Mit der Entwicklung und massiven staatlichen Förderung der Wärmetechnik hin zu einem wachsenden Anteil an regenerativen Energien steigen für Planer und Fachhandwerk die Herausforderungen bei der Ausstattung von Geschosswohnbauten. Denn in der Regel müssen hier punktuell hohe Lasten für Wärme und Warmwasser möglichst wirtschaftlich abgefangen werden. In Kremmen, nördlich von Berlin gelegen, wurde die Aufgabenstellung vom Fachhandwerksunternehmen Guse Heizung-Lüftung-Sanitär (Nauen) mit einer Hybridanlage, bestehend aus Luft/Wasser-Wärmepumpe plus Gas-Brennwertgerät, gelöst.
Ein bemerkenswerter „Platte“-Neubau
Wohnungsbaugesellschaft Kremmen investiert in Wärmepumpentechnik
Dienstag, 09.11.2021
Die Ausgangssituation war nicht nur technologisch, sondern auch aus Sicht der Stadtentwicklung interessant. Denn Wohnraum ist zwar (noch) nicht knapp in der erweiterten Peripherie der Bundeshauptstadt, aber Handlungsbedarf besteht perspektivisch dennoch. Die Wohnungsbaugesellschaft (WOBA) Kremmen hat deswegen ein bestehendes Quartier mit drei typischen „Plattenbauten“ an der Ruppiner Chaussee um einen Neubau mit zwölf Wohneinheiten erweitert. Der zitiert einerseits zwar die architektonischen Stilmittel seiner traditionsreichen Nachbarn, bietet gleichzeitig aber die aktuellen Wohnstandards und wird, ebenso zeitgemäß, zu einem erheblichen Teil regenerativ mit Wärme versorgt. Für Dipl.-Ing. Eckhard Kuhn, Geschäftsführer der WOBA Kremmen, hat das etwas mit ökologischer Verantwortung zu tun, genauso aber mit der entsprechenden Grundhaltung seiner Mieter: „Es ist für uns einfach selbstverständlich, dass wir bei Neubaumaßnahmen einen Beitrag zum sparsamen Umgang mit den Ressourcen leisten, also möglichst weitgehend auf regenerative Energien setzen. Und das erwarten mittlerweile ebenso unsere Kunden.“
Die technische Umsetzung dieses Anspruchs war allerdings insofern speziell, als der Neubau mit insgesamt 740 m2 Wohnfläche „nur“ nach EnEV-Standard in Massivbauweise (Kalksandstein) auf Betonbodenplatte mit Perimeterdämmung errichtet wurde. Die typische Ausgangsgleichung, über eine möglichst niedrige Heizlast das Potential regenerativer Wärmeerzeuger zu nutzen, war dadurch zumindest auf den ersten Blick obsolet. Für Handwerksmeister Matthias Guse, der mit seinem Team die Anlagentechnik im Neubau der WOBA Kremmen realisierte, aber tatsächlich nur auf den ersten Blick. Denn „in der Wärmeversorgung von Geschossbauten werden wir diesen Zielkonflikt künftig immer haben. Schließlich müssen und wollen wir zwar einerseits regenerative Energien nutzen. Andererseits fordert aber beispielsweise die Trinkwasserhygiene Systemtemperaturen von mindestens 60 °C. Das ist für die gängigen Wärmepumpen, deren Leistung für den Heizwärmebedarf völlig ausreicht, in der Regel nicht wirtschaftlich darstellbar. Es bedarf also kreativerer Ansätze.“
Wärmepumpe plus Gas-Brennwert
Beim Neubauprojekt im Brandenburgischen war das im ersten Schritt der Einsatz von kaskadierten Luftkollektoren, die einer 15-kW-Luft/Wasser-Wärmepumpe die notwendige Umweltwärme zur Abdeckung der Grundlast zur Verfügung stellen. Im zweiten Schritt wurde der regenerative Wärmeerzeuger um eine Gas-Brennwertheizung erweitert. Die fängt jetzt die Spitzenlasten, speziell beim Warmwasser, ab. Wobei mit 40 kW Leistung aber auch immer noch genug Reserve bleibt, um bei besonders hoher Wärmeanforderung über einen 1.000-Liter-Multifunktionsspeicher zusätzlich die Heizung zu unterstützen.
Ein temperaturbezogenes Schichtladesystem sorgt dabei für die optimale Ausnutzung der über die Wärmepumpe „flexoTHERM exclusive“ und/oder das Gas-Brennwertgerät „ecoTEC plus“ sowie die Trinkwarmwasserzirkulation und den Heizungsrücklauf zugeführte Energie. „Diese Kombination ist aus meiner Sicht ein ressourcenschonendes Zukunftsmodell für solche Gebäude“, so Guse, „weil die Anlagenkombination nicht nur den Zielkonflikt aus dem stark wechselnden Bedarfsprofil auflöst, sondern sie ist gleichzeitig sehr wirtschaftlich zu betreiben. So bleiben die Betriebskosten für die Mieter niedrig.“
WOBA-Geschäftsführer Kuhn bestätigt das: „Durch die Hybridtechnik können wir die Wärmelasten fast komplett regenerativ über die Luft/Wasser-Wärmepumpe abdecken. Nach ersten Schätzungen wird es so möglich sein, die Mietnebenkosten für Wärme auf unter einem Euro pro Quadratmeter zu halten.“ Am Rande: natürlich auch, weil statt der früheren Klassiker in der Wärmeverteilung einer „Platte“ (wie Einrohrheizung mit frei liegenden Steigesträngen sowie überdimensionierten Plattenheizkörpern) hier natürlich ein zeitgemäßes Zwei-Rohr-Heizsystem mit Flächenheizung für die Wärmeverteilung/-übergabe sowie einer Zirkulation mit Stichleitung auf der Etage für die Warmwasserbereitstellung installiert wurde. Auch die höheren Investitionskosten sind im Übrigen aus Sicht von Guse kein Argument, was gegen eine Anlagenkombination aus Wärmepumpe und Gas-Brennwert-Spitzenlastkessel spräche: „Man muss die Aufgabenstellung in ihrer Gesamtheit sehen, also alle Investitions- und Betriebskosten des Neubauprojektes. Die Aufwendungen für die Hybridlösung als Wärmepumpe und Gas-Brennwertgerät, also für die reine Heiztechnik, sind dann sicherlich höher als bei konventionellen Anlagen. Ansonsten hätten aber erstens Ersatzmaßnahmen finanziert werden müssen, zweitens wäre möglicherweise ein besserer Dämmstandard für die Gebäudehülle notwendig geworden und drittens fielen die umlagefähigen Betriebskosten höher aus. Die Wohnungen wären also schwieriger zu vermarkten. In der Gesamtbetrachtung zahlt sich die Hybridtechnik also auf jeden Fall aus. Hinzu kommt die höhere Versorgungssicherheit durch das Anlagen-Doppel, das ja zumindest bezüglich der Grundlast redundant funktioniert.“
Ruhige Außeneinheiten
Ein Diskussionspunkt vor der Realisierung dieser Anlagenkombination waren allerdings – naheliegend angesichts der umgebenden Bebauung – die zwei notwendigen Luftkollektoren „aroCOLLECT“, um die Wärmepumpe hinreichend mit Umweltwärme versorgen zu können: Die beiden Geräte mussten in direkter Nähe des Hauses, damit aber natürlich auch in der Nähe von Balkonen bzw. Fenstern, platziert werden. Betroffene Mieter wie Helmut und Hildburg Bliefert reagieren auf eine entsprechende Nachfrage jedoch tiefenentspannt: „Wir bemerken die Kollektoren schlichtweg nicht – und sind auch definitiv nicht schwerhörig“, bezieht Hildburg Bliefert Stellung. Wobei die technischen Werte des Herstellers diesen Eindruck bestätigen. Vaillant nennt als Schallleistungspegel maximal 49 dB(A). Zum Vergleich: Hörexperten geben das Geräusch von Regen oder von einem Kühlschrank mit etwa 55 dB an, den Fernseher in Zimmerlautstärke sogar mit 65 dB (Quelle: Hoerex). Für Handwerksmeister Guse sind diese Vor-Ort-Erfahrungen im wahrsten Sinne des Wortes eine perfekte Steilvorlage, um die Wärmepumpen-Technologie auch im Geschosswohnungsbau weiter voranzubringen: „Gerade bei verdichteter Bebauung wird jede Lärmquelle kritisch gesehen. Hier lässt sich in der Praxis zeigen, dass das bei den Kollektoren einer Wärmepumpe einfach kein Thema ist.“
„Zwillingsbau“ in Planung
Nach über einem Jahr Nutzungsphase steht für Kuhn auf jeden Fall fest, dass er das architektonisch und haustechnisch komplett selbst entworfene Neubauprojekt voraussichtlich 2022 ein paar hundert Meter weiter genauso noch einmal realisieren wird: „Mit Gestehungskosten von etwa 100.000 Euro pro Wohnung konnten wir, bei einem beträchtlichen Anteil Eigenleistung, zu wirtschaftlichen Konditionen zeitgemäßen Wohnraum schaffen, der in jeder Hinsicht passend den Bedarf am hiesigen Wohnungsmarkt bedient. Gleichzeitig wird das Quartier aufgewertet, die bestehende Bebauung verdichtet, ohne weitere Flächen versiegeln zu müssen, und der Wärmebedarf ökologisch vorbildlich bedient. Damit erfüllen wir eigentlich schon heute das Leitbild für einen Geschosswohnungsbau, der aus gesellschaftlichen wie aus ökologischen Gründen künftig zweifellos zu einem allgemein anerkannten Standard, gewissermaßen zu einer Blaupause in der Quartiersentwicklung, werden wird.“
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