragt. Prozesstechnisch geht das gar nicht. Also kriegen die Großen ihre ein oder zwei Millionen und der Mittelstand geht leer aus. Die Idee bleibt in der Schublade. "Growian" ist doch ein typisches Beispiel für eine falsche Förder- oder Vergabepolitik.
Sie haben recht, der "Growian" war dieser typische falsche, auf Großunternehmen statt auf den Mittelstand konzentrierte Ansatz: Man wollte etwas Neues entwickeln. Das meine ich jetzt ganz positiv unterstellt. Man nimmt also ein bekanntes Industrieunternehmen, MAN, und die gehen mit Ingenieuren groß an die Aufgabe Windenergie und Technologieerprobung heran. Zu groß in Bezug auf das junge Know-how in Windenergie in den 80er-Jahren. Der "Growian" hatte eine Nabenhöhe von 100 Meter und eine Leistung von 3 MW. Er war die größte Windkraftanlage der Welt, stand aber mehr still als er lief und wurde nach ein paar hundert Stunden verschrottet. Die Herangehensweise war falsch…
Aus der Sicht von RWE, HEW, VEW, und wie die etablierten Kern- und Kohlekraftwerksbetreiber alle hießen und heißen, völlig richtig, weil sie sich ja gegen die Windenergie stemmten und hofften, dass es daneben geht. Was es denn auch tat, mit Windstille in der Windenergie als Folge.
Lücke aus der Migration schließen
Ja, aber die Idee ließ sich nicht aufhalten. Der richtige Weg ist der kreative Weg, von unten nach oben. Aloys Wobben, der Gründer von Enercon in Aurich in Ostfriesland, fing mit einer 55-kW-Anlage in den 80er-Jahren an. Jetzt hat Enercon über 13.000 Mitarbeiter und macht um die 6 Mrd. Euro jährlichen Umsatz. Von unten kommend. Nicht groß anfangen und abstürzen.
Deswegen bin ich dafür, für solche Prozesse Modelle anzubieten, wo wir sagen, wir bezuschussen, wir zahlen eine Anfinanzierung und dann lassen wir es in einem kreativen Wettbewerb laufen, damit die Kreativität der Ingenieure und Kaufleute in diesem Wettbewerb zum Tragen kommt. Geben wir dagegen zum Beispiel RWE 1 Mrd. Euro für die Entwicklung einer nachhaltigen Stromerzeugung der Zukunft oder VW für das Auto der Zukunft, können wir lange warten.
In der Gebäudetechnik haben wir einen riesigen Fachkräftemangel, der ja auch den Aufstieg der Erneuerbaren Energien insofern entschleunigt, weil, zurückhaltend gesagt, die zahlreichen Modernisierungsanfragen und -aufträge mit der Brennwerttechnik rascher und stressfreier befriedigt werden können als mit den ökologischeren Varianten wie Pellets, KWK, Wärmepumpe, Einbindung von PV und Solarthermie. Wir sprachen ja schon darüber, dass der Beruf hochinteressant ist, uns aber Fachkräfte und Nachwuchs fehlen. Gerade in Ihrer Partei, die die grüne Energie will, müsste man sich doch auch dazu Gedanken machen.
Es fehlt ja nicht an Menschen in der Bundesrepublik. Wir haben genügend Leute und einen hohen Zustrom aus der Migration. Was wir brauchen, ist eine kontrollierte und organisierte Einwanderung, so wie andere Länder sie auch haben – ich muss Einwanderung definieren. Dann kann ich Einwanderer auch ausbilden. Das, was wir uns da in den letzten zehn Jahren erlaubt haben, arbeitswillige Leute praktisch zu kasernieren, nicht auszubilden, nicht arbeiten zu lassen und deren Traum zu zerstören, hier an der Gesellschaft teilzunehmen und Geld zu verdienen, ist doch ein Irrsinn. Viele von ihnen suchen eine Perspektive und eine Qualifikation.
Jetzt entdecken wir, dass wir hier ein wertvolles Potential verschenken, zieren uns aber immer noch, uns mit einem Einwanderungsgesetz, das genauso heißt und damit eine Perspektive anbietet, so attraktiv zu machen, dass ein Großteil des Mangels in den verschiedenen Berufen im Handwerk, in der Pflege gedeckt werden könnte. Die Regierung will ein Fachkräftezuwanderungs-Ermöglichungsgesetz oder Ähnliches verabschieden. Das öffnet die Tür nur halb. Wir sind da völlig verdruckst, gehemmt, obwohl wir wissen, dass wir diese Leute brauchen.
Brachliegendes Geld
Das nützt uns aber jetzt in der momentanen Situation nichts.
Aber wir müssen endlich anfangen, sonst nutzen wir die Potentiale der Einwanderer nicht.
Zur Finanzierung der Beschleunigung der Energiewende hat die Bundesregierung ein Sondervermögen in einen Energie- und Klimafonds EKF eingebracht. Den verwaltet in erster Linie das Bundeswirtschaftsministerium. Mit Blick auf 2019 sagt das Ministerium in seiner Haushaltsplanskizze: "Der EKF ist für das BMWi weiterhin das zentrale Finanzierungsinstrument für die Energiewende. Der Wirtschaftsplan des EKF sieht für 2019 Programmausgaben in Höhe von etwa 4,6 Milliarden Euro vor. Wesentlicher Posten ist hierbei weiterhin die energetische Gebäudesanierung, für die etwa 2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Neue Akzente werden im Bereich Energiespeicher und Wärmenetzsysteme gesetzt." Wenn man solche Summen hört, unterstellt man der Regierung eine ernsthafte Absicht zur Klimawende. Nur scheinen diese Gelder viel zu wenig bekannt oder aber zu kompliziert zu beantragen zu sein. Denn offensichtlich liegt ja ein großer Teilbetrag brach. So erklärte kürzlich Ihre stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anja Hajduk: "Dass die Bundesregierung das zweite Jahr in Folge Mittel, die für Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare Wärme verfügbar wären, einfach versanden lässt, zeugt von einer erschreckenden Gleichgültigkeit gegenüber der Klimakrise und der eigenen Haushaltsplanung. Obwohl die Programme nur bis 2020 laufen, sind nach zwei Jahren knapp zwei Milliarden Euro einfach liegen geblieben. Alleine 2017 wurden 40 Prozent der jährlich zur Verfügung stehenden Mittel nicht investiert. Diese nicht genutzten Gelder fließen durch das komplizierte Konstrukt des Energie- und Klimafonds in die Rücklage eines Sondervermögens. Die Krux daran ist, dass diese Mittel in den Folgejahren wahrscheinlich nicht mehr für Energieeffizienz verwendet werden. Wir fordern, dass jeder Euro, der vom Haushaltsausschuss für Energieeffizienz und Erneuerbare Wärme für den EKF vorgesehen ist, auch in diesem Bereich ausgegeben wird und seine Wirkung entfaltet." Was ist aus der Forderung geworden und warum bleibt das Geld im Topf?
NRW als Donald Trump
Das Geld soll ja nicht abfließen. Das sind teilweise in Programmen versteckte Rücklagen. Der Bundesrechnungshof hat diese Praxis schon gerügt. Tatsächlich befürchten die Bundesregierung und die Landesregierungen, dass Innovationen im Wohnungsbau das Bauen verteuern. Das sorgt sie. Die neue Landesregierung in NRW hat als Erstes gesagt, wir wollen die jetzt gültige EnEV aussetzen, weil durch sie Bauen zu teuer ist, so steht es im Koalitionsvertrag zwischen den beiden regierenden Parteien FDP und CDU.
Die "Welt" schrieb daraufhin "NRW unterbietet beim Klimaschutz sogar Donald Trump". Dafür braucht NRW allerdings die Zustimmung des Bundes, weil solche Verordnungen das Bundesbaugesetzbuch regelt und der Bund ist wiederum an den Brüsseler Beschlüssen gebunden. Daraus wird also nichts. Aber eine Regierung, die sagt, wir wollen die EnEV aussetzen, ist doch nicht nach vorne unterwegs.
Wird die Bundesregierung die Kohlekommission mit weiteren Aufgaben mit dem Ziel der CO2-Reduktion beziehungsweise der Energiewende beauftragen?
Nach den bisherigen mir bekannten Planungen ist die Arbeit der Kommission mit Abgabe des Abschlussberichtes abgeschlossen.